Wir sehen eine riesige Kuhherde, die auf einem scheinbar menschenverlassenen Bauernhof umherirrt und schließlich in der Ferne verschwindet. Die düsteren Schwarz-Weiß-Bilder und das unwirtliche Wetter verstärken sich in ihrer Wirkung gegenseitig. So lässt sich in aller Kürze die achtminütige, ohne einen einzigen Schnitt auskommende Eröffnungseinstellung von „Satanstango“ (1994) beschreiben, die den Ton für die mehr als sieben (!) Stunden setzt, die ihr nachfolgen werden.
Die sechste Regiearbeit des ungarischen Filmemachers Béla Tarr ist in jeder Hinsicht ein Mammutwerk. Der Autor dieser Zeilen hat vor rund zehn Jahren einen ganzen Tag dafür aufgewendet, den Film am Stück zu sehen – und war danach völlig erschöpft. Schließlich strotzt die Verfilmung des gleichnamigen Romans von László Krasznahorkai nur so vor Hoffnungslosigkeit, Tristesse, Pessimismus und Gleichgültigkeit – die sich u.a. in einer 40 Minuten andauernden Sequenz entlädt, in der ein kleines Mädchen eine Katze zu Tode foltert. An dieser Stelle, die sich etwas in der Mitte des Films befindet, musste ich erst einmal eine längere Pause einlegen.
Falls ihr nun selbst Lust auf diese Grenzerfahrung bekommen haben solltet, habt ihr in Deutschland leider kein Glück – hierzulande ist „Satanstango“ weder im Streaming noch als DVD oder Blu-ray erhältlich. Doch wenn ihr ein bisschen tiefer in die Tasche greift, könnt ihr euch die amerikanische Importscheibe ins Regal stellen:
„Satanstango“ ist in einem zunehmend verödenden Dorf in der ungarischen Tiefebene angesiedelt. Als die Nachricht eintrifft, dass der totgeglaubte Irimiás (Mihály Víg) nach vielen Jahren in die Gemeinschaft zurückkehren soll, bricht unter den verbliebenen Einwohner*innen Feierstimmung aus – doch keiner von ihnen ahnt, dass der Heimkehrer ein Geheimnis birgt...
So linear, wie sich diese Inhaltsangabe liest, verläuft „Satanstango“ nicht. Die insgesamt zwölf Kapitel sind eher episodisch strukturiert, und jedes von ihnen wirft ein neues Schlaglicht auf die Themen des Films, der von fehlgeleiteter Macht erzählt, von einem abwesenden Staat, von Menschlichkeit und ihrem Verfall. Das ist schwere Kost, zumal Tarr durchweg mit extrem langen Einstellungen arbeitet. Aber wer sich darauf einlässt, wird sich dem atmosphärischen Sog seiner sorgfältig komponierten Bilder kaum entziehen können.
Martin Scorsese bewundert "Satanstango" und Regisseur Béla Tarr
Zu den prominenten Fans von „Satanstango“ gehört u.a. „Taxi Driver“- und „GoodFellas“-Schöpfer Martin Scorsese, der Tarr „[einen] der waghalsigsten Künstler des Kinos“ nannte und hinzufügte: „Seine Filme, wie ‚Satanstango‘ oder ‚Das Turiner Pferd‘, sind echte Erlebnisse, die man in sich aufnimmt und die sich im Kopf weiterentwickeln.“
Die berühmte US-amerikanische Autorin und Kritikerin Susan Sontag wiederum wählte „Satanstango“ in einer für das Magazin Artforum erstellten Liste unter die 10 besten Filme der 1990er-Jahre und nannte ihn „umwerfend [und] fesselnd in jeder Minute seiner sieben Stunden.“ Und nicht nur das: „Ich wäre froh, ihn jedes Jahr für den Rest meines Lebens zu sehen.“
Auf der Leinwand hatte es das Werk aufgrund seiner Länge natürlich schwer: Außerhalb Ungarns bekam „Satanstango“ in keinem Land einen regulären Kinostart. Durch DVD-Veröffentlichungen und Sonderaufführungen (u.a. im Museum of Modern Art in New York) festigte sich über die Jahre trotzdem der Ruf eines Ausnahmefilms. In einer Umfrage der einflussreichen Zeitschrift Sight & Sound, die alle 10 Jahre unter Filmkritiker*innen aus der ganzen Welt durchgeführt wird, landete „Satanstango“ im Jahr 2012 sogar auf Platz 35 der besten Filme aller Zeiten!
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