Über diese Szene in "Lilo & Stitch" wird viel zu wenig geredet – dabei stört es in so vielen Filmen
Sidney Schering
Sidney Schering
-Freier Autor und Kritiker
Sidneys Lieblingsfigur ist Donald Duck, sein erster Kinofilm war Disneys „Aladdin“ und bereits in der Grundschule las er eine Walt-Disney-Biografie. Wenn er könnte, würde er ins Disneyland auswandern, aber da das nicht geht, muss ihn seine Disney-Sammlung bei Laune halten.

Dass ein Augenblick im aktuellen Kinohit „Lilo & Stitch“ nicht mehr Filmfans zu Diskussionen anregt, erstaunt FILMSTARTS-Autor Sidney Schering ziemlich. Ein Meinungstext über eine Sache, die auch in viel mehr Filmen stört.

Das „Lilo & Stitch“-Realfilmremake hat weltweit über 770 Millionen Dollar eingespielt – und Deutschland gehört zu den Märkten, in denen es besonders gut ankommt: Mit über zwei Millionen verkauften Eintrittskarten hat das Remake mittlerweile das Gesamtergebnis des 2002 gestarteten Originals überboten (mehr dazu)!

Auch bei der Presse kommt die Neuverfilmung gut an. FILMSTARTS-Autor Björn Becher etwa lobte das Remake als „familienfreundliches, visuell charmantes“ Werk „mit Herz und Botschaft“. Ich persönlich bin derweil weitaus weniger angetan – und fragt sich, weshalb ein Moment in Dean Fleischer Camps Remake nicht viel häufiger thematisiert wird. Denn es ist doch genau die Art Szene, die Filmen üblicherweise vorgehalten wird...

Das "Lilo & Stitch"-Remake gibt Stitch eine neue Namensherkunft

Seit dem Kinostart sorgt nicht nur der herausragende Erfolg von „Lilo & Stitch“ für Gesprächsstoff: Selbstredend werden auch die Unterschiede zwischen Neuverfilmung und Originalfilm diskutiert. Obwohl sich die Sci-Fi-Familienkomödie größtenteils eng am Zeichentrickfilm orientiert, gibt es ein paar recht prominente Abweichungen zwischen beiden Filmen. Weshalb es zu einigen von ihnen kam, hat mein Kollege Björn Becher euch bereits im folgenden Artikel erläutert:

"Ich habe es versucht": "Lilo & Stitch"-Regisseur erklärt die umstrittenen Änderungen zum Original

Die im verlinkten Beitrag thematisierten Unterschiede werden recht häufig diskutiert – von Fans der Neuverfilmung sowie von kritischer eingestellten Filminteressierten. Debatten über eine weitere, neu für das Remake geschriebene Sequenz kommen mir hingegen so gut wie gar nicht unter die Augen. Und das ist mir ein Rätsel!

Im „Lilo & Stitch“-Original lernen wir die Titelheldin Lilo prompt als Kind kennen, das ein Faible für völlig unerklärliche, ihr Umfeld irritierende Namen hat. So tauft sie einen Fisch, dem sie die Macht zuschreibt, das Wetter zu kontrollieren, im englischsprachigen Originalton „Pudge“, was so viel heißt wie „Pummelchen“ oder „Moppel“ (in der deutschen Synchro wurde daraus der für einen Fisch zwar banale, aber wenig eigenwillige Name „Platsch“).

Ihre Kuschelpuppe nennt Lilo dagegen in der deutschen Synchronfassung „Schrulle“ und im Originalton „Scrump“, was unter anderem „Kümmerling“ bedeutet. Und wenn sie im Tierheim das Alienexperiment 626 adoptiert, nennt sie es bekannterweise (sowie zur Verwunderung der Tierheim-Mitarbeiterin) „Stitch“, was „(Näh-)Stich“ und „Seitenstechen“ bedeuten kann, ebenso wie es eine Häkel- oder Strickmasche bezeichnet.

Auch im Remake entdeckt Lilo ihren kuscheligen Weggefährten im Tierheim, allerdings fällt die Szene aus, in der sie ihm direkt vor Ort beim Ausfüllen der Adoptionspapiere einen Namen gibt. Stattdessen folgt etwas später eine Sequenz, in der Lilo, ihre Schwester Nani und der noch namenlose Stitch im Auto unterwegs sind.

Währenddessen treffen sie die Außerirdischen Pleakley und Jumba, die den Auftrag haben, Experiment 626 in Gewahrsam zu nehmen. Diese Begegnung macht Stitch wütend, woraufhin er einen Autositz zerkratzt. Genervt merkt Nani an, dass sie die kaputte Stelle jetzt nähen muss (im Englischen: stitch that up”), woraufhin Lilo freudig aufschreit und verkündet, endlich zu wissen, wie sie ihren (vermeintlichen) Hund nennt: Stitch!

Erläuterungen als Selbstzweck

Diese Sequenz ist exakt die Art an unnötiger Erklärung, die von Fangemeinden sonst harsch kritisiert wird. Gehäuft kommt sie in Prequels vor: Man denke an die Passage in „Solo: A Star Wars Story“, in der wir erfahren, dass Han Solo seinen Nachnamen trägt, weil er solo unterwegs war, als ein Imperialer Rekrutierungsoffizier seine Personalien aufnahm.

In eine ähnliche Kerbe schlagen diverse Augenblicke in „Mufasa: Der König der Löwen“: Der Film erläutert, wo der fiese Löwe Scar seine Narbe herhat, wo der weise Affe Rafiki seinen Gehstock fand und wie der Königsfelsen zu seiner Form kam. Auch abseits von Prequels hat man in der aktuellen Hollywood-Ära offenbar eine Faszination für Antworten auf Fragen, die sich zuvor niemand gestellt hat.

Weitere Disney-Beispiele wären etwa „Pirates Of The Caribbean: Salazars Rache“, der eine Erklärung bietet, wo Käpt'n Jack Sparrows Nachname herrührt, und das zahlreiche vermeintliche Handlungslücken mit verkrampften Antworten schließende „Pinocchio“-Remake. Nicht nur, dass all diese Filme Zeit aufwenden, um ungestellte Fragen zu beantworten – nur äußerst selten geraten diese unerwarteten Antworten der Erzählung zum Vorteil.

Im Fall von „Pirates Of The Caribbean: Salazars Rache“ lässt sich durchaus argumentieren, dass der unprovozierte Exkurs Sparrows Strahlkraft zugutekommt: Wir erfahren, dass er ein so unberechenbar-genialer Kapitän ist, dass seine Flinkheit seine gesamte Identität neu formte. Dem „Lilo & Stitch“-Remake würde ich solch eine bereichernde Note nicht attestieren:

Es schmälert Lilos selbstbewusste Schrulligkeit, dass sie originelle Namen wie „Stitch“ nicht förmlich aus dem Ärmel schüttelt, sondern ihren außerirdischen Kumpel nach den Folgen einer Wutattacke benennt. Ein für mich uneleganter und unnötiger Filmmoment – und Teil eines störenden Hollywood-Trends, der gerne endlich ein Ende finden darf: Selbstzweckhafte Erklärungen.

Aber wusstet ihr, dass „Lilo & Stitch“ gleichzeitig eine für heutige Hollywood-Verhältnisse ungewöhnliche Erfolgsproduktion ist? Die dahinter steckenden, logistischen Details erklären wir euch im folgenden Artikel – ebenso wie den Grund, weshalb der Film ein Stinkefinger an Netflix ist:

Disney-Hit "Lilo & Stitch" ist einer der außergewöhnlichsten Kino-Erfolge der Geschichte (und ein Stinkefinger an Netflix)

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