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    Darum sind die "Transformers"-Blockbuster (fast) alle Meisterwerke!

    Sechs Filme an einem Tag am Stück? Für viele ist das schon viel. Aber alle sechs bisherigen „Transformers“-Blockbuster – mitsamt Überlänge und Michael-Bay-Krawall-Dauerfeuer? Unser Gastautor, der Filmkritiker Jochen Werner, hat das Experiment gewagt…

    Paramount

    +++ Meinung +++

    Ein 15 Stunden langer Filmmarathon mit allen sechs „Transformers“-Filmen, direkt nacheinander weggeschaut – das klingt für viele Cinephile sicherlich wie das audiovisuelle Äquivalent einer einfach nicht enden wollenden Foltersession, unterbrochen nur alle zweieinhalb bis drei Stunden durch eine kurze Pause für einen doppelten Espresso oder eine Pizza vom Lieferservice.

    Trotzdem beschloss ich mich am vergangenen Wochenende, mich gleichsam todesmutig auf dieses wahnwitzige Experiment einzulassen und einen Nachmittag, einen Abend und eine Nacht lang die Welt durch die Kameralinse von Michael Bay zu betrachten. Danach schien sie nicht mehr ganz dieselbe, und auch wenn der „Transformers“-Marathon ein Höllenritt war – ich kann ihn zumindest den Mutigeren und Aufgeschlosseneren unter den Leser*innen nur empfehlen.

    Als Michael Bay im Jahr 2007 die Regie für den ersten „Transformers“-Film übernahm, reihte er sich damit ein in die lange Liste von Auftragsregisseuren, die für den Produzenten Steven Spielberg seit den 80er-Jahren immer wieder Filme inszenierten, die zwar in Sachen Thematik und Konzept oft eindeutig im Spielberg-Kosmos verortet waren, jedoch auch Raum für eigene Handschriften ließen: Joe Dante, Richard Donner, Robert Zemeckis, Barry Levinson und selbst radikale Außenseiter wie Tobe Hooper (der „Texas Chainsaw Massacre“-Erfinder inszenierte für Spielberg und seine Produktionsfirma Amblin den Grusel-Hit „Poltergeist“) scheinbar mühelos spielbergisiert.

    In diese prominente Gesellschaft sollte sich nun auch Michael Bay einreihen, der zu diesem Zeitpunkt bereits Regisseur einer ganzen Reihe ungeheuer erfolgreicher, von der Kritik zumeist verachteter Blockbuster von Über-Produzent Jerry Bruckheimer war. Tatsächlich fügt sich „Transformers“ insofern ins Amblin-Erbe ein, als darin das spielbergsche Blockbuster-Konzept und die baysche Ästhetik unter den Bedingungen der Actionfigurenverfilmung überraschend konsequent ineinander aufgehen.

    Spielbergs Einfluss ist unverkennbar

    Der Protagonist der ersten drei „Transformers“-Filme, Sam Witwicky (Shia LaBeouf), ist als nerdiger, aber gewitzter Vorstadtteenager ein Spielberg-Protagonist, wie er im Bilderbuch steht. Und die Konfrontation mit dem Überlebensgroßen, von Bay hier mit überraschendem Ernst als gigantomanische Pop-Kosmologie aus Quatsch und Nichts errichtet, wird erst durch seine Perspektive greifbar und aufs menschliche Maß heruntergebrochen. Narrativ ist das also im Grundaufbau purer Spielberg, audiovisuell jedoch unverkennbar Michael Bay: vollgestopft mit glänzenden Oberflächen, von einer voyeuristischen Kamera rückhaltlos fetischisiert – ganz egal, ob es sich bei den Motiven nun um Autos, Kampfjets, Riesenroboter oder Megan Fox handelt.

    Dass Bay seine Actionsequenzen im Schnitt so zerstückeln würde, dass die Übersicht im Geschehen verloren ginge und die Dynamik deshalb gewissermaßen nur mit unlauteren Mitteln vorgetäuscht wäre, erweist sich im Übrigen als bloßes Vorurteil. Zwar nutzt Bay jedes dem Actionregisseur verfügbare filmische Mittel zur Erzeugung maximaler Immersion in das zerstörerische Geschehen auf der Leinwand (und erfindet gleich in jedem Film noch ein paar neue dazu) – gleichwohl gelingt ihm aber auch das Kunststück, diese exzessiven Materialschlachten sehr klar im filmischen Raum zu verankern.

    So bleiben die maximal beschleunigten Ketten aus Aktion und Reaktion selbst dann noch schlüssig nachvollziehbar, wenn der Raum selbst immer wieder ins Rutschen und Kippen gerät und mitunter sogar buchstäblich unter den Protagonist*innen wegbricht – so in einer wahrhaft furiosen Sequenz in einem allmählich einstürzenden Wolkenkratzer im dritten Teil „Transformers: Dark Of The Moon“. Diese Momente zählen vermutlich zum Spektakulärsten und ästhetisch Überwältigendsten, was das Bewegungskino in diesem Jahrtausend zu bieten hat.

    Nicht erst in dieser grandiosen Sequenz offenbart sich die „Transformers“-Reihe auch als ein dezidiertes Stück Post-9/11-Blockbusterkino. Bereits der erste Film legt einen geradezu paradoxen Spagat hin zwischen suburbaner Americana und dem comic relief der verschrobenen Kleinfamilie, wie sie den familienfreundlichen Spielberg-Blockbuster prägen, sowie dem fetischistischen und durchaus zynischen Militarismus des bayschen Kinos. Es ist im Grunde ein Zusammenprall zweier Welten: Spielbergs Harmoniesucht und Militärskepsis stehen neben Bays wenig pazifistischen Privatobsessionen, die gar nicht erst zulassen, ein nostalgiebesetztes Kinderspielzeug anders denn als militärisches Schlachtenpanorama zu inszenieren. Vermutlich ist Bay sogar der erste Filmemacher überhaupt, dem es gelungen ist, selbst die mitunter penetrant versöhnlerische Spielberg-Kinowelt allumfassend aufzurüsten.

    Neben den Pyramiden sind selbst Transformers winzig

    Während der erste Teil noch ganz in diesem Neben- oder Gegeneinander zweier im Blockbusterkino dann doch nur scheinbar unversöhnlicher Ästhetiken und Weltbilder aufgeht, ist der zweite Teil „Transformers: Die Rache“ dann Bay pur – allerdings hier einmal nicht unbedingt zum Besseren. Ein knappes Drehbuchtreatment wurde in letzter Sekunde vor dem drohenden Autorenstreik der Writers Guild of America 2007/08 fertiggestellt und ließ viel Raum, die darin klaffenden Lücken mit allerlei Bayismen auszufüllen.

    Der Humor wurde infantiler, das Pathos pathetischer, und das große Finale zwischen ägyptischen Ruinen stellte sich als sehr schlechte Idee heraus, da es zwar die Roboteraction visuell in ein Wüsten- und Häuserkriegsszenario überführte, aber auch das Kunststück vollbrachte, die Transformers zwischen turmhohen Säulen und riesigen Pyramiden klein wirken zu lassen.

    An diesem Punkt hätte das Franchise – auch angesichts der beginnenden Erfolgsgeschichte des im Vorjahr begründeten MCU – auch schon wieder am Ende angekommen sein können. Es kam jedoch ganz anders. Zwar zerfällt der dritte Teil, „Transformers: Dark Of The Moon“, in zwei qualitativ recht unterschiedliche Hälften, was vor allem dem Umstand geschuldet ist, dass eigentlich alle der seit dem ersten Teil mitgeschleppten Figuren längst auserzählt sind – vom Protagonisten Sam Witwicky, der sich hier zumindest recht amüsant mit den Kränkungen des ganz normalen Arbeitsalltags auseinandersetzen muss, über das Love Interest, das Megan Fox keine Lust mehr hatte zu spielen und das daher kaltschnäuzig herausgeschrieben und umbesetzt wurde, bis hin zum immer weniger lustigen verschrobenen Sidekick-Elternpaar oder John Turturros manischem CIA-Agenten.

    Mit dem die gesamte zweite Hälfte des Films einnehmenden Showdown jedoch kreiert Bay ein verspieltes, kreatives und audiovisuell mitreißendes Zerstörungsinferno, das im Franchisekino der Gegenwart auch heute noch konkurrenzlos scheint – und profiliert sich gleichermaßen als zentraler Auteur des 3D-Kinos, das seinerzeit dem Blockbusterkino durchaus noch neue ästhetische Wege zu eröffnen schien und kurz darauf, hauptsächlich wohl durch Disneys Entscheidung für den kostengünstigeren Weg der Postkonvertierung, einen schleichenden Tod starb.

    Vom Aussterben noch weit entfernt

    Im vierten Teil, „Transformers: Age of Extinction“, erneut in grandiosem 3D inszeniert, wagt Bay dann mit dem Austauschen sämtlicher Protagonisten einen Schritt, der für viele Franchises den Anfang vom Ende bedeutet, und gewinnt daraus im Gegenteil eine Injektion frischer Energie.

    Die Filmerzählung springt in eine Zukunft, die von den Verwüstungen des dritten Teils geprägt eine immer repressivere Politik gegenüber den außerirdischen Riesenrobotern entwickelt hat. Zudem verleiht der neue Hauptdarsteller Mark Wahlberg dem Film als texanischer Working-Class-Mad-Inventor einen dezidiert anderen Fokus, als es mit dem ewig adoleszenten Nerdhelden Shia LaBoeuf möglich gewesen wäre – ein Vergleich mit dem dystopischen amerikanischen Heartland am Beginn von Christopher Nolans „Interstellar“ böte sich hier durchaus an.

    Der krönende Abschluss

    Der endgültige Sprung Richtung Avantgarde vollzieht sich dann mit dem fünften und bis dato letzten von Bay inszenierten Film „Transformers: The Last Knight“, der von Publikum und Kritik weitgehend mit Unverständnis und Irritation aufgenommen wurde. Das ist gleichermaßen nachvollziehbar wie schade, handelt es sich hier doch um einen so merkwürdigen wie freien Film, der lustvoll in alle Richtungen auseinanderfällt, sich um narrativen Zusammenhang gar nicht mehr schert und eigentlich in dieser Größen- und Kostenordnung unmöglich scheint.

    Gerade nach 23 in Ästhetik und Tonfall mehr oder weniger identischen MCU-Filmen, in einer Zeit, in der die Gleichschaltung des Franchisekinos unüberwindbarer scheint denn je, ist es ungemein beruhigend, dass es Michael Bay noch im Jahr 2017 möglich war, einen so durch und durch seltsamen, idiosynkratischen und in mancher Hinsicht reichlich unkommerziellen Film für ein Budget von 250 Millionen Dollar zu inszenieren.

    Damit ist „Transformers: The Last Knight“ ein äußerst (merk-)würdiger Schlusspunkt für den Marathon durch eine Filmreihe, die sich für mich, vielleicht nur ein bisschen überraschend, als das kreativste, verspielteste und ästhetisch experimentierfreudigste Blockbuster-Franchise des 21. Jahrhunderts erwiesen hat.

    Vom Spin-off „Bumblebee“ nämlich wollen wir an dieser Stelle nicht mehr reden, denn dieses zeigt aufs Tristeste, wie langweilig und verwechselbar (das MCU lässt grüßen) die Erzählungen um die Riesenroboter sofort geraten, wenn sie nicht mehr von einem ästhetischen Revolutionär und narrativ Besessenen wie Bay auf die Leinwand gebracht werden…

    Die "Transformers"-Filme nun bei Amazon Prime Video

    Falls ihr unserem Gastautor nacheifern wollt, gibt es die ersten vier „Transformers“-Filme bei Amazon Prime Video im Abo. Der fünfte Teil „The Last Knight“ sowie „Bumblebee“ können dort für eine extra Gebühr geliehen oder gekauft werden.

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    Über Gastautor Jochen Werner

    Jochen Werner schreibt seit über einem Jahrzehnt als Filmkritiker für unterschiedliche Magazine im Internet und im Print-Bereich, zum Beispiel für die Splatting Image, für critic.de oder den Perlentaucher. Er ist zudem Mitbegründer von STUC - Der stählerne Filmclub und seit 2007 Kurator des Pornfilmfestivals Berlin.

    Hören könnt ihr Jochen Werner übrigens zu einer ähnlich außergewöhnlichen Retrospektive wie seinem „Transformers“-Marathon bei Deutschlandfunk Kultur: Gemeinsam mit Kritikerkollege Matthias Dell setzte er sich dort 2020 mit dem Gesamtwerk von Til Schweiger auseinander. Und für „Til Schweigers Kino: Der letzte deutsche Autorenfilmer“ gibt es von uns eine unbedingte Hörempfehlung.

    Dieser Artikel ist eine aktualisierte Wiederveröffentlichung eines älteres Textes. Anlass war die heutige TV-Ausstrahlung von „Transformers 3“ (am 11. Juni 2021 um 20.15 Uhr auf ProSieben).

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