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    TV-Tipp: Dieser Mystery-Thriller erzürnte die Gemüter – ist aber ein verkannter Geniestreich!
    Sidney Schering
    Sidney Schering
    -Freier Autor und Kritiker
    Shyamalan ließ Sidney mit Geistern mitfühlen und vor Aliens zurückschrecken. Zum Dank fieberte Sidney herzlich seinem Comeback entgegen. Denn der Filmemacher haut zwar manchmal daneben, interessant sind seine Filme aber immer – egal ob Top oder Flop.

    Nach den Hits „The Sixth Sense“ und „Signs“ erwartete die ganze Filmwelt von M. Night Shyamalan einen Horrorschocker. Stattdessen lieferte er mit „The Village“ ein nachdenkliches Drama mit Hintersinn ab – und wurde dafür unfair abgestraft.

    Wird nach dem besten Film von M. Night Shyamalan gefragt, antworten die meisten mit „The Sixth Sense“. Aber wenn ihr mich fragt, ist ein anderer Film seine beste Arbeit: Der 2004 noch von Publikum und Presse frustriert geschundene „The Village“, der weiterhin oft verlacht wird. Seit ich den vom Marketing als finsteren Monsterschocker positionierten Mysteryfilm im Kino gesehen und gefeiert habe (zum Unverständnis meiner gelangweilt im Sessel hängenden Sitznachbarn), warte ich darauf, dass die Mehrheit ihn rückwirkend als Meisterwerk erkennt. Vergeblich.

    Doch wer weiß – vielleicht steckt in euch ein Fan dieses Kleinods, und ihr wisst es bloß noch nicht? Es ist an der Zeit, „The Village“ eine (neue) Chance zu geben – beispielsweise heute Abend ab 20.15 Uhr auf sixx! Oder ihr schaut euch den Film frei von Werbung bei Disney+ an:

    "The Village": Melancholisches Drama im Monsterhorror-Gewand

    Ein abgeschiedenes Örtchen im späten 19. Jahrhundert: Die Dorfgemeinschaft verfolgt strenge Regeln und wird durch eine gemeinsame Furcht zusammenschweißt. Denn im angrenzenden Wald leben fürchterliche Monster, die von der Farbe Rot angelockt werden. Eines Tages sorgt der junge Lucius Hunt (Joaquin Phoenix) für Unmut in der Gemeinde:

    Er will das Dorf verlassen, um Medizin zu finden, die dem verwirrten Noah Percy (Adrien Brody) das Leben erleichtern könnte. Die Dorfältesten sind von der Bitte erzürnt. Aber als ein Eifersuchtsdrama rund um die gutmütige und blinde Ivy Walker (Bryce Dallas Howard) eskaliert, müssen sie sich erneut beratschlagen...

    Shyamalans Karriere ist eine Verkettung erbaulicher Glücksfälle und betrüblicher Missverständnisse. Er feierte seinen Durchbruch mit dem immens populären Gruseldrama „The Sixth Sense“, das heute als „Elevated Horror“ etikettiert zum Programmkino-Erfolg werden würde, Ende der 1990er-Jahre aber zum Gänsehaut-Twistschocker hochstilisiert wurde. 2002 geschah ähnliches: Das ruhige Sci-Fi-Thrillerdrama „Signs“ wurde ein globaler Blockbuster, dessen nervenaufreibenden Momente in viel mehr Köpfen hängen blieben als seine nachdenklichen.

    Der Erfolg war verdient, hatte allerdings einen Preis: Publikum und Presse rechneten damit, dass Shymalan auf „Signs“ einen großen Schocker folgen lassen würde – eine Erwartung, die der Disney-Konzern mit seinem reißerischen „The Village“-Marketing verschlimmerte.

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    Shyamalan führte derweil seine bisherige Entwicklung als Regisseur und Autor konsequent fort: Er lieferte mit „The Village“ noch eine langsam erzählte, nachdenkliche und melancholische Geschichte mit Thriller- und Horrorelementen ab. Die Quittung: Ein vom Marketing befeuertes Top-Startwochenende, anschließend ein rekordverdächtiger Zusammenbruch der Ticketverkäufe inklusive pampiger Mundpropaganda.

    Selbst der Großteil der Filmpresse war nicht in der Stimmung, Shyamalans klang- und bildästhetisch ausgereifteste Arbeit zu würdigen: James Newton Howards Score ist meisterlich. Der Schauplatz ist ein exakt zwischen urgemütlich und betrüblich angesiedeltes Dörflein, in dem die Leute bildhübsch kostümiert sind und in dem fast unentwegt bedrohliches Knistern, Knacken und Rascheln zu vernehmen ist. Und Kameramann Roger Deakins kreiert betörend schöne, atmosphärisch dichte Bilder – es sei denn, die Stimmung im Dorf kippt in Panik um. Dann geht die Ästhetik des Films hastig in beklemmende Finsternis über.

    Im Mittelpunkt des Ganzen steht das individuell wohlmeinende, aber überforderte und disharmonische Trio Lucius, Noah und Ivy. Phoenix und Howard überzeugen vollauf in Shymalans stilisiertem Duktus, mit dem er dieses Dorf als Sumpf aus Kummer, Furcht, emotionaler Verletztheit und verletzenden Reaktionen zeichnet. Und obwohl Brodys Performance ungeheuerlich nah an der Grenze des guten Geschmacks residiert, glimmt in ihr eine tragisch-aufrichtige Verletzbarkeit auf.

    Unaufrichtig wäre es derweil, heute über „The Village“ zu schreiben, ohne auf den Twist einzugehen. Wer den Film noch nicht gesehen hat, bislang nichts über seinen Schluss weiß, und ihn unvoreingenommen nachholen will, klickt daher nun weg – es folgen Spoiler!

    "The Village": Ein pointierter Politkommentar

    Nun, da wir die Spoilerwarnung hinter uns haben, zum Twist: 2004 wurde sich noch ausgiebig darüber lustig gemacht, dass die Monster in „The Village“ nicht echt sind und der Film nicht im 19. Jahrhundert spielt. Stattdessen dreht er sich um ein rückwärtsgewandtes Dorf im Heute, das dessen Ältesten gegründet haben, um sich von der ihrer Ansicht nach brutal gewordenen Restwelt abzuschotten. Shyamalan wurde vorgeworfen, verzweifelt den Erfolg und Twist von „The Sixth Sense“ replizieren zu wollen, und einen geradlinigen Monsterhorror mit einer unsinnigen Wende zu verwässern.

    Unsinnig kann man die Auflösung von „The Village“ aber wahrlich nicht nennen: Drei Jahre nach 9/11 erscheint ein Film, der davon handelt, dass Machtinhaber auf einen Akt der Gewalt reagieren, indem sie sich eine Heimat mit veralteten Ansichten aufbauen. Und sie machen sich die ihnen unterstehenden Menschen durch ständige Schauermärchen gefügig. Ich könnte den Kritikpunkt „Nein, das ist mir zu harter Tobak“ verstehen. Oder „Ich wollte keine offensichtliche Politparabel“. Nicht aber „Was ist das für ein hohler Twist?“

    Absolut unerklärlich ist mir darüber hinaus, wie oft „Das ist so unlogisch! Die schaden sich damit doch selbst!“ als Totschlagargument gegen den Plan der Dorfältesten angebracht wird. Als wäre das ein fataler Logikfehler Shyamalans. Eilmeldung: Das ist kein Patzer, das ist der springende Punkt! Egoistische und rückschrittliche politische Entscheidungen schaden auch in der Realität oft denen, die sie einfordern. Selbst wenn sie es nicht wahrhaben wollen und (wenn überhaupt) erst bemerken, wenn es zu spät ist.

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    „The Village“ fasst das regressive US-Politklima zusammen, in dem er entstand: Der oppressive Patriot Act wurde beschlossen, es herrschte eine Außenpolitik der Vergeltung und innenpolitisch wurde unentwegt Panik geschürt. All das mit der Ausrede, es würde zu einer friedlicheren Welt führen – stattdessen wurde Öl ins Feuer des gewaltbereiten US-Patriotismus gegossen.

    Konservativismus mutierte zunehmend von dem Gedanken, Bewahrenswertes zu beschützen, zu wutschäumender Missgunst. Sicherer lebt es sich so nicht, ganz im Gegenteil – so wie im „The Village“-Dorf immer noch Gewalt existiert. Die Ältesten löschten nur Komfort, leichten Zugang zu medizinischer Versorgung und Wissen aus – was sie für sich als Fortschritt definieren.

    Einige Jahre nach „The Village“ nahmen sich vermehrt dystopische Stoffe wie die „Tribute von Panem“-Reihe all dem an. Shyamalan kam diesen Geschichten nicht nur zuvor, sein Gesellschaftskommentar ist auch schmerzlicher. Er entwarf keine bedrohliche Vision einer möglichen Zukunft, sondern verortete die schädliche Rückwärtsgewandheit akkurat im Heute.

    Und im Gegensatz zu vielen Revolutionsheldinnen nach ihr, hat Ivy nicht den Hauch einer Chance, das kaputte System, in dem sie lebt, aus den Angeln zu heben. Das ist zappenduster und niederschmetternd. Wenn man bedenkt, was seit 2004 alles passierte, ist es zudem messerscharf von Shyamalan beobachtet. Und da sagen manche, „The Village“ sei nicht gruselig!

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    Dies ist eine überarbeitete Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.

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