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    Mein Freund aus Faro
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Mein Freund aus Faro
    Von Christian Horn

    In ihrem Debütfilm „Mein Freund aus Faro“ erzählt die Regisseurin Nana Neul, die auch das Drehbuch geschrieben hat, sehr sensibel vom Coming-Out und der Identitätssuche eines jungen Mädchens. Neuls Drama spielt mit der Authentizität von (Kino-)Bildern, bricht traditionelle Rollenmuster der Geschlechter auf und erinnert in diesem Zusammenhang stark an Boys Don’t Cry. Dank den talentierten Darstellern und der Tiefe der Figuren ist ihr ein sehenswerter Film gelungen, der zu Recht den Max Ophüls Preis 2008 für das beste Drehbuch gewonnen hat; auch wenn hier und da Abstriche gemacht werden müssen.

    Mel (Anjorka Strechel) sieht aus wie ein Junge, ist 22 Jahre alt, lebt mit ihrem älteren Bruder Knut (Florian Panzer, „Unterwegs“, Falscher Bekenner) und ihrem Vater (Thilo Prückner) zusammen und arbeitet in einer Großküche, wo sie Flugzeugessen verpackt. Als sie nachts mit dem Auto unterwegs ist, springt ihr die 14-jährige Jenny (Lucie Hollmann, Die wilden Hühner) vors Auto. Daraufhin gehen die beiden gemeinsam mit einer Freundin von Jenny in die Disco und verbringen eine aufregende Nacht. Das pikante daran: Mel gibt sich als Junge aus; sie erfindet eine neue Identität und stellt sich als Miguel aus Portugal vor. Jenny ahnt davon nichts, auch nicht, als sich eine zarte Schwärmerei zwischen Mel und ihr entwickelt. Während der Kontakt der beiden immer intimer wird, steigt für Mel der Druck, Jenny die Wahrheit zu sagen. Aber das erweist sich als schwierig, weiß doch noch niemand von ihrer Homosexualität. Und dann sind da auch noch Jennys rüpelhafter Freund, der das Treiben argwöhnisch beäugt, und Mels Arbeitskollege Nuno (Manuel Cortez, „Fickende Fische“), den Mel ihrer Familie als ihren neuen Freund vorstellt…

    Nana Neul inszeniert diese Geschichte sehr ruhig und nimmt sich viel Zeit für ihre Charaktere. Mit unaufdringlicher Gitarrenmusik und einer meist statischen Kamera spinnt sie ein Netz aus Verwicklungen, in dessen Zentrum Mel steht. Mit zwingender Notwendigkeit steuert diese auf den großen Moment zu, in dem sie ihrer Liebe die Wahrheit sagen muss. Neul nutzt in dieser Hinsicht einen besonderen Kniff: Auch der Zuschauer ahnt zunächst nur langsam, dass Mel in Wirklichkeit ein Mädchen ist. Rein äußerlich ist das kaum auszumachen. Ihren ohnehin sehr burschikosen Körper versteckt sie unter weiten Klamotten, sie trägt die Haare wie ein Junge und bewegt sich auch so. Als sie mit ihrem Bruder vor dem Spiegel steht, sagt er: „Du könntest auch mein Bruder sein. Darfst dich nur nicht ausziehen.“ Der Betrachter stolpert zwar über diese Aussage, denkt sich aber: Vielleicht, weil der kleine Bruder weniger Muskeln hat. Oder: Vielleicht sind die beiden ja gar keine echten Brüder. Als der große Bruder Mel in den nachfolgenden Szenen des Öfteren dazu ermutigt, sich einen Freund zu suchen, verwirrt das auch ein wenig – denkt man doch: Der Junge braucht eine Freundin. Aber auch das kann man einordnen, immerhin ist Mel ein Außenseiter und könnte auch einen platonischen Freund gut gebrauchen. Erst als ihr Arbeitskollege Nuno sich auf einer Familienfeier gegen Bezahlung als ihr Freund ausgibt, bröckelt die Fassade. Plötzlich zieht Mel sich ein feminines Oberteil an, schminkt sich sogar und es wird endgültig klar, dass sie ein Mädchen ist. Nun dämmert es: Der Zuschauer hatte Mel bisher immer als Jungen gesehen und ist nun überrascht davon, dass sie gar keiner ist. Dadurch entstehen auch nie Zweifel daran, dass Jenny – deren Weiblichkeit im Gegenzug extrem betont wird – davon überzeugt ist, in einen (männlichen) Miguel verliebt zu sein.

    Von diesem Moment an entsteht eine Spannung: Wann wird Mel mit der Wahrheit herausrücken? Wie wird Jenny reagieren? Schein und Lüge werden zu zentralen Themen des Films. So wie Mel sich als Junge ausgibt, behauptet Jenny, sie sei 16 Jahre alt, obwohl sie eigentlich erst 14 ist. Und Nuno lügt der Familie vor, er sei Mels Freund.

    Mel gerät zunehmend in eine schwerwiegende Krise, in eine Krise der Identitätsfindung. „Ich beneide alle Leute darum, nicht ich zu sein,“, lautet ein Aphorismus des portugiesischen Dichters Fernando Pessoa, der im Film eine Rolle spielt. Und dieser Satz könnte auch von Mel stammen. An einer Stelle fasst sie sich in die Hose, fühlt zwischen ihren Beinen – und weint. Sie fühlt sich als Junge, sie liebt ein Mädchen, aber sie wird nie ein Junge sein. Damit muss sie lernen, umzugehen - und davon erzählt der Film.

    Die zentralen Figurenkonstellationen in „Mein Freund aus Faro“ sind – neben Mels Beziehung zu Jenny – die Geschwisterbeziehung zwischen Mel und ihrem Bruder sowie die aufkeimende Freundschaft zwischen Mel und ihrem neuen Arbeitskollegen Nuno. Dieser unterstützt Mel zunächst gegen Bezahlung und ist der einzige, der in die Verstrickungen eingeweiht ist. So wird Nuno zu Mels Berater, der ihr mit einer Mischung aus Distanz und Nähe zur Seite steht. Mels Bruder Bernd hingegen ahnt nichts von den Problemen seiner Schwester, setzt sich das Puzzle aber selbst zusammen. Im Gegensatz zu Mels Vater, der eher verwirrt und beinahe apathisch wirkt.

    In Anbetracht der vielen mit Sorgfalt gezeichneten und differenzierten Figuren fällt umso mehr ins Auge, dass Nana Neul teilweise auch auf Stereotypen zurückgreift. Jennys Freund etwa ist mitsamt seinem Freundeskreis nur eine gesichtslose Schablone des Typus „coole Jungs“. Sie pöbeln Mel bei jeder Gelegenheit an und wirken durchgehend roh und unsensibel. Daher fühlt Jenny sich auch zu Miguel hingezogen, zu dem sonderbaren Jungen, der so anders ist. Und vor diesem Hintergrund macht es natürlich einen dramaturgischen Sinn, dass Jennys Freund so stereotyp gezeichnet ist. Im Kontext des ganzen Films erscheint dies jedoch als Manko, da die ansonsten subtile und offene Erzählung – innerhalb derer dem Zuschauer die Möglichkeit zugestanden wird, eigene Ansichten zu entwickeln – allzu klar, einfach und eindeutig wird. Als Metapher tauchen vermehrt Flugzeuge auf, die für Mels Sehnsucht nach einem neuen Anfang stehen.

    Fazit: Mit wenigen Abstrichen, vor allem in der Zeichnung einiger Nebenfiguren, ist Nana Neul ein schönes, leises und präzise beobachtetes Drama gelungen. Ein kleiner, schöner Film über Identitätsfindung und Rollenbilder.

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