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    Maria am Wasser
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Maria am Wasser
    Von Christian Horn

    Der deutschen Filmindustrie geht es dieser Tage richtig gut. Das lässt sich zum einen daran ablesen, dass sich deutsche Großproduktionen regelmäßig international behaupten können und es sogar bis zur Oscar-Zeremonie schaffen (aktuell: Der Baader-Meinhof-Komplex), und zum anderen daran, dass ungewöhnlich viele „kleine“ einheimische Filme hierzulande einen Kinostart bekommen. Mit dem skurrilen Drama „Maria am Wasser“ legt Thomas Wendrich nun einen ebensolchen kleinen Film vor. Dabei gelingt es dem Regiedebütanten zwar, seine zentralen Motive geschickt in den ungewöhnlichen Plot des Films zu weben, was vor allem am gelungenen, selbst verfassten Drehbuch liegt. Der Funke will aber dennoch nicht so recht überspringen, da die Inszenierung schlicht zu fad ist.

    Marcus Lenk (Alexander Beyer) kehrt nach langen Jahren der Abwesenheit in sein Heimatdorf zurück, das den vielsagenden Namen „Neusorge“ trägt und von der Elbe in zwei Hälften getrennt wird. Die Bewohner erkennen den Rückkehrer zunächst nicht wieder, selbst Mutter (Marie Gruber, Das Leben der Anderen) zweifelt an der Identität ihres angeblichen Sohnes. Vor zwanzig Jahren ist der damals Zehnjährige nämlich vermeintlich ums Leben gekommen, als er mitsamt einem Panzer in der Elbe versunken ist. Dennoch bleibt Marcus in Neusorge, um eine alte Orgel zu restaurieren. Es dauert nicht lange und er lernt die junge Polin Alena kennen (Annika Blendl), die in dem Kaff ebenso deplaziert wirkt wie er. Nach und nach kommen Geheimnisse der Bewohner ans Tageslicht, wobei der Fokus auf Maria und zwei ihrer ehemaligen Verehrer liegt: dem versoffenen Schäfer Hannes (Herrmann Beyer), der womöglich Marcus‘ Vater ist, und Pfarrer Konrad (Falk Rockstroh), der als einziger glaubt, den echten Marcus vor sich zu haben…

    Zunächst erscheint es unglaubwürdig, dass Maria ihren eigenen Sohn nicht erkennt. Doch nach und nach wird klar, dass Neusorge und seine Bewohner – und damit auch die Ereignisse dort – nicht authentisch gezeichnet sind, sondern vielmehr eine allegorische, beinahe etwas märchenhafte Note haben. Plötzlich wirkt im Rahmen der filmischen Fiktion vieles möglich: etwa dass Alena ausgerechnet in dem Kaff Neusorge Geld verdienen will und auf der Elbe ein Dampfer, der auch aus Werner Herzogs Meisterwerk Fitzcarraldo stammen könnte, vor Anker liegt. Oder dass Marcus auf der Suche nach einem Knochen, den er für ein Art Zaubergemisch benötigt, gleich den ganzen Friedhof umgräbt – und so in einem geöffneten Sarg auf die alten Orgelpfeifen stößt. Neusorge erscheint als ein Ort mit eigenen Regeln und eigener Logik, was sich als eine der größten Stärken des Films entpuppt.

    Der zentrale Konflikt des tragikomischen Dramas ist die Frage nach der eigenen Identität. Abgearbeitet wird er vor allem an der Beziehung von Marcus zu seiner Mutter und den anderen Dorfbewohnern, die ihn nicht erkennen. Ob Marcus wirklich Marcus ist, fragen sich diese. Und auch der Zuschauer beginnt zeitweise, an der Identität des Protagonisten zu zweifeln. Das Muttermotiv ist dabei bereits im Titel angelegt, den Namen „Maria“ kann man hier sowohl auf Marcus‘ als auch auf die Mutter Jesu beziehen.

    Weitere biblische und mythologische Motive sorgen dafür, dass „Maria am Wasser“ im Endeffekt eine allegorische Leseweise erfordert. Die wiederkehrenden Gebete der Polin, die Kirche mitsamt Orgel und der Fährmann zwischen den beiden Ufern der Elbe sind Beispiele stark religiöse Metaphorik des Films. Außerdem ist da noch der Schafhirte Hannes: In einer Szene wirft ein Schaf ein Junges, dass sofort nach der Geburt stirbt. Trotzdem muss die Mutter aber Milch geben, da sie sonst zu Grunde geht. Ein fremdes Junges will sie nicht annehmen und so greift Marcus zu einem Trick. Er häutet das tote Neugeborene und wickelt das Fell um ein fremdes Junges – schon gibt die Mutter Milch. Die Haut, die aufgrund ihrer Grenzfunktion zwischen Innen und Außen seit jeher für Identität steht, wird so geschickt als Motiv genutzt. Es ist diesmal eben nicht der Wolf, der sich im Schafspelz verbirgt, sondern das falsche Schaf im richtigen Fell.

    Ein anderes zentrales Motiv, mit dem ebenfalls auf das Identitätsproblem rekurriert wird, klingt ebenfalls im Titel an: das Wasser. Dieses hat eine besondere Eigenschaft. Es fungiert zwar als Spiegel, wobei die Oberfläche nicht einfach bloß reflektiert, sondern auch Dinge verschlingt oder ausspuckt. Es gibt etwa einen Ort am Ufer, an dem regelmäßig Leichen angeschwemmt werden. Außerdem war es die Elbe, die den kleinen Marcus vor zwanzig Jahren vermeintlich in die Tiefe gerissen hat. Die Strömung des Flusses ist zudem auch eine Sichtbarmachung der verstreichenden Zeit. In dieser Funktion wird die Elbe in „Maria am Wasser“ oft, insgesamt sogar zu oft, ins Bild gerückt. Die Schatten der Vergangenheit brechen wieder auf, die Zukunft legt sich als Fragezeichen über die Figuren. So beginnt „Maria am Wasser“ konsequenterweise auch mit einer Szene aus der Vergangenheit, die sich dem Betrachter als Folie für die folgenden Ereignisse einbrennt. Im Zusammenhang mit dem Wassermotiv tauchen auch Fische, ein weiteres prominentes Motiv des Christentums, immer wieder auf.

    Die zahlreichen Motive sind in „Maria am Wasser“ geschickt ineinander verwoben und unterstützen alle den Grundkonflikt der Frage nach Identität. Diese wird nicht nur an der Grenze zwischen Innen- und Außenwelt verortet, sondern auch am Zusammenspiel von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft festgemacht. Die Schauspieler sind talentiert genug, um die teils sehr skurrilen und absurden Geschichten zu erden.

    Der Wurm steckt indes darin, dass Wendrich sein Anliegen allzu deutlich macht. Durch die unzähligen Wasseraufnahmen und überdeutlichen Bibel- beziehungsweise Mutter-Motive wirkt sein gelungener Ansatz bisweilen überladen, wenn nicht gar prätentiös, was zuvorderst auf die Inszenierung zurückzuführen ist. Symptomatisch dafür ist die Musikgestaltung: Mit Klaviergeklimper versetztes Gitarrenzupfen erzeugt jenen schwerfällig-melancholischen Sound, der für das deutsche Arthouse-Kino allzu typisch ist. Die viel zu oft eingesetzte Musik schreit zudem förmlich: Seht her, dieser Film hat Anspruch. Dieser Kritikpunkt gilt – in eingeschränktem Rahmen – schließlich auch für die überdeutlich gezeichneten Motive. Gemeinsam mit der eher uninspirierten Inszenierung, die angesichts des ausgereiften Drehbuchs viel zu konform ist, führt dies dazu, dass aus „Maria am Wasser“ kein rundum gelungener Film geworden ist.

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