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    Pappa ante Portas
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Pappa ante Portas
    Von Jan Görner

    Lange bevor das Wort „Comedian" im deutschen Sprachgebrauch Einzug hielt, fand in der öffentlichen Wahrnehmung von Humoristen hierzulande noch eine klare Trennung statt: Auf der einen Seite standen scharfzüngige Polit-Kabarettisten vom Schlage eines Dieter Hildebrandt, die mit feinem Wortwitz gesellschaftliche Strömungen und politische Verlogenheiten anprangerten und aufs Korn nahmen. Auf der anderen gab es die albernen Haudrauf-Komödianten wie Dieter „Didi" Hallervorden oder den friesischen Blödelbarden Otto, die ihr Publikum mit gepflegtem Nonsens unterhielten. Nur wenigen Komikern war es vergönnt, sich zwischen diesen beiden Lagern eine eigene Nische einzurichten. Einer dieser wenigen war Vicco von Bülow, besser bekannt als Loriot. Mit einer gewissen weltmännischen Distinguiertheit, die den Spross eines alten mecklenburgischen Adelsgeschlechts umgab, erschuf er eine spitzfindige Komik, die spezifisch deutsch daherkam. Trotz seines, durch seinen Fernsehruhm begründeten, großen Erfolgs blieben Kinoausflüge für den am 22. August 2011 mit 87 Jahren Verstorbenen Mangelware. Nur zwei Mal wagte sich das Ausnahmetalent ins grelle Licht der Filmprojektoren. Schade, denn gerade mit seinem zweiten Spielfilm „Pappa ante Portas" von 1991 hat Loriot eine ausgezeichnete Kino-Komödie abgeliefert.

    Mit einer Anschaffung von Schreibmaschinenpapier, das für die nächsten 40 Jahre reicht, glaubt der pflichtbewusste Heinrich Lohse (Loriot) seiner Firma das Geschäft des Jahres beschert zu haben. Zu seinem Leidwesen sieht die Unternehmensleitung dies allerdings ganz anders und so findet Lohse sich plötzlich im nicht ganz freiwilligen Vorruhestand wieder. Ohne einen Schimmer, was er mit der neugewonnen Freizeit anfangen soll, sieht der Frührentner die eigene Aufgabe fortan darin, seine jahrzehntelange Erfahrung als Einkaufsdirektor der Deutschen Röhren AG in den Dienst des dreiköpfigen „Familienunternehmens" zu stellen. Davon sind seine Ehefrau Renate (Evelyn Hamann) und Sohn Dieter (Gerrit Schmidt-Foß) allerdings wenig angetan, stürzt das übereifrige Familienoberhaupt den bisher bestens organisierten Haushalt doch schon mit seinem ersten Familieneinkauf ins Chaos. Nach einem lauten Streit in einer Gaststätte beschließt Renate, dass es so nicht weitergehen kann. Aber gibt es für Lohse ein Leben nach dem Job?

    Sei es das monotone Eheleben oder ein profaner Senf-Einkauf: „Pappa ante Portas" erkundet mit hintergründigem Humor die Fallstricke zwischenmenschlicher Kommunikation. Dieses (für ein Lustspiel) tückische Terrain bearbeitet Loriots zweite Regie-Arbeit dabei mit dem gleichen mühelosen Charme, der schon seine Fernsehsketche und sein Regiedebüt „Ödipussi" zu Klassikern gemacht hat. Der skurrile Witz, den der Regisseur in ganz alltäglichen Situationen ausmacht, kann sich auch auf der großen Leinwand erneut sehen lassen. Auch die Chemie zwischen Hamann und Loriot ist wieder einmal unvergleichlich und zeugt vom blinden Verständnis des Darstellerduos untereinander. Beide arbeiten einander während ihrer spitzen Dialoge zu und das Timing sitzt perfekt. Sei es während einer Pralinenverkostung oder einem Besuch zweier Hausierer, die vom Weltuntergang künden: Oftmals werden Szenen nicht einmal ausgespielt, sondern liegen gelassen, was den staubtrockenen, lakonischen Witz dieses Werkes stiftet.

    Gekonnt seziert das Drehbuch, für das ebenfalls Loriot verantwortlich zeichnete, wieder die kleinen und großen Macken seines Figurenensembles. In zahlreichen Nachrufen war über den kürzlich Verstorbenen zu lesen, dass seine Komik sich darüber ausgezeichnet hätte, dass sie auf allzu offenen Spott verzichtete. Doch das will sich beim genaueren Hinsehen nicht bestätigen. Vielmehr verteilt sich die Häme bei Loriot zu gleichen Teilen auf alles und jeden. Niemand war vor dem entlarvenden Blick Vicco von Bülows gefeit, welcher mit chirurgischer Präzision die Schwächen seiner Mitmenschen bloßlegte, ohne sie dabei bloßzustellen. Die kleinen Sticheleien verkommen dabei jedoch nie zu rabiaten Schlägen unter die Gürtellinie, ohne die heute kaum noch eine Komödie auszukommen scheint.

    Bei allem Lob: Die Geschichte um Heinrich Lohses Vorruhestand ist kaum mehr als ein Rahmen für eine charmante Nummernrevue. Gelegentlich ließen bereits Loriots Fernseh-Sketche eine gelungene Schlusspointe vermissen. Nun verzeiht eine episodische TV-Reihe ein solches Defizit gewiss eher, als ein für sich stehender Kinofilm. Und tatsächlich: Einen vollends zufrieden stellenden Schlussakt, der die Brillanz der vorhergehenden Szenen komplettiert, ermangelt leider auch „Pappa ante Portas". Zwar ist das Ende durchaus versöhnlich, doch auch etwas nichtssagend. Dennoch wurden offensichtlich Lehren aus dem Vorgänger „Ödipussi" von 1989 gezogen, hatte dieser doch mit einigem Leerlauf zu kämpfen. Dahingegen werden die einzelnen Ideen in „Pappa ante Portas" schneller zu einer stimmigen Geschichte zusammengeführt.

    Wie dem auch sei - Kult ist ein Wort, welches dieser Tage leider geradezu inflationär gebraucht wird. Wenn es allerdings überhaupt auf eine deutsche Komödie der vergangenen 25 Jahre zutrifft, dann mit Sicherheit auf diese. „Pappa ante Portas" ist ein blendendes Stück Komödienkino, wie man es heute leider oft vergebens sucht und das filmische Testament eines einmaligen und unvergessenen Humoristen.

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