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    In die Welt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    In die Welt
    Von Martin Thoma

    Wer sich die Frage nach dem Sinn des Lebens stellt, das merkte auch schon die Komiker-Truppe Monty Python in ihrem Klassiker Der Sinn des Lebens an, beginnt am besten mit dem Wunder der Geburt. Nach pythonscher Lesart ereignet sich dieses hinter einem Wall von technischen Gerätschaften, wobei sich Klinikleitung und Ärzte allein für die Maschine, die Bing macht, interessieren. Monty Pythons satirischer Blick ist erfrischend, denn meistens sind Filme zum Thema Geburt stark ideologisch geprägt, betulich oder gleich beides. Auf ganz andere Art ebenso erfrischend ist Constantin Wulffs Dokumentarfilm „In die Welt“. Dieser zeigt die Abläufe in einer modernen Wiener Geburtsklinik und was eine Geburt heute für Eltern sowie professionelle Helfer bedeutet ohne falsche Scham und übertriebenes Pathos.

    „In die Welt“ begleitet werdende Mütter, die unter unterschiedlichen Voraussetzungen und Bedingungen ein Kind bekommen. Der Film beleuchtet ihre Lebenssituationen und folgt ihnen auf verschiedene Stationen der Geburtsklinik, allerdings keiner von ihnen vom Anfang bis zum Ende. Diese Erzählweise betont die allein aufgrund der Arbeitsteilung letztlich anonymen Abläufe in der Klinik und trägt zur atmosphärischen Dichte der Dokumentation bei. Der Film ist ausschließlich, was die Kamera festgehalten hat. Es gibt außer dem Originalton keine Tonspur, also weder einen Off-Kommentar noch Musik. Entscheidend ist allein, welche Situationen der Regisseur filmt, was von dem Material er auswählt und wie er es zusammenstellt.

    Das Gezeigte dürfte die Schmerzgrenze mancher Zuschauer überschreiten. Wulff filmt eine Geburt fast in voller – ja, qualvoller – Länge. Und in jenem Moment während einer Ultraschalluntersuchung, in dem der Arzt der werdenden Mutter sagt, dass ihr Kind einen Herzfehler haben wird, ist die Kamera auf ihr Gesicht gerichtet. Auch ein Kaiserschnitt ist komplett dokumentiert, wobei die Schweißtropfen auf den Stirnen der Operierenden genauso registriert werden wie die ausführliche Sterilisation von Händen und Armen vor dem Betreten des OP-Saals.

    Es wäre völlig verfehlt, Wulff Voyeurismus vorzuwerfen. Er guckt eben nur ganz genau hin. Die Geburt etwa stellt der Film keineswegs dramaturgisch platt an Anfang oder Ende, um einen reißerischen Effekt zu erzielen. Sie gehört für Wulff ganz selbstverständlich zu den Dingen, die eben gezeigt werden müssen. Zum Gesamtbild gehören ebenso selbstverständlich die nicht unkomischen, aber dennoch keineswegs denunziatorischen bürokratischen Abläufe im Klinikbetrieb.

    Handwerklich ist der Film hervorragend. So findet die Kamera während der Geburtsszene noch die richtige Einstellung, in der man den Vater des Kindes im Hintergrund mit der Gebärenden mitleiden sieht. Solche unaufgesetzt komischen Momente tauchen immer wieder auf und sorgen mit dafür, dass der Zuschauer nie das Gefühl bekommt, in einer drögen Biologiestunde gelandet zu sein. Im Anschluss an die Geburt zeigt der Film – und das ebenso ausführlich – die Neugeborenenstation.

    Das vielstimmige Babygeschrie auf der Tonspur lässt keinen Zweifel daran, dass der Weg in die Welt für jeden Menschen auch eine Zumutung ist. Der Moment, in dem eine Pflegerin einer jungen Mutter zwischen Glück und Hilflosigkeit routiniert zeigt, wie sie ihr Baby baden muss, und sich das schreiende Etwas von einem Augenblick zum nächsten in ein völlig glückliches Geschöpf verwandelt, ist ohne Wenn und Aber großes emotionales Kino.

    Fazit: „In die Welt“ ist ein Dokumentarfilm, der nicht behauptet, sondern zeigt. Er suggeriert keine falschen Gefühle oder Botschaften, er bildet ausführlich, sachlich und sehr gekonnt die wahren Emotionen ab. Ohne eine Spur von Mystizismus gelingt es ihm, das Wunder der Geburt (und dessen Bewältigung) als solches darzustellen.

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