Mein Konto
    Affären À La Carte
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Affären À La Carte
    Von Martin Thoma

    Es gibt bekanntlich deutsche Verleihtitel, die selbst der schlechteste Film nicht verdient. „Affären à la Carte“ als sinnfreie „Übertragung“ des vieldeutigen französischen „Le code a changé“ ist so ein Fall. Wahrscheinlich soll er die möglichen Rezipienten mit der Aussicht auf eine Komödie aus den Kreisen der in kulinarischen wie amourösen Angelegenheiten vermeintlich so genussfreudigen französischen Bourgeoisie locken. Und tatsächlich geht es um materiell gut bis sehr gut gestellte Pariser, von denen manche sogar auch eine Affäre haben. Regisseurin Danièle Thompson nimmt Klischees dabei zwar ihrerseits durchaus billigend in Kauf, aber alles in allem ist „Affären à la Carte“ eine der intelligenteren Beziehungskomödien, die einen weniger einfallslosen deutschen Namen verdient gehabt hätte.

    Es ist der 21. Juni und auf den Straßen feiert man die Fête de la Musique. ML (Karin Viard), Karrierefrau und Scheidungsanwältin, und ihr seit kurzem arbeitsloser Gatte Piotr (Dany Boon, Willkommen bei den Sch'tis) geben eine Dinnerparty in ihrer schicken, frisch renovierten Wohnküche. Die Gäste: der Architekt Jean-Louis (Laurent Stocker, Zusammen ist man weniger allein), ein junger Mann, der während seiner Arbeit an der Küche eine Affäre mit ML begonnen hat; MLs Schwester Juliette (Marina Hands, „Lady Chatterley“), die ihren Vaterkomplex und ihren 30 Jahre älteren Freund Erwann (Patrick Chesnais) mit dabei hat; das Ärztepaar Mélanie (Marina Foïs) und Alain (Patrick Bruel, Ein Geheimnis), in deren Ehe es kriselt, weil er seine Arbeit und sie seine daraus resultierende Niedergeschlagenheit nicht mehr ertragen kann; Mls Tanzlehrerin Manuela (Blanca Li) und als Stargast der gefürchtete Strafverteidiger Lucas (Christopher Thompson), der ML während des Essens dafür begeistern möchte, als Partner in die Kanzlei einzusteigen. Seine Noch-Frau Sarah (Emmanuelle Seigner) erscheint ebenfalls, obwohl er sie nicht dabei haben wollte. Überraschend auch im Haus ist Henri (Pierre Arditi, Herzen), der Vater von ML und Juliette. Er bleibt aber von der Feier ausgeschlossen, weil Juliette ihn seit Teenagerzeiten für den Tod ihrer Mutter verantwortlich macht...

    Das gesellige Zusammensein wird zum Katalysator für diverse Beziehungsprobleme. Regisseurin Danièle Thompson und ihr Sohn Christopher, die wie auch schon bei Ein perfekter Platz und „Jet Lag – Oder wo die Liebe hinfliegt“ gemeinsam das Drehbuch verfassten, setzen die unterschwelligen Spannungen in einen sich über mehrere Jahre hinziehenden Handlungszusammenhang, der dazu mit ein paar handfesten Schicksalsschlägen angereichert wird. Als ML ein Jahr später die Feier mit den gleichen Gästen wiederholen möchte, haben sich daher nicht nur die Frisuren der Protagonisten geändert.

    Der Film zeigt die Angehörigen einer gesellschaftlichen Schicht ohne materielle Probleme, die sich in bösartigen Dialogen selbst demaskieren - Chabrol für Anfänger gewissermaßen. Es ist also nicht unbedingt originell, wenn hier um die Wette geheuchelt wird und die Figuren sich gleichzeitig auf manchmal keineswegs subtile Weise gegenseitig genau dafür angreifen. Die Sticheleien wirken vor allem am Anfang zuweilen ein bisschen zu aufgesetzt, wie zum Ausgleich fällt die zweite Hälfte des Films dafür deutlich zu versöhnlich aus. Doch die Bosheiten bleiben witzig und die Sentimentalitäten im kitschfreien Bereich. Anders als das Vorbild Chabrol (Die zweigeteilte Frau, Kommissar Bellamy) ist Thompson kaum an einem gesellschaftskritischen oder psychologischen Subtext interessiert und begnügt sich mit unkomplizierter, leichter Unterhaltung.

    Die recht dicht am Klischee angelegten Figuren funktionieren dank sehr ordentlicher Darstellerleistungen. Nur die Tanzlehrerin Manuela, die eine Art positives Gegenbeispiel zu den Neurotikern und Intriganten abgeben soll (das im Übrigen gar nicht nötig ist), bleibt erschreckend blass. Da hilft auch Blanca Lis markantes Gesicht nichts. Ihre nur sehr grob skizzierte Krebserkrankung inklusive Heilung ist sogar ein richtiges Ärgernis, insbesondere weil es der zweite heftige Schicksalsschlag ist, den die Thompsons bemühen, um die Ehe des Ärztepaares zu retten. Karin Viard (Delicatessen) als starke und zugleich verletzliche ML sowie vor allem Emmanuelle Seigner (Frantic, Schmetterling und Taucherglocke) als verträumte, aber geradlinige Sarah hinterlassen dagegen in besser ausgestalteten Rollen einen bleibenden Eindruck.

    „Affären à la Carte“ wartet mit einigen erinnerungswürdigen Szenen und Ideen auf. Ein solches Kleinod ist etwa Sarahs vom Ehemann ungewünschtes Auftauchen auf der Feier. Sie führen ihren Ehekrieg weit jenseits gesellschaftlicher Codes. Während er sie als unzurechnungsfähiges Dummchen hinstellt, gibt sie – wie zur Bestätigung – mit provokanter Attitüde distanzlos Weisheiten aus ihren Therapiestunden weiter. Zufälligerweise ist Sarah zudem eine Jugendliebe von Piotr, der den Konventionen des Scheinwahrens ebenso herzlich abgeneigt ist wie sie. Kaum sitzt die restliche Feierrunde am Tisch, fallen die beiden im alten, von Herzen kommenden Einverständnis übereinander her.

    Selbstverständlich treffen auch Juliettes Vater und ihr neuer Freund aufeinander, ohne dass der Erstgenannte wüsste, mit wem er es zu tun hat. Das blinde Verständnis der in etwa gleich alten Herren und ihre falsche Rebellenpose wird in einer der lustigsten und einprägsamsten Szenen mit mildem Spott dargestellt. Allerdings sind die beiden Senioren im Vergleich zum Rest des Personals deutlich zu sympathisch gezeichnet und ganz besonders Patrick Chesnais’ (Man muss mich nicht lieben) knautschiger Charme nervt im weiteren Verlauf langsam.

    Fazit: „Affären à la Carte“ ist eine unterhaltsame Beziehungskomödie mit geistvollen Höhen und klischeehaften Tiefen. Hoch anzurechnen ist den Filmemachern, dass sie die wichtige und oft durchaus hilfreiche Funktion von Lügen und Scheinheiligkeiten in den menschlichen Beziehungen aufzeigen. Eine differenzierte Position, die intelligenter ist als der deutsche Verleihtitel vermuten lässt.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top