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    Der Dorflehrer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Der Dorflehrer
    Von Christian Schön

    Mit Brokeback Mountain und Milk hat Hollywood in den vergangenen Jahren zwei bemerkenswert erfolgreiche Filme hervorgebracht, die sich des Themas Homosexualität auf ihre ganz eigene Art annehmen. Ihr Erfolg steht in umgekehrtem Verhältnis zu der Verdrängung der Fragestellung im gesellschaftlichen Alltag. Im Gegensatz zu den vorherrschenden Klischees des Andersseins zeichnen Ang Lee und Gus van Sant Bilder von „normalen“ Menschen, in die sich jeder problemlos einfühlen können soll. Gerade im weitgehend von strengen Moralvorstellungen geprägten Amerika sind diese Strategien sicher sinnvoll. Aber auch hierzulande entpuppt sich der viel beschworene Toleranzgedanke bei genauerem Hinsehen allzuoft als pseudoliberale Haltung, die vor allem theoretisch bleibt, denn gesellschaftliche Nischenbildung vereinfacht das Ausblenden des Fremden und vom eigenen Lebensentwurf Abweichenden für jeden einzelnen. Der tschechische Regisseur Bohdan Sláma unternimmt in seinem Drama „Der Dorflehrer“ nun seinerseits einen Versuch der Wendung ins Allzumenschliche und meint es dabei etwas zu gut: Mit überdeutlicher Symbolik posaunt Sláma permanent die „Moral von der Geschicht“ heraus. Zudem fehlt es der Erzählung um einen homosexuellen Lehrer an innerer Spannung, um das Interesse der Zuschauer über die ganze Spieldauer aufrechtzuerhalten.

    Der etwa 30-jährige Lehrer Petr (Pavel Liška) kehrt der Stadt Prag und seinem alten Leben den Rücken, um in einem kleinen Dorf sein Glück und Ruhe zu finden. Er wird an der dortigen Schule engagiert und kommt notdürftig unter. Durch Zufall lernt er Marie (Zuzana Bydžovská) und Lada, deren Sohn im Teenageralter (Ladislav Šedivý), kennen, mit denen er sich schnell anfreundet. Besonders mit der Frau, die bereits vor längerer Zeit ihren Mann verloren hat, versteht sich der Dorflehrer auf Anhieb gut. Als Marie jedoch einen Annäherungsversuch unternimmt, weist er sie schroff zurück. Sie glaubt, es läge daran, dass sie deutlich älter ist als der Lehrer. Einige Zeit später bekommt Petr Besuch von einem Freund (Marek Daniel) aus Prag. Dieser entpuppt sich als der Ex-Geliebte des Dorflehrers und macht ihm erneut Avancen. Petr unterbindet dies jedoch und bittet um Stillschweigen über seine Homosexualität. Während eines Dorffestes kommt es zu einem kleinen Gerangel, bei dem klar wird, dass sich der Dorflehrer eigentlich in Lada verliebt hat…

    Ein gewisser Hang zur Melancholie, zum Weltschmerz, der sich schon durch die Vorgängerfilme „Wilde Bienen“ und Die Jahreszeit des Glücks zieht, prägt auch das neueste Werk von Bohdan Sláma. Der Urgrund allen Schmerzes findet sich dabei stets in unmöglichen oder gescheiterten zwischenmenschlichen Beziehungen. Diesen unglücklichen Leidenschaften wird in „Der Dorflehrer“ jedoch etwas entgegengehalten: Bildung und Wissen. In einer Schlüsselszene erklärt der Lehrer seinen Schülern, dass die Arbeiterinnen eines Bienenvolkes zum Wohl der Gemeinschaft ganz bewusst auf ihre Geschlechtlichkeit verzichten. Über weite Strecken des Films entspricht das Verhalten des Dorflehrers genau diesem Vorbild. Da ihm bisher alle Versuche eine erfüllte Partnerschaft zu führen misslangen, übt er sich in Abstinenz.

    Mit dem Aufkeimen der Liebe des Lehrers zu Maries Sohn erweist sich der Fluchtversuch in die Enthaltsamkeit als illusionär. Wenn Petr Lada Nachhilfe in Mathematik gibt, dann geht dieser Unterricht über das reine Lösen von Rechenaufgaben hinaus. Diese besondere Lehrer-Schüler-Konstellation folgt einer philosophiegeschichtlichen Tradition, die bis ins antike Griechenland zurückreicht. So war Sokrates in seinem Zirkel das erotische Zentrum, um das sich seine (männlichen) Schüler scharten. Die sokratische Technik der Mäeutik, der Hebammenkunst, lässt sich in eine Sprache der Sexualität übersetzen, die gegen die Geschlechtslosigkeit des Geistigen steht: Der Lehrer dringt metaphorisch in seine Schüler ein, um die Wahrheiten, die in diesen verborgen liegen, ans Tageslicht zu befördern. Und so drängt auch zwischen Petr und Lada das Unterschwellige an die Oberfläche.

    Slámas Versuche, seine Geschichte durch solche Verweise zu einer fast gleichnishaften Erzählung über die menschliche Natur zu verdichten, wirken angestrengt, einiges im randvoll mit Bildern und Symbolen steckenden „Dorflehrer“ ist überdeterminiert. Emotionale Prägnanz wird zugunsten eher theoretischer Ideen vernachlässigt, aber die gelehrt daherkommende Bedeutungsfülle kann auch beeindrucken - wie die Auszeichnung des Drehbuchs mit dem Tschechischen Löwen beweist. Auch Zuzana Bydžovská erhielt im Übrigen diesen Preis für ihre Rolle als Marie. Es ist in der Tat Pavel Liška („Die Rückkehr des Idioten“, „Die Jahreszeit des Glücks“) in der Titelrolle und ihr zu verdanken, dass der Film trotz der überfrachteten Handlung ein gewisses Identifikationspotential entfaltet. Die außergewöhnlichen und einfühlsamen Darstellerleistungen sind die großen Pluspunkte von „Der Dorflehrer“.

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