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    Der Vater meiner Kinder
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Der Vater meiner Kinder
    Von Andreas Staben

    Im Februar 2005 nahm sich der unabhängige Filmproduzent Humbert Balsan das Leben. Seine Firma drückten existenzbedrohende Schulden und er litt unter Depressionen. Der umtriebige Kinomacher, der mit Größen wie Youssef Chahine, Bela Tarr, Claire Denis, James Ivory und Lars von Trier zusammenarbeitete, steckte dennoch bis zuletzt voller Pläne. Eines seiner nächsten Projekte sollte „Tout est pardonné" werden, das Regiedebüt der Schauspielerin und Kritikerin Mia Hansen-Løve, das nach Balsans Tod anderweitig realisiert werden konnte und in Frankreich einen Achtungserfolg erzielte. Die Filmemacherin hat die Unterstützung und den Enthusiasmus des engagierten Produzenten nie vergessen und so reifte in ihr die Idee zu dem Drama „Der Vater meiner Kinder". Das in der Pariser Independent-Kino-Szene angesiedelte Werk ist eine fiktionalisierte Hommage an die Produzentenpersönlichkeit Balsan, aber es ist noch viel mehr als ein filmischer Schlüsselroman. Der mit ruhiger, tiefe Gefühle nicht ausschließender Eleganz inszenierte Film ist gleichermaßen das zärtliche und präzise Porträt eines Milieus und einer Familie. Eine berührende Geschichte über Leben und Tod, Abwesenheit und Neubeginn.

    Grégoire Canvel (Louis-Do de Lencquesaing) ist Filmproduzent aus Leidenschaft. Sein Herz gehört der Kunst und nicht dem Kommerz. Für die Regisseure und die Werke, an die er glaubt setzt er sich mit ganzer Kraft ein und geht mit Überzeugung bei Banken und Verleihern Klinken putzen. Seine Frau Sylvia (Chiara Caselli) und die drei Töchter Clémence (Alice de Lencquesaing), Valentine (Alice Gautier) und Billie (Manelle Driss) kommen dabei manchmal etwas kurz, dennoch ist er ein liebevoller Familienvater. Als der Schuldenberg seiner Firma Moon Films so stark anwächst, dass Rettung nur noch durch den Verkauf des Filmkatalogs möglich scheint, steht Grégoire vor einer schwierigen Entscheidung...

    Die Plakate, die in den engen Räumen der kleinen Produktionsfirma an den Wänden hängen, geben nicht nur einen Eindruck davon, welche Art Kino dort zuhause ist, die Titel der imaginären Filme, die sie repräsentieren, charakterisieren auch „Der Vater meiner Kinder" selbst. Am wichtigsten ist dabei wohl „La Fracture", denn ein Bruch erschüttert auch Mia Hansen-Løves erzählerisches Gefüge. Die Regisseurin und Drehbuchautorin setzt sich über alle dramaturgischen Konventionen hinweg und platziert fast genau in der Mitte ihres Films ein Ende und einen radikalen Neubeginn, so dass wir es mit zwei ganz unterschiedlichen Filmhälften zu tun haben. Im ersten Teil lernen wir den Produzenten Canvel kennen, den charismatischen, immer in Bewegung befindlichen Macher, der leise Zeichen der Erschöpfung charmant überspielt und auch mal mit zwei Handys gleichzeitig hantiert. Er muss Künstleregos ebenso besänftigen (der „geniale skandinavische Regisseur" ist eine Anspielung auf Lars von Trier) wie ungeduldige Kreditgeber und er macht aus jeder Not eine Tugend. Der unabhängige Filmproduzent wird in der Darstellung des unwiderstehlichen Louis-Do de Lencquesaing zu einem (Anti-)Helden der etwas anderen Art.

    Nach dem Bruch verschiebt sich der Schwerpunkt von der Ersatzfamilie des Produktionsbüros auf die verwandtschaftlichen Bande zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern. Die zunächst nur selten von lyrischen Einsprengseln unterbrochene hektische Anspannung weicht naturgemäß einer ruhigeren Grundstimmung. Nun steht die gefasste und pragmatische Sylvia im Mittelpunkt, auch darstellerisch wird von der unter innerer Spannung stehenden Chiara Caselli („Birdwatchers", „My Private Idaho") mit konzentriert kontrolliertem Spiel ein Kontrapunkt gesetzt. Dabei geht Hansen-Løve keinesfalls so schematisch vor wie sich das in der Zusammenfassung anhören mag, sie folgt vielmehr dem Motto, das sie auf einem weiteren der Plakate zu Grégoires Produktionen selbst in ihren Film eingeschmuggelt hat: „The Journey Is the Destination", der Weg ist das Ziel. Das mag fast ein wenig abgeschmackt klingen (ähnlich wie der Abspann-Song „Que sera,sera"), aber es ist natürlich auch die Maxime für eine ultimative erzählerische Freiheit und Offenheit. Vor allem bei der Arbeit mit den Schauspielern wird dieses Credo auf die schönste Weise wahr.

    Hansen-Løve verbleibt dabei stets in mitfühlender und sympathisierender Distanz zu allen ihren Figuren, so entkräftet sie den bei einem solchen Blick hinter die Kulissen des eigenen Metiers naheliegenden Verdacht einer reinen Nabelschau. Aber sie gehört nicht nur wegen ihrer Vergangenheit als Mitarbeiterin der Cahiers du Cinéma (für die nach den berühmten Regisseuren der Nouvelle Vague wie Truffaut, Godard und Rohmer einst auch Hansen-Løves Lebensgefährte Olivier Assayas Kritiken verfasste ehe auch er selber Filmemacher wurde) klar in die Tradition des französischen Autorenfilms. Ihr Stil ist ganz und gar persönlich, einzig von der Suche nach der inneren Wahrheit der Bilder und Situationen bestimmt. So sind viele der schönsten Momente improvisiert oder scheinen es zu sein – das Herumtollen Grégoires mit seinen kleinen Töchtern, die Besichtigung einer Kirche oder ein Abendessen bei Stromausfall. Und wenn die älteste Tochter der Familie am Ende ihre eigene Leidenschaft für das Kino und seine Künstler entdeckt, dann tritt sie damit das Erbe beider Eltern an. Film und Leben, Vergangenheit und Zukunft werden in dieser lichtdurchfluteten Kinoperle kunstvoll und doch wie selbstverständlich versöhnt.

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