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    Deliver Us From Evil
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Deliver Us From Evil
    Von Florian Koch

    Ole Bornedal ist der Beweis dafür, dass Totgesagte doch länger leben. Lange Zeit sah es danach aus, dass dem dänischen Thriller-Experten die gleiche unvollendete Karriere bevorstehen sollte wie dem Niederländer George Sluizer. Beide machten mit einem mitreißenden Film (Sluizer mit „Spurlos verschwunden“, Bornedal mit „Nachtwache“) auf sich aufmerksam und zerstörten ihren Ruf wenig später mit einem geistlosen Hollywood-Remake des eigenen Werks. Während Sluizer sich von dem Misserfolg nie mehr richtig erholte, zeigte Bornedal 2002 mit dem sündhaft teuren Historiendrama „Dina - Meine Geschichte“ letzte Regielebenszeichen. Doch das Werk floppte, an Bornedal, den einstigen Hochspannungsmeister glaubte keiner mehr. Bis er vor zwei Jahren mit dem clever konstruierten, schwarzhumorigen Krimi Bedingungslos auf Festivals rund um den Globus reüssieren konnte. Die Kreativwut war wieder geweckt. Bornedal legte noch im selben Jahr mit dem mäßigen Alien Teacher nach und wagt sich jetzt mit „Deliver Us From Evil“ an einen härteren Stoff. Sein fieser Thriller um gesellschaftliche Abgründe in einem kleinen Dorf überzeugt mit einem originellen, selbstreferentiellen Prolog und einem konzentrierten Spannungsaufbau. Nur im Showdown entgleitet Bornedal der Film. Hier zeigt er eine brutale Over-the-Top-Horrorshow, die sich dazu noch am Rande des Plagiats bewegt.

    Gleich zu Beginn bricht Bornedal mit klassischen Krimierzählmustern und macht dem Zuschauer die allgemeingültige Konstruktion der Handlung deutlich. Eine schnippisch dreinblickende Frau sieht direkt in die Kamera und führt den Zuschauer ganz nüchtern in die Filmwelt ein. Da gibt es Lars (Jens Andersen), einen schäbigen Truckfahrer, Trinker und Schläger, der mit der Welt bereits abgeschlossen hat. Und seinen Gegenpart, den freundlichen, gut situierten Johannes (Lasse Rimmer), der sich mit seiner Frau Pernille (Lene Nystrom) und den beiden Kindern in seinem beschaulichen Heimatdorf in Westjütland eine neue Existenz aufbauen will. Was die beiden Männer eint, ist ihre Bruderschaft, aber ausgetauscht haben sie sich seit langem nicht mehr. Bereits früh macht die Erzählerin hier exemplarisch deutlich, was für eine bestimmende Rolle der Zufall im Leben spielt. Wie sehr er die Lebensentwürfe zweier Menschen mit den gleichen Voraussetzungen endgültig verändern kann. Und wie eine scheinbar friedliche Dorfgemeinschaft in Trümmer zerfällt, wenn ein undenkbares Ereignis eintritt.

    Ein solches ist der Tod der bigotten Anna. Sie wird von Lars in einem unachtsamen Moment auf einer völlig verlassenen Straße überfahren. Die ältere Dame war die gute Seele des Dorfes, das ein und alles ihres psychisch schwer gestörten Mannes Ingvar (Mogens Pedersen). Jetzt steht der Bürgerwehr-Veteran vor dem Nichts, ein Schuldiger muss gefunden werden. Lars, der seine fürchterliche Tat verzweifelt zu vertuschen versucht, hat einen teuflischen Plan: Er stellt einfach die Behauptung auf, dass der unbeliebte Balkanflüchtling Alain (Bojan Navojec) seinen Truck an jenem tragischen Tag gefahren habe. Der rasende Ingvar kauft ihm die gemeine Lüge ab und organisiert einen Lynchmob, um Alain zur Rechenschaft zu ziehen. Gegen die Selbstjustizaktion des Dorfpöbels stemmt sich lediglich Johannes, der Alain bei sich hat arbeiten lassen. In seinem Haus will er den eingeschüchterten Mann verstecken, bis die Polizei kommt. Doch Ingvar und sein nach Blut dürstender Anhang stehen bereits vor seiner Tür und verlangen Einlass…

    Bornedal greift in „Deliver Us From Evil“ viele Themen auf: Schuld und Sühne, falsch verstandene Solidarität, das verheerende Phänomen der Gewaltspirale bis hin zu rassistischen Ressentiments in der dänischen Gesellschaft. Diese sozialen und politischen Brennpunkte verpackt er geschickt in einen mitreißenden Thriller, der sich stetig steigert und von seiner glänzenden Inszenierung lebt. Die formale Könnerschaft Bornedals war bereits in Bedingungslos zu bewundern. In „Deliver Us From Evil“ setzt sich dieser Trend fort. Von den ausgeklügelten, bedrohlichen Einstellungen über die geschickt eingesetzten Farbfilter bis hin zu eleganten Kamerafahrten und einer stimmungsvoller Musik. Formal ist „Deliver Us From Evil“ in jeglicher Hinsicht gelungen.

    Auch die Darsteller überzeugen durch die Bank weg. Bornedal setzt nicht auf bekannte dänische Filmstars wie Ulrich Thomsen oder Mads Mikkelsen, sondern auf charismatische Newcomer. Besonders Jens Andersen als heruntergekommener, schwitzender Außenseiter und Pernille Vallentin als seine apathische, in Selbsthass versunkene Freundin stechen mit ihren Glanzleistungen aus dem exzellenten Ensemble heraus.

    Die Inszenierung von Bornedal ist häufig von großer Kraft und Authentizität geprägt - am eindrucksvollsten vielleicht in den unangenehmen Bierzeltpassagen, in denen Alain von der rassistischen Dorfunterschicht verhöhnt wird. Leider kann Bornedal sein Faible für dreckige Gesellschaftsstudien der 70er Jahre wie John Boormans Beim Sterben ist Jeder der Erste nicht ganz verhehlen. Schlimmer noch, im Showdown werden die Thriller-Experten unter den Zuschauern von Déjà-vu-Erlebnissen geradezu geplagt, wenn ganze Sequenzen an Sam Peckinpahs Meisterwerk Wer Gewalt sät erinnern. Bornedals gewalttätige Übersteigerung und unverfrorene Nachahmung des Thrillerklassikers mindert die Glaubwürdigkeit von „Deliver Us From Evil“, was die spannende und wendungsreiche Geschichte aber keinesfalls gänzlich zerstört.

    Fazit: „Deliver Us From Evil“ beweist einmal mehr, welch großes handwerkliches Talent der dänische Thrillerspezialist Ole Bornedal besitzt. Facettenreiche Charaktere, eine unheilvolle Atmosphäre und einige extrem packende Sequenzen kennzeichnen seine gesellschaftskritische Studie. Nur im Showdown vergaloppiert sich der Regisseur ein wenig in übertriebenen Gewaltexzessen und platten Filmverweisen.

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