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    Bal - Honig
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Bal - Honig
    Von Christoph Petersen

    Nur wenige Regisseure waren bei der prestigeträchtigen Troika der renommiertesten europäischen Filmfestivals vertreten, Semih Kaplanoglu hat es sogar mit den drei Teilen einer Trilogie geschafft: „Yumurta" („Egg"), der die Film-Reihe um den Protagonisten Yusuf eröffnete, lief 2007 in Cannes, der Nachfolger „Süt" („Milk") 2008 in Venedig. Und der Abschluss der Yusuf-Trilogie ist nun in Berlin zu sehen: Das türkische Drama „Bal" („Honey") feierte seine Weltpremiere im Wettbewerb der Jubiläumsberlinale 2010. Im Zentrum der drei Filme steht Yusuf – in „Yumurta" ist er erwachsen, in „Süt" ein Student und in „Bal" ein kleiner Junge, der gerade eingeschult wurde. Wie beim Schälen einer Zwiebel will der Regisseur seine Hauptfigur nach und nach enthüllen und mit jedem weiteren Film neue, zuvor noch verborgene Schichten freilegen. So ergeben sich spannende Querverweise zwischen den einzelnen Teilen der Trilogie, aber auch als für sich alleinstehender Film begeistert „Bal" mit einer einfühlsamen Inszenierung und einer traumhaft schönen Fotografie.

    Der sechsjährige Yusuf (Bora Altas) lebt mit seiner Mutter Zehra (Tülin Özen) und seinem Vater Yakup (Erdal Besikcioglu), einem Bienenzüchter, in einer abgelegenen Berggegend. Yakups Job führt auch Yusuf immer wieder in die umliegenden Wälder, die ihm wie ein magischer Ort voller Abenteuer erscheinen. In der Schule fühlt er sich hingegen weit weniger wohl. Sein Lehrer verteilt rote Anstecker an alle Schüler, die sich getraut haben, laut vorzulesen. Yusuf ist aber so aufgeregt, dass er jedes Mal zu stottern anfängt, weshalb ihn seine Klassenkameraden auslachen. Der Junge zieht sich immer mehr in sich zurück und wird so zwangsläufig zum Außenseiter. Dabei kann er eigentlich ganz gut lesen. Wenn er mit seinem Vater zusammen ist, sich sicher und geborgen fühlt, dann liest Yusuf jeden Morgen laut und klar die Kalenderblätter vor, die draußen im Schuppen hängen. Weil der Honig in diesem Jahr nicht gerade in Strömen fließt, muss Yakup in einen weiter entfernten Wald, um dort in luftiger Höhe seine Bienenkörbe anzubringen. In zwei Tagen will er zurück sein. Doch auch nach einer Woche bleibt Yakup verschollen...

    Semih Kaplanoglu will in Interviews nicht öffentlich bestätigen, dass die drei Yusufs aus „Yumurta", „Süt" und „Bal" tatsächlich ein und dieselbe Person sind. Dies hat für den Zuschauer den großen Vorteil, die Filme vollkommen frei deuten zu können. Entweder sucht man nach Querverweisen, von denen die meisten deutlich subtiler daherkommen als die Tatsache, dass Yusuf in „Bal" Eier sammelt und seine Milch nicht austrinken will. Oder man lässt sich stattdessen einfach auf die rührende Geschichte eines kleinen Jungen ein, der seinem geliebten Vater mit einem roten Anstecker eine Freude machen möchte. Dass dieses Einlassen ausgesprochen leicht fällt, liegt nicht nur am Einfühlungsvermögen des Regisseurs, sondern auch an den grandiosen Bildern von Kameramann Baris Özbicer, die einen geradezu meditativen Sog entwickeln. Selten sah ein Wald auf der Kinoleinwand so saftig und verheißungsvoll, zugleich aber auch so fremdartig und bedrohlich aus. Diesen Stil, eine ganz und gar bodenständige Geschichte vor einem beinahe mystischen Hintergrund zu erzählen, bezeichnet der Regisseur selbst in Ermangelung eines besseren Wortes vorläufig als „Spirituellen Realismus".

    Ein wenig hat die Inszenierung, durch die der Wald wie eine Art Zwischenwelt anmutet, die um einiges stimmungsvoller ist als die verkitschten Reiseprospektbebilderungen aus Peter Jacksons In meinem Himmel, wohl auch damit zu tun, dass es eine solche Gegend, in der jemand bloß mit einem Seil auf hohe Bäume klettert, um Honig zu ernten, in der modernen Welt eigentlich gar nicht mehr geben dürfte. Doch Stilwillen hin oder her, die größte Entdeckung des Films bleibt der zum Zeitpunkt der Dreharbeiten siebenjährige Schauspieldebütant Bora Altas. Es ist üblich, gerade Kinderdarsteller typengerecht zu besetzen. Doch wie sich in der Berlinale-Pressekonferenz zeigte, ist Bora keinesfalls introvertiert, sondern ein ziemlich aufgeweckter Bursche. Seine Rolle als kontaktscheuer Außenseiter ist also tatsächlich gespielt. Und dies tut er mit einer solch verblüffenden Natürlichkeit, dass sein Auftritt ihn zumindest in den erweiterten Kandidatenkreis für einen „Silbernen Bären" als bester Darsteller katapultieren sollte.

    Fazit: „Bal" ist der wunderschön fotografierte und tief berührende Abschluss von Semih Kaplanoglus Yusuf-Trilogie. Auf den deutschen Kinostart wird man allerdings noch ein wenig warten müssen. Aktuell läuft hierzulande nämlich noch der zweite Teil „Süt" (Start: 14. Januar 2010) in den Kinos.

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