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    Eine Familie
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Eine Familie
    Von Björn Helbig

    Soll ich in die Fußstapfen der Eltern treten? Oder doch lieber den eigenen Weg gehen? Vor diesen Frage steht auch die Protagonistin in Pernille Fischer Christensens Familiendrama. „A Family“ ist erst der dritte Langfilm der dänischen Regisseurin, aber schon mit ihrem Erstlingswerk, „En Soap“, konnte sie auf der Berlinale 2006 den großen Preis der Jury gewinnen. Und auch mit ihrem aktuellen Wettbewerbsbeitrag ist Christensen wieder ganz vorne mit dabei, denn ihr ist ein kraftvolles, sensibles und exzellent gespieltes Familiendrama gelungen, das prompt noch vor der Bekanntgabe der Entscheidungen der Wettbewerbsjury mit dem Preis der Internationalen Filmkritik (FIPRESCI) ausgezeichnet wurde.

    Die Galeristin Ditte (Lene Maria Christensen) ist Feuer und Flamme, als sie die Chance bekommt, in die USA zu gehen und dort ihren Traumjob anzutreten. Zusammen mit ihrem Freund Peter (Johan Philip Asbæk) entscheidet sie, das Angebot anzunehmen. Doch Ditte ist nicht nur eine erfolgreiche Galeristin, sondern auch die Tochter der berühmten dänischen Bäckerfamilie der Rheinwalds. Als ihr Vater Rikard (Jesper Christensen) erkrankt, entschließt sich Ditte, ihren Umzug ins Land der tausend Möglichkeiten zu verschieben und – sehr zum Missfallen ihres Freundes – zunächst bei ihrem Vater zu bleiben.

    Menschen können sich ihre Familien nicht aussuchen. Sie werden in sie hineingeboren, werden von ihr geformt und nehmen auch selber Einfluss auf ihre Gestalt. Eine Familie verschafft ihren Mitgliedern Privilegien – aber auch Pflichten. All das bekommt Ditte zu spüren, als ihr Vater kurz nachdem er seine zweite Frau Sanne (Anne Louise Hassling) geheiratet hat, eine Krebs-Diagnose erhält. Das Leben der ganzen Familie Rheinwald wird durch Rikards Krankheit durcheinander gebracht: Der Sturz des Patriarchen reißt auch die Familienmitglieder ins Unbekannte. Nicht zuletzt steht der gut laufende und traditionsreiche Bäckereibetrieb der Rheinwalds auf dem Spiel. Ditte muss eine fundamentale Entscheidung treffen und es ist das große Verdienst von Regisseurin Christensen, uns diesen Konflikt überzeugend zu vermitteln. Auch die Darstellerin übertreibt an keiner Stelle, sondern schafft es in kleinen Gesten, die in Ditte widerstreitenden Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Vor allem die Szenen zwischen Vater und Tochter sind – obwohl dezent – von großer Kraft und erzählen über das offen Ausgesprochene hinaus viel über das Leben in der Familie Rheinwald. Selbst als Rikard auf dem Sterbebett liegt und nicht mehr sprechen kann, vermitteln seine Blicke noch immer seine Wünsche. Und so ist „A Family“ nicht nur hoch emotional, sondern auch bis zum Ende spannend. Wie Ditte sich entscheiden wird, bleibt bis zuletzt offen.

    Von den allesamt überzeugenden Darstellern ist neben Hauptdarstellerin Lene Maria Christensen (Alt, neu, geliehen und blau) besonders der filmerfahrene Jesper Christensen (Sturm, This Is Love), der als Familienoberhaut Rikard Rheinwald große Schauspielkunst zeigt, hervorzuheben. In dieser Figur laufen die Geschicke der Familie zusammen und Jesper Christensens darstellerischer Leistung ist es zu verdanken, dass die Architektur der Familie Rheinwald für den Zuschauer verständlich und in ihren Spannungsverhältnissen transparent wird. Hier kommt auch den Nebenfiguren eine wichtige Bedeutung zu. Am Rand der Handlung, abseits von Dittes Entscheidungsprozess, gibt es weitere wichtige Erzählstränge: Die Beziehungen zwischen Sanne und ihrem Mann, zwischen Ditte und ihrer jüngeren Schwester Chrisser (Line Kruse) zwischen den beiden jüngsten Kindern der Familie Vimmer (Gustav Fischer Kjærulff) und Line (Coco Hjardemaal) tragen zur enormen Dichte des Films bei. Vor allem Line und Vater Rikard haben einige tolle Momente, hinter denen sich noch einmal ganz eigene Geschichten verstecken.

    „A Family“ ist ein ohne Frage ein guter Film, Einschränkungen gelten nur für einzelne Elemente und Momente. Während die Filmmusik etwa die meiste Zeit wunderbar in den Film eingefügt ist, und für Atmosphäre und Schwung sorgt, ist sie an einer der zentralen Stellen leider zu aufdringlich. Hier droht aus der Unterstützung eine Bevormundung zu werden. Auch das von Kim Fupz Aakeson gemeinsam mit der Regisseurin verfasste Drehbuch ist sowohl im Handlungsaufbau als auch in der Ausgestaltung im Detail und in den Dialogen vorbildlich gelungen. Einzig der Einfall mit Dittes Schwangerschaft bzw. deren Abbruch ist tendenziell doch eine Spur zuviel und wäre aus dramaturgischer Hinsicht nicht unbedingt nötig gewesen. Doch dieser kleinen Einwände zum Trotz gehört „A Family“ zu den Höhepunkten des diesjährigen Berlinale-Wettbewerbs. Seine Stärke liegt in der Glaubwürdigkeit seiner Geschichte und seiner Figuren. Vor allem empfindsame Menschen oder solche, die schon Ähnliches erlebt haben, sollten für den Film eine Packung Taschentücher bereithalten. Trotz tieftrauriger Passagen ist „A Family“ aber im Kern ein optimistischer Film, der empfängliche Zuschauer zwar mit feuchten Augen, aber auch mit einem warmen Gefühl im Herzen aus dem Kino entlässt.

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