Mein Konto
    Men On The Bridge
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Men On The Bridge
    Von Florian Schulz

    Brücken gehören zu den potentesten Bauwerken der Zivilisationsgeschichte: Sie verbinden Menschen, Länder und sogar Kontinente. Sie entscheiden Kriege und versinnbildlichen Visionen. Ganze Volkswirtschaften wetteifern miteinander, wer die Längere hat. Dieses metaphorische Potenzial haben auch Film und Musik rasch für sich entdeckt: Die Die Brücke am Kwai, „Die Brücken am Fluss“ oder gar die „Bridge Over Troubled Water“ – ohne die Untiefen überwindenden Konstrukte sähe die kulturelle Welt ein wenig grauer aus. Die wohl kosmopolitischste Brücke steht in Istanbul. Sie überbrückt über 1,5 Kilometer den Bosporus und verbindet damit Europa und Asien. Auf der stark frequentierten Transitroute kreuzen sich die Wege vieler Istanbuler beinahe zwangsläufig. Drei dieser „Men On The Bridge“ begleitete die türkische Filmemacherin Asli Özge durch einen Alltag zwischen Mut und Resignation. Das Ergebnis ist ein angenehm unprätentiöser Episodenfilm, der auch Europas Kulturstadt 2010 aus einem ungewohnt nüchternen Winkel beleuchtet.

    Der in Armut lebende Fikret (Fikret Portakal) verkauft illegal Rosen auf der stark frequentierten Brücke, hegt aber insgeheim den Wunsch nach einer grundsoliden Arbeit. Auch Murat (Murat Tokgöz) verbringt den lieben langen Tag auf dem imposanten Bauwerk. Der introvertierte Verkehrspolizist schlichtet tagein tagaus zwischen aufgebrachten Autofahrern oder ahndet kleinere Vergehen. In seiner Freizeit sucht der einsame Junggeselle im Internet nach einer Partnerin. Umut (Umut Ilker) schließlich chauffiert im Sammeltaxi Touristen durch die Bosporus-Metropole. Sein kärglicher Verdienst reicht nicht aus, um seiner Frau Cemile (Cemile Ilker) den Wunsch nach einem besseren Leben zu erfüllen. Alle drei streben nach Veränderung, doch der Alltag in der florierenden Metropole erweist sich als Hemmschuh…

    Ziellos streift ein junger Mann im Autowald umher, im Arm ein Bund roter Rosen. Schnitt. Es ist Abend geworden und die Brücke versinkt im leuchtenden Abendrot. Immer noch preist der schmächtige Straßenverkäufer geduldig seine Buketts an, während sich die Autoschlange ungebrochen lärmend über die Brücke schiebt. Wieder Schnitt. Sintflutartige Regenfälle haben eingesetzt, doch der Protagonist hält unbeirrt die Stellung. Fast meditativ leitet Asli Özge in ihr Kinodebüt ein, ebenso meditativ schließt sie es ab. Kulturelle Eruptionen bekommt man auch dazwischen nicht präsentiert. Stattdessen dominieren ruhige, dialoglastige Sequenzen, in denen die türkische Metropole in bunten Farben und oft tristem Grau im Hintergrund vorbeioszilliert. Es sind gewöhnliche Lebenssituationen, die die Filmemacherin in ihr Stadtporträt einbettet; Schicksale dreier Männer, die in ihren Routinen festgefahren scheinen und auch nicht so recht wissen, wie sie es anders machen sollten. Das liebe Geld wird immer wieder thematisiert. Tatsächlich erschöpft sich der Film aber nicht in dieser Rechtfertigung. Es ist vielmehr die Vertracktheit der alltäglichen Praxen, die Regisseurin Özge in ihrem ersten abendfüllenden Werk als problematisch entfaltet. Anklagend oder gar hoffnungslos gerät dieser Anspruch trotz des melancholischen Grundtons trotzdem nie.

    „Men On The Bridge“ war eigentlich als klassischer Dokumentarfilm konzipiert, bis das türkische Recht unversehens intervenierte: Polizisten dürfen - ohne jede Ausnahme - bei der Arbeit nicht gefilmt werden. Das strikte Verbot sollte sich aber als kreatives Moment erweisen, denn Asli Özge ließ kurzerhand Laiendarsteller ihr eigenes Leben nachspielen. Und es darf sogleich Entwarnung gegeben werden: Meilenweit von den melodramatisch aufbereiteten Nachmittagsformaten diverser Privatsender entfernt, gewinnt die Formel dank einer bedächtigen Inszenierung eine ganz eigene Qualität. Sorgsam ausgewählt, punkten die Beteiligten durch eine sympathische, oft zurückhaltend-introvertierte Selbstdarstellung. Die Kinodebütantin hat es ganz bewusst vermieden, aus „Men On The Bridge“ ein dramaturgisches Overstatement zu schneidern und weiß genau, was sie ihren Darstellern zumuten kann und was nicht. Das wirkt über weite Strecken zwar fast bescheiden und produziert auch einiges an Banalität, ist aber letztlich Kapital eines stimmigen Dokuments, welches das kulturelle Säbelrasseln vieler Hochglanzformate behutsam kontrastiert.

    Hochemotionale und kurzweilige Bilder liefert „Men On The Bridge“ folglich nicht. Lässt man sich auf die unspektakuläre Erzählweise jedoch ein, wird man neben den authentischen Charakteren mit einer subtilen Gesellschaftsdiagnose fernab simpler Medienbilder belohnt. Mit viel soziologischem Feingespür kommentiert die Regisseurin in ihrem zweifach ausgezeichneten Erstling die latente Aggression und den aufblühenden Nationalismus in der türkischen Gesellschaft, integriert die Episoden raffiniert über Fernsehschirme oder holt die Historizität der Stadt über die Fremdheitserfahrungen des sozialen Außenseiters Fikret ein. Stellenweise ließe sich diese Vielschichtigkeit zwar noch ausbauen und auch der eine oder andere Dialog hätte sicher noch etwas pointierter gesetzt werden können. Diese Mankos lassen sich aber guten Gewissens als Lehrgeld verbuchen, denn die Gesamtdynamik des Films wird dadurch kaum tangiert.

    Fazit: „Men On The Bridge“ zeichnet ein angenehm unaufgeregtes Porträt dreier Menschen in einer Stadt zwischen den Welten: selten anklagend, oft melancholisch und mit einem feinen Gespür für zwischenmenschliche und gesellschaftliche Nuancen. Ein vielschichtiges Drama vom Schlage eines L.A. Crash darf man von der episodisch angelegten Low-Budget-Produktion natürlich nicht erwarten, dennoch stellt „Men On The Bridge“ einmal mehr die derzeitige Vitalität des türkischen Kinos unter Beweis.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top