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    Water
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Water
    Von Björn Helbig

    Mit dem eindrucksvollen Drama „Water“ bringt die in Kanada lebende Inderin Deepa Metha (*1950) den dritten Teil ihrer Elemente-Trilogie („Fire“, 1996, „Earth“, 1998) in die Kinos. Der Titel hätte nicht besser gewählt sein können. Wasser ist so allgegenwärtig, dass man es kaum wahrnimmt. Und gleiches gilt für Menschenrechtsverletzungen, die Methas Film anprangert. Mit dem Filmthema waren etliche Hindu-Extremisten nicht einverstanden: Ein Mob aus 2000 Randalierern zerstörte die Sets der „Water“-Produktion und sprach Morddrohungen gegen die Regisseurin und ihre Schauspieler aus. Nach andauernden Krawallen und dem Selbstmordversuch eines Demonstranten wurden die Dreharbeiten abgebrochen. Der Film konnte erst fünf Jahre später unter höchster Geheimhaltung in Sri Lanka mit einem falschem Titel („Full Moon“) fertig gestellt werden.

    „Kind. Erinnerst du dich an deine Hochzeit? Dein Ehemann ist tot. Du bist jetzt eine Witwe.” Indien 1938: Chuya (Sarala) ist erst acht Jahre, aber schon verheiratet. Sie weiß kaum wie ihr geschieht, denn als ihr Ehemann stirbt, wird ihr der Schmuck abgenommen und der Kopf geschoren. Im Morgengrauen bringt ihr Vater die kleine Chuya zu einem Haus für Witwen, wo sie nach Hindu-Brauch den Rest ihres Lebens verbringen soll. Anfangs will sie es kaum wahrhaben, doch mehr und mehr muss sie sich damit abfinden, dass nun die 14 Frauen des „Ashrams“ ihre Familie sind.

    Schon am Anfang stockt dem Zuschauer der Atem, wenn er mit dem grausamen Umgang mit Witwen in Indien konfrontiert wird – diese haben die Wahl, aus dem Leben zu scheiden (meist durch Verbrennung) oder ihr restliches Leben abgeschieden von der Gesellschaft in Buße zu fristen. Auch im weiteren Verlauf des Films wird Deepa Metha schonungslos Missstände des damaligen Indiens aufzeigen, die bis in die heutige Zeit reichen. Zunächst erzählt „Water“ die Geschichte der kleinen Chuya und wie sie sich im Witwenhaus zurechtfindet. Denn die dort lebenden Frauen sind dem Mädchen nicht allesamt gleich sympathisch. Da wäre z.B. die alte Madhumati (Manorama), die das Haus wie eine Königin regiert und Chuya das Leben nicht immer leicht macht. Besser versteht sie sich da schon mit der reservierten Shakuntala (Seema Biswas), die im Ashram die einzige ist, die Madhumati die Stirn bieten kann. Eine richtige Freundin wird Chuya aber nur die wunderschöne Kalyani (Lisa Ray), die einzige Frau des Hauses, die ihr Haar lang tragen darf (da sie nachts als Prostituierte arbeiten muss). Nachdem schon Chuya durch ihre freche Art frischen Wind in das Frauenhaus gebracht hat, zieht auch noch ein Sturm am Horizont auf: Denn Kalyani verliebt sich in den jungen Juristen und Gandhi-Anhänger Narayan (John Abraham, Dhoom) – eine Liebe die so gar nicht im Einklang mit den herrschenden Sitten steht.

    „Wusstest du, Didi, dass dieser seltsame Mann in Unterwäsche, dieser Gandhi, Indien untergehen lassen wird ? Gandhi sagt, die Unberührbaren seien Kinder Gottes!“ „Ekelhaft, solche Narren wie Gandhi zerstören unsere Kultur.“ (Der Eunuch Gulabi und Madhumati)

    Der Film spielt zu Zeiten des Menschenrechtlers Mahatma Gandhi, der am 30. Januar 1948 in Neu-Delhi ermordet wurde. Seitdem hat sich in Indien viel getan, doch auch heute noch sperren sich große Gruppen der Bevölkerung gegen den Wandel. „Ist es anständig solche Dinge zu zeigen, die nicht Teil der indischen Kultur sind? So etwas kann zarte Gemüter verderben. Das ist eine Art von sozialem AIDS“, wetterte Bal Thackeray, Anführer einer der mächtigsten fundamentalistischen Hindu-Gruppen in Indien, schon über den Water-Vorgänger „Fire“, weil es darin um eine lesbische Beziehung geht. Seitdem haben sich die Wogen nicht wieder geglättet, was man den Mühen ansehen kann, die es kostete, „Water“ fertig zu stellen. Man irrt also, wenn man denkt, Methas Film beziehe sich auf längst überwundene Aspekte der indischen Geschichte. Dass sie einen wunden Punkt getroffen hat, zeigen auch die zahlreichen anonymen Anrufe, die bei ihr eingehen und der Regisseurin raten, den Film nicht im Westen herauszubringen, da westliche Zuschauer durch ihn das religiöse und soziale System in Indien falsch einschätzen könnten. Gut, dass dieser „Empfehlung“ nicht gefolgt wurde!

    Die Probleme der Herstellung sind dem grandiosen Endergebnis nicht anzusehen. In ruhigem aber treibendem Erzähltempo führt Deepa Metha den Zuschauer durch die tragische Geschichte. Diese beinhaltet sowohl betörend schöne als auch schockierende Momente, für die Methas Stamm-Kameramann Giles Nuttgens (Young Adam) beeindruckende Einstellungen fand. Besonders auffällig sind natürlich die Bilder des titelgebenden Wassers, die sich in vielen Variationen durch den Film ziehen. Aber nicht nur optisch ist „Water“ ein Genuss, auch die Zeit, die sich die Regisseurin nimmt, die Nebenfiguren vorzustellen, das Leben der Frauen im Ashram zu beleuchten und somit das Drama Schritt für Schritt voranzutreiben, kommt dem glänzend besetzten Film sehr zugute. In den Hauptrollen überzeugen die wunderschöne Lisa Ray („Bollywood/Hollywood“), Seema Biswas als verbitterte Witwe Shakuntala, aber vor allem auch Sarala als Chuyia. Die Figur der Chuyia, auf die sich Metha in der ersten Hälfte konzentriert, wirbelt das Frauenhaus ordentlich durcheinander und fungiert dabei auch als Symbol der kindlichen Reinheit. Sie bleibt aber auch genug echtes Kind, um glaubwürdig zu wirken und den Schrecken zu vermitteln, der auf ihre Figur projiziert wird.

    Für europäische Filmvorlieben ein bisschen gewöhnungsbedürftig ist der scheinbare Wechsel der Hauptfiguren (von Chuyia zu Kalyani). Lediglich die etwas aufdringliche Musik, die zu sehr die Stimmung vorgeben möchte, in welcher sich der Zuschauer zu befinden habe, führt zu kleinen Abzügen in der B-Note. Insgesamt legt Deepa Metha mit „Water“ nicht nur einen würdigen Abschluss ihrer Elemente-Trilogie, sondern auch ein hervorragendes Einzelergebnis vor: toll fotografiert, eindrucksvoll gespielt. Aber vor allem die Wahl des bedeutsamen Themas, das nur unter größten Mühen und unter Gefahr für das eigene Leben umgesetzt werden konnte, verdient Respekt. Das Ergebnis ist ein Film, der nicht nur ein Plädoyer ist, die Schönheit, sondern auch die Grausamkeit im Alltäglichen zu erkennen – sie zu erkennen und dementsprechend zu handeln. „Ist Gott die Wahrheit? Nein. Die Wahrheit ist Gott“, lässt die Filmemacherin Mahatma Gandhi sagen und gibt dem Zuschauer gleich noch etwas zum Nachdenken mit auf den Weg. – Prädikat „Wertvoll“.

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