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    Angel - Ein Leben wie im Traum
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Angel - Ein Leben wie im Traum
    Von Roderich Reuter

    Für einen Filmemacher, der sich noch relativ am Anfang seiner Schaffensperiode befindet, kommt es einem Ritterschlag gleich, wenn ein oder vielleicht sogar zwei seiner Filme in das Programm von filmwissenschaftlichen Hochschulseminaren aufgenommen werden. Doch was bedeutet es dann erst für einen Filmregisseur, wenn sein frühes Werk relativ bald nicht nur von Filmwissenschaftlern rezipiert wird, sondern auch von anderen Akademikern, Kunstgeschichtlern oder Philosophen? Diese Frage könnte man zum Beispiel Pedro Almodóvar stellen. Kunstgeschichtler schreiben schon seit vielen Jahren Arbeiten etwa über die Möblierung des Hintergrundes in seinen frühen wie auch nunmehr aktuellen Filmen. Philosophen stellen sich in Hauptseminaren Fragen zur Ästhetik, wie etwa der Farbauswahl in seinen Filmen hermeneutisch am besten beizukommen wäre. François Ozon ist auch so einer, der schon in jungen Jahren für den akademischen Sektor in vielfacher Hinsicht interessant ist. Auch wenn man nicht mit den vielen Experten übereinstimmt, die ihn als junges Regie-„Genie“ feiern, muss man doch zumindest zugeben, dass seine Filmographie eine interessante Entwicklung aufweist, gespickt mit äußerst originellen Filmen: Sein Weg führte ihn von der heiteren Groteske „Sitcom“ (1998) über die ernste Fassbinder-Adaption „Tropfen auf heiße Steine“ (2000) und die Musical-Krimikomödie „8 Frauen“ (2002) nun schließlich zu seinem aktuellen Kostümfilm „Angel“. Viele meinen, dass einzig der Rekurs auf einige Elemente aus dem Filmschaffen Rainer Werner Fassbinders, den Ozon als Idol verehrt, so etwas wie die Klammer seines sehr abwechselungsreichen Werkens darstellt. Etwa das Interesse an sorgfältigen Charakterstudien, die fast immer kammerspielartig aufgezogen werden („Tropfen auf heiße Steine“). Aber wie dem auch sei, in „Angel“, dem ersten in englischer Sprache gedrehten Ozon-Film, kommt Fassbinder nicht vor. So ist „Angel“ für Filmstudenten absolut uninteressant – höchstens als warnendes Beispiel, wie eine Literaturverfilmung nicht aussehen sollte. Nur für Kunsthistoriker und Ästheten jedweder Couleur, die weniger Wert auf die inhaltliche, aber dafür umso mehr auf die formal-ästhetische Seite eines Films legen, bleibt ein Ozon in dieser schwachen, nur an der Oberfläche kratzenden Form weiterhin lohnenswert.

    Wir schreiben das Ende des 19. Jahrhunderts. Angel Deverall (Romolai Garai) ist ein junges Mädchen, das mit seiner Mutter (Jaqueline Tong) in der grauen englischen Provinzstadt Norley in ärmlichen Verhältnissen lebt. Doch das beschauliche Arbeiternest Norley mit seinen kleinen Leuten, die bescheidene Lebensweise ihrer Mutter, die demütige Haushälterinnenmentalität ihrer verhassten Tante Lotti, das ist nicht Angels Welt. Sie fühlt sich zu einer anderen Existenz berufen als der ihr vorgezeichneten. Einmal selbst zu leben wie die Bewohner der herrschaftlichen Villa „Paradise House“, an der sie jeden Morgen gedankenverloren auf dem Weg zur Schule stehen bleibt, ist Angels kühner Traum. Nichts anderes als die Kraft ihrer Fantasie soll das impulsive Fräulein dorthin bringen. Die Tage verbringt Angel auf dem Bett liegend, naiv-romantische Prosa verfassend. In der jugendlichen Hoffnung auf schnellen Ruhm und Reichtum wendet sie sich mit ihrem ersten Roman „Lady Irania“ übermütig an einen angesehen Londoner Verlag. Verleger Theo (Sam Neill) erkennt angesichts der hohen Konjunktur schwülstiger Frauenliteratur den Marktwert von Angels bildgewaltiger Einbildungskraft. Er nimmt sie unter Vertrag. Die Rechnung der beiden geht schnell auf: Mit dem überwältigenden Erfolg von „Lady Irania“ beginnt für Angel schon in ihrer Jugend das Leben, das sie sich immer erträumt hat. Angel verkehrt fortan in der höheren Gesellschaft und darf sich angesichts ihres Erfolges sogar als ernstzunehmende Schriftstellerin gerieren. In dem erfolglosen, von Selbstzweifeln geplagten, in ihren Augen aber talentierten Künstler Esmé (Michael Fassbender), den sie auf einem Empfang kennen lernt, erkennt Angel zudem den zukünftigen Mann an ihrer Seite...

    Wenn es nach der Autorin Elizabeth Taylor (nicht zu verwechseln mit „Liz“ Taylor) geht, auf deren Buch der Film beruht, dann ist Angel eine typische Anti-Heldin. Der Ton des Romans ist ein vollkommen ironischer. Dem Leser ist zu jedem Zeitpunkt klar, dass es sich bei Angel um eine tragisch-lächerliche Figur handelt, die versucht, ein Leben wie im Traum zu führen, und schließlich tragisch an der Wirklichkeit verzweifelt. Bei Ozons Umsetzung des Stoffs liegen die Dinge nicht so klar, was ein kleines Für, aber auch ein erhebliches Wider mit sich bringt. Ozon argumentierte in einem Interview, dass, wenn er Angel lediglich als junge tragisch-neurotische Schnulzenautorin angelegt hätte, wohl kaum ein Zuschauer sich zwei Stunden für diese Figur interessiert hätte. Angel musste für Ozon auch sympathische Züge haben, damit die Geschichte gemessen an den Sehgewohnheiten eines Kinozuschauers zumutbar bleibt. In den ersten Minuten gelingt Ozon mit dieser Strategie tatsächlich ein Coup. Der Zuschauer folgt der sympathischen Träumerin Angel und weiß dabei zuerst einmal gar nicht wirklich, von wes Geistes Kind das junge Fräulein ist. Man sieht Angels jugendliche Not, fühlt ihr ihren Wunsch nach, die ärmlichen Verhältnisse hinter sich zu lassen, staunt über ihre Forschheit sowie ihre Fantasie, und hält sie für kurze Zeit sogar für eine talentierte Nachwuchsschriftstellerin.

    In dieser Phase ist der Film seinen filmischen Vorbildern, nämlich den Kostümfilmen der dreißiger und vierziger Jahre, am nächsten. Es sind herrliche Momente, wenn Angel in der Welt umher reist, und im Hintergrund die Sehenswürdigkeiten aller Herren Länder im Stile des längst rückständigen 30er-Jahre-Kinos nacheinander schlecht eingeblendet werden. Diese Szenen hat Ozon wahrscheinlich mit dem gleichen Schmunzeln inszeniert wie die wenigen Außenaufnahmen in „8 Frauen“, in denen dem Zuschauer eine schlecht gemalte Landschaft auf Leinwand als Außenkulisse präsentiert wird. Die Vermutung des Zuschauers, dass es sich bei Angel um eine exzeptionell begabte Autorin handelt, wird erst in jener Szene vollkommen zerstört, in der man damit konfrontiert wird, welche Tonalität und welchen Inhalt ihre Prosa eigentlich aufweist. Nachdem dem Zuschauer klar wird, welch literarischen Schund Angel fabriziert und in welchem Verhältnis dieser Schund zu ihrem Ruhm steht, weichen die anfänglichen Sympathien mit der Hauptfigur der Frage, was denn nun eigentlich das Erzählenswerte an Angels Lebensgeschichte ist. Geht es nur um einen Selbstbetrug, weil sich Angel für eine brillante Schriftstellerin hält und sich ihr Leben zurecht inszeniert? So ein Betrug erscheint dem Publikum verzeihlich vor dem Hintergrund, dass Angel im ersten Teil des Films noch als durchweg positive Figur dargestellt wurde. Und dennoch scheint dies tatsächlich das große Thema des Films zu sein. So hält Ozon in dieser Hinsicht doch die Nähe zur Vorlage.

    Ozon versucht aber die Gratwanderung, Angel auch dann noch als sympathisch darzustellen, wenn er sie als eine der Realität vollkommen entrückte, sich selbst und andere belügende Neurotikerin entlarvt. Von dem Punkt an, an dem klar wird, dass Angel sich mit ihrem Plan vom durchästhetisierten Leben einer großen Illusion hingibt, geht es nur noch bergab mit dem Film. Die Geschichte um ihren Selbstbetrug fesselt zu keiner Zeit, weil die Gratwanderung vollkommen nach hinten losgeht. Weil Angel so zuckersüß und überschwänglich-fröhlich erscheint, ist es dem Zuschauer kaum möglich, sich in ihre innere Tragödie einzufühlen. In jenen Szenen, in denen die ganze Verblendung Angels offenbar wird und Romola Garai verzweifelt durchs Bild irrt, fühl man sich wie zu Besuch bei einer leicht alkoholkranken Großtante, die man unheimlich gern hat, auch wenn sie gerade einen sitzen hat und verwirrt nach ihrer Katze sucht. Ein emotionaler Zugang zum Thema des Films ist so fast unmöglich.

    Aber hat der Film nicht mehr zu bieten? Auf der formal-ästhetischen Seite fällt nämlich einiges ins Gewicht: opulente Ausstattung, herrliche, jeder Situation angepasste Kostüme, berauschende Farbkombinationen, wie sie gerade heute selten im Kino zu sehen sind. Auch das Ensemble überzeugt, allen voran Garai als Protagonistin. Man wünscht sich vielleicht mehr Szenen mit Sam Neill als Verleger Theo und Charlotte Rampling als dessen Frau. Die wenigen Szenen mit beiden sind vielleicht noch die interessantesten in der sich nach etwa einer Dreiviertelstunde einstellenden inhaltlichen Ödnis. Es sind nicht zufällig die von Neill und Rampling verkörperten Figuren, die durch ihren Schlussdialog dem langweiligen Plot zumindest noch eine gewisse pfiffige Schlusspointe verleihen. Nach Angels Tod wird deutlich, dass sie, die Zeit ihres Lebens zu einer der berühmtesten Schriftstellerinnen Englands zählte, nach ihrem Ableben vollkommen in Vergessenheit gerät, während die Dinge bei ihrem Mann Esmé genau andersherum stehen. Zeitlebens unbeachtet und im Schatten seiner Ehefrau stehend, verehrt man ihn nun als großen Künstler und Angels geliebtes „Paradise House“ wird zu einer Attraktion für Bewunderer von Esmés Kunst. Eben das alte Thema von der falschen zeitgenössischen und der wahren zeitlosen Kunst. Sollten Ozons restlichen Filme inhaltlich genauso blutleer und seelenlos wie „Angel“ geraten, wird auch dem Meisterregisseur wohl das Schicksal Angels nach seinem Tod nicht erspart bleiben. Mutmaßlich wird es aber nicht dazu kommen.

    Fazit: Nach einem verheißungsvollen Auftakt entwickelt sich François Ozons englischsprachiger Kostümfilm „Angel“ für den Regisseur zu einem cineastischen Waterloo. Anders als bei seinem prominenten Landsmann Napoleon bedeutet der Film aber sicherlich nicht den Anfang vom Ende des französischen Ausnahmeregisseurs. Davon ist auszugehen, weil Ozon viel zu innovativ ist, um nicht mit einem seiner nächsten Werke seinen ersten fremdsprachigen Film wieder vergessen zu machen. Es ist schwer zu akzeptieren, dass gerade Ozon eine der schlechtesten Literaturadaptionen der vergangenen Jahre abliefert. „Angel“ ist eine über die Maßen opulent gestaltete und daher hübsch anzusehende Charakterstudie, die aber vollkommen an der Oberfläche bleibt und so vor allem in der auf der Stelle tretenden zweiten Hälfte an den Rand der Bewusstlosigkeit langweilt.

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