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    The Dixie Chicks: Shut Up & Sing
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Dixie Chicks: Shut Up & Sing
    Von Christoph Petersen

    2003: Die dreiköpfige Countryband „The Dixie Chicks“ ist auf dem absoluten Zenit ihrer Karriere angelangt. Mit über 30 Millionen verkauften Platten sind sie die erfolgreichste weibliche Band aller Zeiten – allein ihre beiden Alben „Wide Open Season“ (1998) und „Fly“ (1999) wanderten jeweils mehr als zehn Millionen Mal über den Ladentisch. Beim Superbowl XXXVII waren sie es, denen vor der Begegnung zwischen Tampa Bay und Oakland die große Ehre zuteil wurde, die US-Hymne anstimmen zu dürfen. Kurz: Die „Dixie Chicks“ waren die unangefochtenen Darlings der vor allem im konservativ geprägten Süden weit verbreiteten Country-Szene. Doch dann folgte jener schicksalsträchtige Auftritt in einer Londoner Konzerthalle, der die Karriere der „Dixie Chicks“ für immer verändern sollte. Frontsängerin Natalie Maines kommentiert den nahenden Irak-Krieg zwischen zwei Stücken mit folgenden Worten: „I´m ashamed that the President of the United States is from Texas.“ Ein kleiner Spruch am Rande für das Londoner Publikum, welches diesen mit tosendem Applaus quittiert, doch eine große Aussage für die zu 90 Prozent aus Bush-Wählern bestehende Country-Fangemeinde in den USA. Von diesem Ereignis an begleiteten die beiden Filmemacherinnen Barbara Kopple und Cecilia Peck das gebeutelte Trio zwei Jahre lang bei seinem Spießrutenlauf in der amerikanischen Öffentlichkeit. Dabei herausgekommen ist die Dokumentation „The Dixie Chicks: Shut Up & Sing“, die ebenso mit sehr persönlichen Einblicken in die aufgewühlte Gefühlswelt der Musikerinnen wie mit gelungen-satirischen Seitenhieben auf die Bigotterie der amerikanischen Rechten punktet.

    Maines Aussage, zunächst nur in britischen Publikationen abgedruckt, wurde anschließend recht schnell von der vor allem im Medienbereich gut aufgestellten ultrakonservativen Gruppierung „Free Republic“ aufgegriffen und instrumentalisiert. Eine Hetzkampagne sondersgleichen begann, in deren Verlauf die „Dixie Chicks“ als unpatriotische Vaterlandsverräter und Saddams Schlampen gebranntmarkt wurden – die Country-Radiostationen boykottierten plötzlich ihre Songs und die republikanischen Ex-Fans ließen bei demagogischen Ritualen ihre „Dixie Chicks“-CDs von Planierraupen überfahren. Doch die Band hielt dem immensen Druck stand, statt einzuknicken und mit gesengten Köpfen zu ihren alten Anhängern zurückzuschleichen, veröffentlichten sie zwei Jahre später die Scheibe „Taking the long way“, auf der sie bissige musikalische Kommentare zu den Vorkommnissen abgaben. Die Vorzeigeehe zwischen den „Dixie Chicks“ und Texas war damit endgültig hinüber, aber dafür fingen auf einmal der demokratische Norden und sogar Kanada an, sich für Country zu interessieren. Eine neue Fangemeinde war gefunden, und zwar eine, die ihre Idole nie dazu auffordern würde, die Klappe zu halten - Speak Out & Sing!

    Zwar standen die „Dixie Chicks“ mit einem Mal als Buhfrauen in den republikanisch geprägten Medien dar, wurden auch bei Konzerten mit Demonstrationen und Morddrohungen immer wieder attackiert, doch ganz nebenbei sind die drei Bandmitglieder natürlich auch noch ganz normale Menschen, Ehefrauen und Mütter. Diesen zum Teil irrwitzigen Spagat, der an den Chicks nicht ohne Wirkung vorübergeht, arbeitet Kopple ohne jeden Gefühlskitsch, aber dennoch mit sehr privaten Einblicken überzeugend heraus. Nicht ganz so gelungen sind die musikalischen Abschnitte der Doku, die aber insgesamt eh nur eine zweitrangige Stellung einnehmen. Wenn die drei über die sehr persönlichen Songs auf ihrem „Verarbeitungs“-Album „Taking the long way“ diskutieren, ergeben sich zwar durchaus berührende Momente, aber den eingestreuten kurzen Konzertaufnahmen fehlt der filmische Drive. Hier wünscht man sich ein wenig wehmütig die grandiosen Aufnahmen aus Jonathan Demmes letztjähriger Konzertdoku Neil Young: Heart Of Gold zurück.

    Die Regisseurin Barbara Kopple, die zuletzt mit Havoc ihr Kino-Spielfilmdebüt gab, hat in ihrer Karriere bereits zwei Mal den Oscar für den besten Dokumentarfilm einheimsen können. In „Harlan County U.S.A“ (1986) beschrieb sie einen über ein Jahr lang andauernden Mienenarbeiter-Streik zu Beginn der 70er Jahre, der immer wieder in blutige Auseinandersetzungen ausartete. Auch in „American Dream“ ging es einmal mehr um einen Streik, diesmal um den von Fleischverpackern in Minnesota. Mit diesen hochkritischen Filmen im Hinterkopf war eigentlich von Anfang an klar, dass Kopple auch mit „Shut Up & Sing“ keine reine Bravo-Homestory abliefern würde. Und so steht folgerichtig auch die Beleuchtung der politischen und medienpolitischen Abläufe im Vordergrund der Dokumentation. Dabei ergeben sich für den europäischen Zuschauer übrigens spannende Parallelen zum Karikaturenstreit des vergangenen Jahres, denn genau wie die islamistischen Hassprediger nur auf irgendeinen Anlass gewartet haben, um gegen die ungläubigen Europäer zu hetzen, hat auch „Free Republic“ nur auf eine Chance gelauert, um eine Kampagne gegen die Demokraten und Kriegsgegner fahren zu können. Viele der Dinge, die im Rahmen der „Dixie Chicks“-Affäre auf republikanischer Seite passierten, sind dabei übrigens so absurd und wahnwitzig, dass sich „Shut Up & Sing“ so um seinen Unterhaltungswert wahrlich keine Sorgen machen muss.

    Fazit: Die Dokumentation „The Dixie Chicks: Shut Up & Sing“ beleuchtet die drei Seiten der Band – die private, die musikalische und die politische – auf sehr offene, äußerst provokative und vor allem auch verdammt unterhaltsame Weise. Dass dabei nicht unbedingt neue filmische Maßstäbe gesetzt werden, kann man so sicherlich leicht verzeihen.

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