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    Winterreise
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Winterreise
    Von Nicole Kühn

    Nach seinem Aufsehen erregenden Spielfilmdebüt „Hierankl“ sind die Erwartungen an Hans Steinbichlers neues Werk hoch. Die Landschaft als Spiegelbild der Befindlichkeit zu inszenieren und sich in die inneren Beweggründe für das Verhalten von Menschen regelrecht hineinzubohren, hat einen eigenen Stil hervorgebracht, den Steinbichler in dem Drama „Winterreise“ weiterführt. Zusammen mit einem fulminant aufspielenden Josef Bierbichler schickt er den Kinogänger auf eine emotionale Reise, die wilde Achterbahnfahrt eines Menschen, mit zwingender Konsequenz. Das Portrait der Hauptfigur ist erschütternd und rührend zugleich. Kinokunst ganz nah am Leben.

    Franz Brenninger (Josef Bierbichler) ist ein Grantler, wie er im Buche steht. In der tiefen bayerischen Provinz hat sich der geschäftstüchtige Mann ein kleines Vermögen aufgebaut. Doch die Zeichen der Globalisierung machen auch vor dem abgelegenen Bergland nicht halt: Das Geschäft läuft nicht mehr, Brenninger steht in seiner hübschen Villa vor dem Bankrott. Das jedoch will der kämpferische Macher nicht wahrhaben. Entgegen aller Ratschläge von Freunden und Familie steigt er zur Rettung seiner Liquidität in ein windiges Geschäft mit Kenianern ein. Durch sein unbelehrbares Auftreten als Haudegen und Raubein hat er es sich bald mit allen verscherzt. Lediglich seine kränkliche Frau (Hanna Schygulla) steht zu ihm und lässt ihn als letzte Chance nach Kenia ziehen, um seine Finanzen und vor allem sein Leben wieder in Ordnung zu bringen. Als Schutzengel gibt sie ihm die junge Leyla (Sibel Kekilli) mit, die viel mehr für ihn tut, als aus dem Englischen zu übersetzen.

    Regisseur Steinbichler entwirft mit der Figur des Brenninger eine komplexe Persönlichkeit, mit deren Charakterzügen sich der Zuschauer gut identifizieren kann. Der Prozess des Erkennens des eigenen Scheiterns und der Verlust des Selbstbildes werden durch die kraftvolle und intensive Darstellung von Josef Bierbichler zu einer schmerzhaften Erfahrung, die jeder so oder so ähnlich schon mitgemacht hat. Die Heftigkeit, mit der die Figur auf unabänderliche Umstände reagiert, lässt das heraus, was im wahren Leben oft unter der Decke der Konvention bleiben muss. In diesen Momenten wirkt Brenninger gleichzeitig befreiend und abstoßend. Im starken Kontrast dazu stehen die Momente, in denen der massive Mann in sich gekehrt seiner wahren Leidenschaft, der klassischen Musik anhängt und sich seiner Hilflosigkeit friedlich hingibt. Dass ihm kaum zu helfen ist, zeigen die Menschen, die ihn umgeben und trotz allem lieben. Hanna Schygulla hat als seine Gattin ihr Leben für ihn gelebt, das fühlt man in jeder Einstellung. Erst an dem Punkt, an dem sich seine Zerstörungswut auch gegen sich, gegen eine unbenennbare innere Kraft richtet, fordert sie ihn auf, zu gehen. Von seinen beiden erwachsenen Kindern scheidet er im Zwist, weil er jede Kritik postwendend umkehrt und gegenseitige Achtung so unmöglich macht.

    In der Beobachtung des Umgangs auf diese Lebenskrise finden Regisseur und Schauspieler ausdrucksstarke Bilder und zeigen sehr viel Feingefühl für die Art und Weise, wie der innere Kampf sich äußert. Dabei werden extreme Verhaltensweisen keineswegs ausgeklammert. Sie sind dennoch immer glaubwürdig, nicht zuletzt wohl deshalb, weil vieles davon autobiographische Hintergründe bei Drehbuchautor Martin Rauhaus hat. Trotz der Tragik der Thematik bleibt Raum für Schmunzeleien über die Figuren, die in ihrer Hilflosigkeit gezeigt, aber nicht deswegen vorgeführt werden.

    Symbolisch ist die Figur der Leyla zu verstehen, die als angehende Ethnologin ihr Gegenüber nicht aus einer persönlichen Beziehung heraus, sondern als Objekt betrachten kann. Gerade diese Distanz ist es, die sie zu einzig möglichen Begleitung auf dem entscheidenden Weg zu sich selbst für Brenninger werden lässt. Mehr als reine Landschaft sind selbstverständlich auch die Orte der Handlung. Aus der verschneiten, ruhigen Winterlandschaft Bayerns bricht der rastlose Brenninger aus, um im heißen, chaotischen Trubel von Kenia zur Ruhe zu finden. Der ferne Kontinent ist als Projektionsfläche für die Sehnsüchte der geschäftigen westlichen Welt nicht neu und wirkt als kontrastierendes Bild zum deutschen Winter stark, vielleicht zu stark. Eine weit reichende, tiefe Bedeutung wird auch dem Titel des Films gegeben. Auf den Handlung bezogen lässt sich „Winterreise“ verstehen als das, was sie ist, nämlich eine Reise, die im Winter beginnt. Sie führt an der Oberfläche in die Sonne, in das extrovertierte Leben, doch der eigentliche Sinn dieser Reise ist die Einkehr zu sich selbst, das Finden der Ruhe, wie sie in einer stillen Winterlandschaft sinnbildlich greifbar wird. Das dahinter stehende Lebensgefühl ist bestimmend für den gleichnamigen Liederzyklus von Franz Schubert. Leitmotivisch begleitet er, im für die Figur des Brenninger typisch launischen Wechsel mit treibender Rockmusik, die Entwicklung des Protagonisten. Dabei stehen diese schwermütigen Klänge für das eigentliche Wesen des umtriebigen Mannes, während er sich mit den rockigen Beats immer wieder zu vermeintlichen Heldentaten peitscht. Wenn Josef Bierbichler diese Melodien in seiner Einsamkeit anstimmt, geht das unter die Haut.

    Die verschiedenen künstlerischen Ebenen verschmilzt Steinbichler zu einem Film, der einen sofort packt und bis zum Ende nicht mehr loslässt. Sorgfältig arrangiert drängt sich keine ambitionierte Spielerei in den Mittelpunkt, sondern es fügt sich alles stimmig zusammen. Stilles Kino, ziemlich stark.

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