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    Was am Ende zählt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Was am Ende zählt
    Von Christoph Petersen

    In den Nachrichten tauchen immer mehr tote Babys auf. Überforderte junge Mütter werfen ihre Kinder nach der Geburt in den Müll oder lassen sie qualvoll verhungern. Auch das Filmprojekt „Was am Ende zählt“ begann mit einer wahren Geschichte, die perfekt zum neuen deutschen Problembewusstsein passt: In Köln kümmerten sich zwei Mädchen gemeinsam um ein Baby. Dabei keimte Eifersucht auf, die für das Kind schließlich tödlich endete. Doch im Laufe der Drehbucharbeiten kamen die Debütregisseurin Julia von Heinz und ihr Mitautor John Quester immer mehr davon ab, die Katastrophe zum Zentrum ihres Films zu machen. Stattdessen dreht sich nun alles um die eigenwillige Familienkonstellation, die die beiden jungen Frauen für sich entwerfen. So ist aus „Was am Ende zählt“ kein weiteres „wichtiges“, aber staubtrockenes Sozialdrama, sondern ein unerwartet aufregendes Stück Kino geworden.

    Carla (Paula Kalenberg) hat ihrem Vater 3.000 Euro gestohlen und ist von Zuhause abgehauen. Sie will nach Lyon, um dort an einer Privatschule Mode zu studieren. Doch schon am Bahnhof findet die Reise ein jähes Ende. Carla werden das Portemonnaie und ihre Tasche geklaut. Mittellos steht die Ausreißerin nun auf der Straße. An einer Imbissbude begegnet sie dem Draufgänger Rico (Vinzenz Kiefer). Nach einer gemeinsamen Nacht verschafft Rico ihr Arbeit auf einem abgetakelten Kahn, den er gerade zu einem Clubschiff umbaut. Hier lernt Carla das Straßenmädchen Lucie (Marie Luise Schramm) kennen. Die beiden ungleichen Frauen freunden sich an. Einige Monate vergehen, bis Carla merkt, dass die Liebesnacht mit Rico Früchte getragen hat. Für eine Abtreibung ist es allerdings zu spät. Lucie schlägt vor, dass Carla sich für sie ausgeben und mit ihrer Krankenkassenkarte zum Arzt gehen solle. So würde Lucie das Baby nach der Geburt als ihr eigenes aufziehen, während Carla ihren Traum von der Modeschule in Frankreich weiter verfolgen könnte…

    Zwei Mädchen basteln sich ihre eigene Familie. Gegen alle Widerstände setzen sie sich durch, kommen ihren Träumen ein kleines Stücken näher, indem sie Freunde, Sozialarbeiter und Krankenschwestern verschaukeln. Lucie, die ihre Kindheit in Heimen verbracht hat, sehnt sich nach Zusammenhalt und Geborgenheit. Carla kämpft hingegen für ihre Unabhängigkeit, immerhin ist sie vor ihrem saufenden Vater geflohen, um ihre Zukunft in die eigene Hand zu nehmen. Eine spannende Konstellation, die eine Menge dramatischen Zündstoff in sich birgt. Julia von Heinz baut diesen Konflikt behutsam auf, die erste Stunde ist sogar überraschen hell ausgefallen und verbreitet beinahe so etwas wie Aufbruchstimmung. Der Zuschauer wird voll in das „Projekt“ der Frauen hineingezogen und drückt ihnen beide Daumen. Erst im letzten Drittel, nach der Geburt des Babys, verdüstert sich die Atmosphäre – allerdings nicht, ohne das Publikum schlussendlich doch mit dem herbeigesehnten Hoffnungsschimmer zu entlassen. Dieser Emotionscocktail führt dazu, dass „Was am Ende zählt“ trotz seines schwermütigen Themas niemals Depri-Alarm auslöst.

    Neben den starken Figuren Carla und Lucie hat „Was am Ende zählt“ noch zwei weitere Standbeine. Zum einen holt die Regisseurin eine Menge aus dem gezeigten Milieu heraus: Gerade das Baustellen-Discoschiff gibt als ausgefallener Drehort ordentlich was her. Und selbst aus einer engen, verdreckten Wohnung holt das Filmteam auch visuell noch etwas heraus, indem es sie von oben bis unten mit Puppenteilen, die die Mädchen in Heimarbeit zusammensetzen wollen, vollstopft. Zum anderen überzeugt das Darstellerinnenduo: Paula Kalenberg (Die Wolke, Krabat) stand vor der schwierigen Aufgabe, dem Zuschauer plausibel zu verklickern, dass sie lieber auf einem alten Kahn haust und schuftet, als zu ihrem Vater zurückzukehren. Normalerweise würde man jetzt mit großen Dramanummern rechnen, wie schlimm Zuhause doch alles war. Aber Fehlanzeige: Gerade weil Kalenberg nur mit subtilen Nuancen arbeitet, ist ihre Rolle in jeder Sekunde glaubhaft. Marie-Luise Schramm (Bin ich sexy, Komm näher) fungiert als wichtiger Gegenpol – mit ihrer bodenständigeren Performance erdet sie das Geschehen. Außerdem gelingt ihr das Kunststück, die Sympathien des Publikums trotz ihrer bisweilen schwer erträglichen White-Trash-Rolle auf ihre Seite zu ziehen.

    Fazit: Frauenpower hoch fünf: Zwei aufregende Frauenfiguren + zwei begeisternde Jungschauspielerinnen + eine sensible Regisseurin = ein richtig guter Film.

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