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    I Dreamt Under The Water
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    I Dreamt Under The Water
    Von Sascha Westphal

    Der deutsche Titel von Cédric Klapischs Episodenfilm „Paris“ hat schon etwas Anmaßendes, lautet er doch So ist Paris. Natürlich spiegelten sich in seinen Geschichten einige Facetten der französischen Metropole. Nur hatte Klapisch dabei eher eine Hommage an die „Stadt des Lichts“ als eine Zustandsbeschreibung im Sinn. Sein tragikomischer Querschnitt geht zwar durch alle gesellschaftlichen Schichten, bleibt dabei aber doch ganz den Gesetzen und Konventionen des Kinos verhaftet. Da ist „I Dreamt Under The Water“, das Spielfilmdebüt des jungen Pariser Filmemachers Hormoz, letztlich viel näher am höchst unregelmäßigen Puls der Großstadt dran. Diese dezidiert lyrische Liebestragödie erhebt in keinem Augenblick den Anspruch darauf, Paris, so abzubilden, wie es ist. Trotzdem entspricht der atemlose Rhythmus dieses extrem verdichteten Erstlingswerks ganz dem eines Lebens, dem jeglicher Halt fehlt. Hormoz’ Figuren bewegen sich zwar alle an den äußeren Rändern der Gesellschaft. Aber die Leere, die sie empfinden und die sich eben auch nicht mit Drogen oder Sex ausfüllen lässt, ist ein Phänomen, mit dem in der heutigen Welt nahezu jeder, nicht nur die Bewohner von Paris, zu kämpfen hat.

    Für den Studenten Antonin (Hubert Benhamdine) ist der Musiker Alex (Franck Victor) die erste große Liebe seines Lebens. Auch wenn der seine Gefühle nicht erwidert und in ihm nur einen guten Freund sehen kann, gibt diese Leidenschaft Antonins Leben einen Sinn. Die Hoffnung, dass Alex ihn vielleicht irgendwann doch noch erhören wird, erhält ihn aufrecht. Doch das Leben des Sängers kreist letztlich nur um den nächsten Schuss, für Menschen und echte Beziehungen ist da kaum Platz. Und so kommt es schließlich, wie es kommen muss. Eines Nachts stirbt Alex in einem Club auf einer Toilette an einer Überdosis. Antonin findet ihn zwar, aber retten kann er seinen Freund nicht mehr. Damit ist auch sein Absturz vorprogrammiert. Nacht für Nacht verliert er sich in anonymem Sex mit Fremden. Als ihm einer der Männer, denen er beim Cruising begegnet, Geld für eine Spielart bietet, die Antonin eigentlich widerstrebt, lässt er sich auch darauf ein. Eine Grenze ist überschritten. Von diesem Moment an bietet er seine Dienste als Rent Boy an. Eine erneute Wende nimmt sein Leben erst, als er die ebenso schöne wie traurige Juliette (Caroline Ducey) in einem Nachtclub kennen lernt. Für ihn ist es Liebe auf den ersten Blick. Nur ist auch sie eine Süchtige.

    Die Sucht nach Drogen und die Sehnsucht nach Liebe sind in Hormoz’ erstem Langfilm zwei Seiten ein und derselben Medaille. Beide treiben einen Menschen an den Rand des Abgrunds und schließlich über ihn hinaus. Nicht nur Alex und Juliette zerstören sich nach und nach selbst, auch Antonin richtet sich Schritt für Schritt zu Grunde. Die Liebe könnte ihn zwar auch retten, das unterscheidet sie von den Drogen. Doch dafür sind seine Gefühle einfach zu heftig und zu absolut. Das Bild, das er von der Liebe hat, ist ein Ideal, das so nie Wirklichkeit werden kann. Wie Alex und Juliette findet auch er nur im Exzess zu sich selbst. Aber in einer kalten, von Entfremdung und dem Verlust so ziemlich aller Gewissheiten geprägten Welt ist dieser ewige Taumel am Abgrund längst zu einer eigenen Art von Normalität geworden.

    Nicht nur seine Protagonisten bewegen sich die ganze Zeit über am Rande des Abgrunds, auch der Film selbst ist eine wahre Tour de Force, ein rückhaltloser Sturz in die Nacht unserer Existenz. Mit seiner ungeheuer agilen Handkamera springt Hormoz mitten ins Geschehen. Getrieben von meist monotonen elektronischen Beats jagt „I Dreamt Under The Water“ von einer Szenerie zur nächsten, wie auch Antonin immer auf der Suche nach Erfüllung und Erlösung. Selbst in den Momenten, in denen die Kamera einmal zur Ruhe kommt und ihren Blick verharren lässt, bleibt diese fiebrige Intensität, dieses Gefühl des ewigen Gehetztseins, von dem sich weder Antonin und Juliette noch der Zuschauer gänzlich befreien können. Es gibt kein Entkommen. Dafür ist die Welt, in die der Student zunächst eher unbewusst hineinrutscht, dann aber immer tiefer eintaucht, letztlich viel zu faszinierend. In der Nachfolge von Patrice Chéreaus „Der verführte Mann – L’Homme Blessé“, André Téchinés „Begegnung in Biarritz“ und Jacques Nolots „Zwei Köpfe hat die Mieze“ begibt sich der junge Filmemacher auf einen filmischen Streifzug durch ein Schattenreich aus oft wortlosen Begegnungen und gekauften Leidenschaften, ohne dabei jemals in billigen Sensationalismus oder gar einen mahnenden Gestus abzurutschen. Diese Nächte an verlassenen Mauern, in dunklen Parks oder in geparkten Autos fordern ohne Zweifel ihren Tribut, aber zugleich erfährt Antonin in ihnen eine Freiheit, wie es sie sonst nirgendwo mehr gibt.

    Mit Hubert Benhamdine, der bisher eher in französischen Fernsehserien aufgetreten ist, und Caroline Ducey, die schon bei Catherine Breillat in „Romance“ und in Die letzte Mätresse bewiesen hat, dass sie kein Risiko scheut, hat Hormoz zwei grandiose Hauptdarsteller gefunden, die ohne jeden Vorbehalt in ihren Rollen aufgehen. Beide strahlen eine enorme Intensität und Kraft aus. Selbst in den Augenblicken tiefster Verzweiflung, in denen sich Juliette voller Inbrunst selbst zerstört, in denen sie ihr Leben absichtlich verschwendet, weil alles, was danach kommt, nur besser sein kann, strahlt Caroline Ducey noch eine überwältigende Erhabenheit und eine durch nichts zu zerstörende Würde aus: Diese Juliette ist eine wahre Königin der Nacht, eine unvergessliche poetische Licht- oder besser noch Schattengestalt, die diesem von Baudelaire und Rimbaud geprägten Filmgedicht eine gespenstische Schönheit verleiht.

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