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    La Misma luna
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    La Misma luna
    Von Florian Koch

    Das Jahr 2007 hatte für das mexikanische Kino Urknallcharakter. Immerhin erreichte das befreundete Regiedreigestirn Alejandro González Iñárritu (Babel), Alfonso Cuarón (Children Of Men) und Guillermo del Toro (Pans Labyrinth) mit seinen meisterhaften Arbeiten sage und schreibe 16 Oscarnominierungen. So unterschiedlich die Produktionen auch waren, zeigten sie doch die wachsende Bedeutung mexikanischer Filmemacher in Hollywood auf. Was im mexikanischen Kreativwirbel bisher fehlte, war der weibliche Blick auf die drängenden Probleme des Landes. Daher war es an der preisgekrönten Dokumentarfilmerin Patricia Riggen („Family Portrait“), die männerdominierte Regieszene Mexikos mit ihrem Spielfilmdebüt „La Misma Luna“ (heißt soviel wie „Derselbe Mond“) aufzumischen. Das auf dem Sundance Filmfestival gefeierte Familiendrama verhandelt an Hand einer Mutter/Sohn-Beziehung die traurige Tatsache, dass mehr als vier Millionen junge mexikanische Frauen ihr Glück in den USA versuchen und ihre Kinder dabei in der Heimat zurücklassen. Mit zwei Jahren Verspätung kommt „La Misma Luna“ nun auch in die deutschen Kinos. Der erschütternden Hintergrundgeschichte wird die bisweilen arg sentimentale Emigranten-Soap aber leider nicht gerecht.

    Der aufgeweckte neunjährige Carlos „Carlitos“ Reyes (Adrián Alonso) fiebert jede Woche einem Telefonat am Sonntagvormittag entgegen. Denn nur an diesem Tag kann er seine in Los Angeles lebende, allein erziehende Mutter Rosario (Kate del Castillo, Trade) sprechen. In Tränen aufgelöst fragt er sie jedes Mal, wann er sie endlich wieder sehen darf. Rosario reagiert stets ausweichend, weiß sie doch um ihre verfahrene Situation: Illegal verdient sie seit vier Jahren als Haushälterin und Babysitterin in den Staaten ihr Geld, um ihre in Mexiko weilende Familie finanziell zu unterstützen. Rosarios Traum ist es, irgendwann die amerikanische Staatsbürgerschaft zu erlangen, um Carlitos eine Ausbildung in den USA zu ermöglichen. Als mit Großmutter Benita (Angelina Pelaéz) Carlitos einziger Bezugspunkt stirbt, nimmt der Junge sein Schicksal selbst in die Hand. Einem Schmugglerpärchen (darunter US-Star America Ferrara, „Ugly Betty“) überlässt er sein gesamtes Erspartes, um versteckt unter der Rücksichtsbank ihres Wagens über die Grenze zu gelangen. Zwar spüren die Beamten den Burschen tatsächlich nicht auf, das Auto wird aber wegen ausstehender Gebühren einkassiert. Von hier aus beginnt für Carlitos eine Odyssee…

    Die ersten Filmmomente von „La Misma Luna“ könnten packender kaum sein. Grelle Scheinwerfer durchzucken die Nacht, kurz ist der reißende Rio Grande zu sehen. Schnelle Schnitte zeigen versprengte mexikanische Flüchtlinge, die den gefährlichen Fluss überqueren wollen, um in die USA zu gelangen. Doch die Grenzpatrouillen sind den verzweifelten Menschen auf den Fersen. Nur zwei Frauen erreichen ihr Ziel. Schnitt: Rosario wacht in einem kuscheligen Bett schweißgebadet auf. Die Bildfetzen waren wieder einmal nur Erinnerungen, die sie nicht mehr loslassen.

    Wer nach dieser mitreißenden Einleitung eine knallharte Sozialstudie über die triste Realität mexikanischer Einwanderer erwartet, wird allerdings bitter enttäuscht. Regisseurin Patricia Riggen strebt in ihrem Low-Budget-Drama nicht nach einer realistischen Auseinandersetzung mit dieser Thematik. Die politisch-sozialen Hintergründe bilden in „La Misma Luna“ nur die Folie für eine märchenhafte Mutter/Sohn-Geschichte, die vorhersehbar, sentimental und letztlich beliebig wirkt. Das ist umso bedauerlicher, weil gerade die Darsteller sich gegen das klischeehafte Drehbuch von Ligiah Villalobos stemmen. In der Hauptrolle überzeugt der mittlerweile 15-jährige Adrián Alonso mit nuanciertem Spiel. Ob Trennungsschmerz von der Mutter, wagemutiges Auftreten gegenüber Fremden oder panische Angst an der Grenze entdeckt zu werden: Alonso zeichnet jede Emotion glaubwürdig nach. Auch sein fast schon komödiantisches Wechselspiel mit dem widerwilligen Vaterersatz Enrique besitzt eine wunderbare Leichtigkeit.

    Umso enttäuschender sind die Sequenzen mit der viel zu gut geschminkten Kate del Castillo geraten. Hier wimmelt es von Karikaturen, wie überdrehten Chefinnen oder aufgepimten Latinogangstern. Peinlich gerät besonders die Figur von Paco, einem Verehrer von Rosario. Auch ihr plötzliches Eingeständnis, ihn doch nicht heiraten zu wollen, wirft den stets lächelnden Gutmenschen nicht aus der Bahn. Schlimmer noch, er schwingt nach der emotionalen Enttäuschung wenige Szenen später mit Rosario das Tanzbein, als wäre nichts gewesen. Das Qualitätsgefälle der beiden Handlungsstränge von Carlitos und Rosario nimmt während des Films stetig zu, bis ein grotesker Schluss das ganze Drama endgültig zum Kippen bringt.

    Handwerklich setzt „La Misma Luna“ keine Glanzpunkte. Die bedächtig-sterile Kameraarbeit ist weit entfernt von der fiebrigen Brillanz der Iñárritu-Filme. Im Soundtrack auf populäre mexikanische Gassenhauer zu setzen und der berühmten Band Los Tigres del Norte einen Gastauftritt zu spendieren, besiegelt dann endgültig den soapigen Charakter des Films.

    Fazit: „La Misma Luna“ besitzt alle Ingredienzen eines packenden Familiendramas. Regisseurin Patricia Riggen gelingt es aber nicht, aus den einzelnen Zutaten eine in sich stimmige Geschichte zu erzählen. Statt auf harten Realismus setzt sie viel zu oft auf eine märchenhaft-übersteigerte Emotionalisierung. In den schlimmsten Kitschmomenten erinnert „La Misma Luna“ gar an billige Telenovelas. Mit fatalen Folgen: Riggen verpasst dank ihrer rührseligen, oberflächlichen Inszenierung die einmalige Chance, die brisante Thematik um das erzwungene Auseinanderreißen mexikanischer Familien dem Zuschauer glaubhaft näher zu bringen.

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