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    Der lange Weg ans Licht
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Der lange Weg ans Licht
    Von Christoph Petersen

    Seitdem die Rente im Rahmen der Haushaltsdebatte 1984 von Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm für sicher erklärte wurde, braucht man zur Absicherung des Alters zwar immer noch Kinder, irgendjemand muss ja in die Kasse einzahlen, nur müssen es halt nicht mehr unbedingt die eigenen sein. In Zeiten von KiTa-Platzmangel, Abitur in acht Jahren und einem abflauenden Konjunkturhoch hat Kinderkriegen immer weniger mit notwendiger Fortbestandssicherung zu tun, ist im Gegenteil sogar zu einer Art Luxus-Freizeitgestaltung verkommen. Besonders schlimm trifft die kontinuierlich abnehmende Geburtenrate die Neuen Bundesländer, die sowieso schon mit einer hohen Abwanderung, entvölkerten Regionen und Vergreisung zu kämpfen haben. Hier setzt Douglas Wolfspergers Dokumentation „Der lange Weg ans Licht“ an: Er zeigt, wie Hebammen, Ärzte und Krankenhäuser um die wenigen verbleibenden Schwangeren kämpfen, welche Wege sie einschlagen, um im immer härter werdenden Konkurrenzkampf bestehen zu können. Leider geht Wolfsperger (War´n Sie schon mal in mich verliebt) nebenbei auch noch einer ganzen Menge anderer Fragen nach – und diese sind nicht nur weitaus weniger interessant, sie lassen den Film vor allem in der zweiten Hälfte auch ziemlich plan- und ziellos erscheinen.

    Edeltraut Hertel arbeitet seit fast 20 Jahren als Hebamme in der sächsischen Kleinstadt Meerane. Gelernt hat sie diesen Beruf einst, weil es für die in kirchlichen Belangen stark engagierte Frau in der DDR die einzige Möglichkeit war, als Entwicklungshelferin nach Afrika zu kommen. So pendelt Hertel seit vielen Jahren regelmäßig nach Tansania, wo sie in einem provisorischen Krankenhaus Kinder entbindet. Dabei ist dort so vieles anders als in Deutschland, zum Beispiel gehört es sich für die gebärenden Frauen nicht, während der Geburt zu schreien. In der Heimat plagen Hertel ganz andere Probleme. Die anhaltende Babyflaute verknappt potenzielles Klientel, um das Krankenhäuser und Geburtshelferinnen immer stärker kämpfen müssen. Dabei liegen die Vorteile einer Hebamme auf der Hand: Im Gegensatz zur reinen Klinikentbindung begleitet Hertel die Frauen nicht nur medizinisch, sondern bietet in ihrer Praxis noch viel weitreichendere Angebote – sie lässt ihre Patientinnen sich gegenseitig die Bäuche bemalen oder sie zur Rückenentlastung auf Gummibällen wippen.

    Laut Hertel tätigte eine Chefärztin einmal folgenden Ausspruch: „Und wenn die Frau im Kopfstand ihr Kind zur Welt bringt, die Hauptsache ist, sie tut es bei uns!“ Dieser Konflikt zwischen hartem Konkurrenzkampf und anständiger Schwangerenbetreuung ist der eigentlich spannende, den „Der lange Weg ans Licht“ zu bieten hat. Leider steigt der Film im Endeffekt nicht sonderlich tief in diese Thematik ein, sondern verlagert seine Schwerpunkte zunehmend auf Nebenschauplätze. Dabei fällt zunächst einmal negativ auf, dass das Urteil von Regisseur Wolfsperger von vorneherein feststeht und er mit diesem auch kaum hinter dem Berg hält – er ist pro Hebammen und contra Krankenhäuser. So setzt er dem Beruf der Geburtshelferin ein filmisches Denkmal und lässt zugleich die beiden sächselnden, kameraunerfahrenen Krankenhausärzte, die sich im Film um Kopf und Kragen reden (sie sprechen zum Beispiel von Tricks, mit denen sie schwangere Frauen „kriegen“), hemmungslos auflaufen – ein eigene Meinung kann man sich so nicht bilden, man kann allenfalls die des Filmemachers unreflektiert übernehmen. Dies erinnert ein wenig an die polemische Wirkungsweise eines Michael Moore (Sicko, Fahrenheit 911, Bowling For Columbine), nur dass Wolfsperger diese Schwäche nicht mit Ironie und Witz überspielen kann. Dem Poster, das einen schelmischen Blick auf den ganzen Schwangerschaftszirkus verspricht, wird er nur in den wenigsten Momenten gerecht.

    Neben dem Hebamme-oder-Arzt-Streit beleuchtet der Film auch die Arbeit von Edeltraut Hertel in Tansania. Dabei sind es vor allem die kulturellen Unterschiede zum aufgeklärteren Deutschland, die in diesen Szenen faszinieren. Dies ist ein Nebenschauplatz, der sich lohnt. Die meisten anderen sind hingegen vollkommen überflüssig: Nach etwas mehr als der Hälfte der Spielzeit kommt der Film an einen Scheidepunkt. Hier hätte Wolfsperger die Möglichkeit gehabt, tiefer in den investigativen Zweig seiner Doku einzusteigen, statt einfach nur zu behaupten, Hebammen sind gut, Ärzte sind Kapitalisten, er hätte die Probleme anhand von Fakten schonungslos offenlegen können. Doch Wolfsperger macht einen Rückzieher, der Film legt eine Vollbremsung hin. So geben die Protagonisten in der letzten halben Stunde plötzlich ihre Meinungen zu verschiedenen Schwangerschaftsproblematiken preis: Soll man Säuglinge stillen oder ihnen die Flasche geben? Wie sieht es mit Pränatal-Diagnostik aus? Darf man behinderte Babys abtreiben oder nicht? Sicherlich sind dies interessante Fragen, nur passen sie so gar nicht in das Konzept des Films und gehören in dieser an eine TV-Reportage erinnernde, die Problemstellungen nacheinander abhakenden Form auch auf keinen Fall auf die große Leinwand.

    Fazit: Die Beschreibung des Baby-Konkurrenzkampfs geht zwar nicht weit genug, kann in den vorhandenen Ansätzen aber – trotz unnötiger Polemik - überzeugen. Auch die unverblümte Ode an den Beruf der Hebamme ist akzeptabel. Doch der ganze Rest ist nicht mehr als eine auf Cinemascope-Format aufgeblasene Spiegel-TV-Reportage, die man sich im Fernsehen sicherlich mal ansehen kann, für die sich die 6,50 Euro Kinoeintritt aber kaum lohnen.

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