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    Die Anruferin
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Anruferin
    Von Andreas Staben

    Spätestens seit seinem ersten Langfilm, dem hochgelobten Außenseiterdrama „Northern Star“ von 2003, gilt Felix Randau als eine der Nachwuchshoffnungen des deutschen Kinos. Die besondere Herausforderung des zweiten Films hat der Absolvent der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) mit seinem Drama „Die Anruferin“ erfolgreich gemeistert. Der sehr persönliche Tonfall des nach Randaus Original-Drehbuch entstandenen „Northern Star“ weicht im neuen Werk, den Vera Kissel basierend auf ihrem Theater-Monolog geschrieben hat, einer distanzierteren Erzählhaltung. Die unmittelbare emotionale Wirkung ist in „Die Anruferin“ zwar nicht mehr so stark, aber Randau zeigt zum einen, dass er sich auch einen fremden Stoff aneignen kann und deutet darüber hinaus eine Vielseitigkeit an, die es umso reizvoller macht, sein weiteres Schaffen zu verfolgen. Bei allen Akzentverschiebungen sind es aber die Konstanten, die Randaus Talent am deutlichsten unter Beweis stellen. Sein Gespür für die Schauspielerführung gehört ebenso zu diesen Merkmalen wie die Vorliebe für eine erzählende Kameraarbeit, bei der es nicht um das neutrale Einfangen einer Realität geht, sondern um bewusst gesetzte Akzente und variable Perspektiven. „Die Anruferin“ ist intelligentes, spannungsreiches Kino in Form und Inhalt.

    Die etwa 30-jährige Irm (Valerie Koch) ruft wildfremde Frauen an und gibt sich mit täuschend echter Stimme als kleines Mädchen aus. In langen Gesprächen entwirft sie sich eine ganz neue Existenz, sie schlüpft abwechselnd in die Rollen des sterbenskranken Kindes und seiner Mutter. Die Angerufenen, deren Zuneigung und Mitgefühl durch die Kontakte geweckt wird, lockt Irm schließlich gar zur vorgeblichen Beerdigung des Kindes auf den Friedhof. Abgesehen von diesen Rollenspielen führt Irm ein monotones Leben, das von der reizlosen Tätigkeit in einem Waschsalon und vor allem von der häuslichen Pflege der bettlägerigen Mutter (Franziska Ponitz) bestimmt wird. Erst als Irm sich unter einer ihrer falschen Identitäten mit der Bibliothekarin Sina (Esther Schweins) anfreundet, kommt Bewegung in diese Existenz. Lange kann Irm ihre Fassade als Mutter, die ihr Kind verloren hat, aufrecht erhalten, aber dann erfährt Sina von der Täuschung...

    Wie der Zufall es will, spielt das Telefonieren bei den Kinostarts der Woche gleich zwei Mal eine titelgebende Rolle, neben Randaus „Die Anruferin“ läuft auch noch der Horror-Thriller Tödlicher Anruf an, in dem die Mailbox für eine Reihe Studenten unheilverkündende Nachrichten bereithält. Gerade im Spannungskino werden die Besonderheiten der Kommunikation per Fernsprecher immer wieder gerne aufgegriffen und variiert. Das Klingeln eines Telefons kann für einen Hinrichtungskandidaten die Lebensrettung in letzter Minute bedeuten, für einen nächtlichen Einbrecher hingegen das Verhängnis. Eine Standardsituation ist auch das Ausgeliefertsein hilfloser Zeugen, die mit anhören müssen wie am anderen Ende der Leitung Unheil geschieht. Machtspiele und Manipulationen, in denen das Telefon zentrale Bedeutung besitzt, kennzeichnen Klassiker wie „Du lebst noch 105 Minuten“ oder Bei Anruf Mord und auch neuere Werke wie Nicht auflegen! oder Unbekannter Anrufer.

    Die meisten der angesprochenen Filme haben gemeinsam, dass sie aus der Perspektive der Terrorisierten und Bedrohten erzählt sind. Vera Kissel interessiert sich, wie der Titel nahelegt, hingegen in erster Linie für die Anruferin und Felix Randau übernimmt diese Sichtweise, indem er uns Irm bei ihren Telefongesprächen zeigt. So ist „Die Anruferin“ dann auch kein lupenreiner Thriller, sondern fast so etwas wie eine psychologische Fallstudie, die der Regisseur selbst als Psychogramm bezeichnet. Das Telefonieren ist hierbei ein Mittel, eine andere Identität anzunehmen, ein Versuch, aus tiefsitzender Einsamkeit und Isolation auszubrechen. „Die Anruferin“ steckt nicht nur am Telefon voller gestörter Kommunikation. Besonders auffällig ist dies zwischen Irm und ihrer verstummten Mutter, die ihr immer die jung verstorbene Schwester vorzuziehen schien. Aber auch die Arbeitskollegen und die neu gewonnene Freundin kommen oft nicht an Irm heran oder stoßen an wunde Punkte.

    Für die glaubwürdige Darstellung der kleinen und großen Irritationen, die „Die Anruferin“ so prägen“, ist es natürlich erforderlich, auf passende Schauspieler zurückzugreifen. Dass Randaus Film mit unmanirierten und facettenreichen Darstellerleistungen aufwarten kann, ist aber nicht nur den richtigen Besetzungsentscheidungen zu verdanken. Randau findet genau die richtige Balance von inszenatorischer Vorgabe und schauspielerischer Freiheit, was besonders der Hauptfigur zugute kommt. Der bisher hauptsächlich am Theater tätigen Valerie Koch („Sie haben Knut“) gelingt als Irm eine ähnlich beeindruckende Darstellung wie Julia Hummer in „Northern Star“. Nie wirkt Irm eindimensional, sie ist vielmehr auf der Suche nach sich selbst und offenbart immer wieder neue Seiten. Wenn sie Sina mit ihren Telefonfertigkeiten hilft, dem Vermieter Beine zu machen und besonders bei ihrem Rückfall in die Kinderidentität zeigt sich ihre Sehnsucht nach Verständnis und Zuneigung. Esther Schweins, die immer noch für ihre Auftritte in „RTL Samstag Nacht“ am bekanntesten sein dürfte, ist als offene und unbefangene, gleichzeitig aber auch verletzliche Sina die ideale Ergänzung zu Kochs Irm. Die gemeinsamen Szenen von Sina und Irm sind durch den Einsatz wärmerer Töne auch inszenatorisch ein hoffnungsvoller Kontrast zur klinisch anmutenden Wohnung Irms und ihrer Mutter. Franziska Ponitz schafft es, den komplexen Gefühlen dieser Frau, die einer unerreichbaren Vergangenheit nachhängt und sich trotzig in den Alkohol flüchtet, auch ohne Worte beredt Ausdruck zu verleihen. Die Versöhnung zwischen Tochter und Mutter wird auf der Grundlage der sorgfältig differenzierten Beziehung zu einer der emotionalsten Szenen des ganzen Films.

    „Die Anruferin“ ist ein unkonventioneller Film, der sich eindeutigen Genrezuordnungen entzieht und mehr von inneren Konflikten als von äußerlicher Spannung lebt. Exzellente Darstellerinnen und atmosphärische Bildgestaltung machen dieses „Kleine Fernsehspiel“ zu einem echten Kinofilm, der auf der Leinwand seine ganz eigene Stimmung entfaltet.

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