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    Wäre die Welt mein
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Wäre die Welt mein
    Von Sascha Westphal

    Shakespeare und immer wieder Shakespeare. Die Stücke des elisabethanischen Dichters und Dramatikers erfreuen sich nicht nur auf sämtlichen Bühnen der westlichen Welt einer ungebrochenen Beliebtheit. Auch Filmemacher lassen sich immer wieder von ihnen inspirieren. Die ganz große Welle der Shakespeare-Verfilmungen und -Variationen, die um die Jahrtausendwende mit William Shakespeares Romeo + Julia von Baz Luhrmann, „Hamlet“ von Kenneth Branagh und „Titus“ von Julie Taymor auf der einen und Highschool-Filmen wie O, „10 Dinge, die ich an dir hasse“ oder „Ran an die Braut“ auf der anderen Seite ihren absoluten Höhepunkt erreicht hatte, ist inzwischen zwar merklich abgeflaut. Aber ganz aus der Mode werden Shakespeares Komödien und Tragödien wohl nie kommen. Schließlich sind sie in ihrer unerhörten Zeitlosigkeit offen für nahezu alle Arten von Aktualisierungen und Experimenten. Das beweist nun wieder einmal Thomas Gustafsons Debüt, das extrem campige, aber manchmal auch etwas unbeholfen wirkende Highschool-Musical „Wäre die Welt mein“, in dessen Zentrum eine Schulaufführung des „Sommernachtstraums“ steht. Nur beschränkt sich der Zauber des Stücks, in dem Puck mit einem magischen Trank gleich mehrere Liebende in ein totales Gefühlschaos stürzt, hier nicht auf die Bühne. Er greift auf das Leben der Schüler und ihrer Mitmenschen über und verwandelt eine zutiefst konservative amerikanische Kleinstadt in einen dionysischen Ort der freien (gleichgeschlechtlichen) Liebe.

    Auf den ersten Blick ist der gutaussehende Timothy (Tanner Cohen) alles andere als der typische jugendliche Außenseiter. Allerdings setzt er sich mit seinen engen Jeans und dem extrem figurbetonten weißen Hemd deutlich von seinen Mitschülern ab: Timothy ist schwul und macht daraus auch keinen Hehl. Damit haben nicht nur die Erwachsenen in seiner Heimatstadt, einem ziemlich verschlafenen Nest irgendwo in der Nähe von Chicago, ihre Probleme. An der reinen Jungen-Schule, die er besucht, gilt er als Störfaktor und wird dementsprechend ständig gemobbt. Dass er sich ausgerechnet in Jonathan (Nathaniel David Becker), den von den Mädchen umschwärmten Star des Rugby-Teams, verliebt hat, macht das Leben auch nicht gerade leichter für ihn. Doch dann fordert ihn seine resolute Englischlehrerin Ms. Tebbit (Wendy Robie) auf, für eine Rolle in „Ein Sommernachtstraum“ vorzusprechen. Zunächst lehnt er ab, aber der Gedanke an die Aufführung lässt ihm keine Ruhe. Mit seiner großartigen Gesangsstimme erobert er sich schließlich sogar die Rolle des Puck, und mit ihr fällt ihm auch gleich noch dessen magisches Elixier zu. Wem er es in die Augen träufelt, der verliebt sich in den ersten Menschen, den er danach erblickt.

    Wie nahezu alle Komödien Shakespeares erzählt auch „Ein Sommernachtstraum“ vom ewigen Widerstreit zwischen Ordnung und Chaos. Die Regeln und Gesetze der Gesellschaft, die vor allem die bestehenden Machtverhältnisse schützen sollen, sind ständig bedroht durch die Anarchie der Gefühle. Die Liebe fällt eben dahin, wo sie will, und nicht dorthin, wo sie soll. Nur davon wollen die Mächtigen nichts wissen. Damit am Ende trotzdem alles gut werden kann, muss die Welt erst einmal so richtig auf den Kopf gestellt werden. Dafür ist Pucks Zauber genau das richtige Mittel. Es raubt den Menschen zwar ihren freien Willen, aber es befreit sie dafür auch von den Ketten und Zwängen ihres bisherigen Lebens. Wenn seine Wirkung verflogen ist, sehen sie die Verhältnisse mit neuen Augen und können sie dementsprechend auch neu ordnen.

    Genau diesen Gedanken greift Thomas Gustafson in seinem Musical auf: Eine Welt, in der Homosexuelle immer noch zu Außenseitern gestempelt und ständig psychisch und physisch unter Druck gesetzt werden, muss einmal so richtig durcheinander geschüttelt werden. Also schnallt sich Timothy die Feenflügel, die ihm seine Mutter aus ihrem Hochzeitskleid für die Schulaufführung geschneidert hat, um, setzt sich auf sein Fahrrad und sorgt mit Hilfe von Pucks Zaubertrank dafür, dass aus einer bis dahin überaus konservativen Kleinstadt über Nacht ein Paradies für Homosexuelle wird. Der Bürgermeister wird zum Vorreiter in Sachen gleichgeschlechtlicher Ehen. Nahezu sämtliche Mitglieder des Rugby-Teams entdecken ihre Gefühle für einander. Und auch die sonstigen Stützen der Gesellschaft verwandeln sich mit einmal in wahre Paradiesvögel. Eine gewisse Opposition bleibt natürlich bestehen. Doch für die hält Ms. Tebbit noch einen ganz anderen Zauber bereit: Shakespeares Stück. Die Macht der Poesie und Imagination, der Sprache und der Musik ist so groß, dass Timothy sogar den Zauber, der alles erst ins Rollen gebracht hat, wieder aufheben kann.

    In seinen stärksten Momenten geht von diesem märchenhaften Musical mit seinen wunderbaren Songs tatsächlich eine geradezu magische Wirkung aus. Die Musikerin und Komponistin Jessica Fogle, aus deren Feder schon einige Musicals stammen, hat Shakespeares Verse kongenial vertont. So frisch und modern wie in ihren Songs klingen sie auch im Theater nur selten. Nur können sie längst nicht immer ihre ganze Wirkung entfalten. In seinem Bemühen um Originalität übertreibt es Thomas Gustafson leider gelegentlich. Seine von den Klassikern des Queer Cinemas geprägte Inszenierung mit ihren extrem exaltierten Camp-Choreographien und ihrer grellen Farbdramaturgie ist dann doch zu viel des Guten. Sie lenkt im Grunde nur von den Liedern ab. Gustafson setzt seine jungen, athletischen Darsteller zwar immer wieder perfekt in Szene und bietet seinem Publikum damit zweifellos etwas fürs Auge, doch letzten Endes wirken seine Bildkompositionen nur epigonal. Er zitiert ständig klassische schwule Bilderwelten, kann ihnen aber nichts Eigenes hinzufügen.

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