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    Her Brother
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Her Brother
    Von Björn Becher

    Im Vorspann von „About Her Brother“, Yoji Yamadas Abschlussfilm der 60. Internationalen Filmfestspiele von Berlin, gibt es einen kurzen Überblick über die japanische Nachkriegsgeschichte. Neben Katastrophen, Errungenschaften und Jubeltagen ist dort auch die Erstausstrahlung des Auftaktwerkes der „Tora-San“-Filmreihe vertreten. Die insgesamt 48 Filme dieser Serie um einen erfolglosen Handelsreisenden, die zwischen 1969 und 1996 entstanden sind, waren in Japan ein Straßenfeger. Yamada schrieb für alle Filme der Reihe das Drehbuch und inszenierte 46 dazu persönlich. Dass er sich nun selbst im Vorspann zu seinem neuesten Film verewigt, ist keine Aufschneiderei, sondern ein mehrfacher Fingerzeig: Es werden auch hier wieder Menschen im Mittelpunkt stehen, mit denen es das Leben nicht immer gut meint und es darf trotz vieler dramatischer Momente viel gelacht werden. Japans größter noch lebender Regisseur enttäuscht die Hoffnungen nicht und schenkt der Berlinale einen hervorragenden Abschluss.

    Die Witwe Ginko (Sayuri Yoshinaga) hat ihre Tochter Koharu (Yû Aoi) wunderbar erzogen, leitet nebenbei eine mäßig erfolgreiche Apotheke und versorgt die Schwiegermutter. Nun soll Koharu in eine reiche Familie einheiraten. Auf der Hochzeitsfeier taucht plötzlich Ginkos jüngerer Bruder Tetsuro (Tsurube Shôfukutei) auf, ein immerzu lauter und störender Taugenichts mit einem Alkoholproblem, der wegen seiner Eskapaden von der Familie verbannt worden war. Auch Koharus Hochzeit ruiniert Tetsuro mit seinen alkoholisierten Gesangseinlagen. Nichtsdestotrotz kümmert sich Ginsko in den folgenden Tagen um ihren kleinen Bruder - bis er wieder verschwindet. Die Zeit geht ins Land, Koharus Ehe macht schwere Zeiten durch und dann gibt es mal wieder unerfreuliche Kunde von Tetsuro…

    Yoji Yamada hat schon über 100 Drehbücher geschrieben und bei fast 80 Filmen Regie geführt. Trotz seines fortgeschrittenen Alters von bald 80 Jahren ist er immer noch in höchstem Maße produktiv und auf der Jubiläumsberlinale 2010 ist er gleich doppelt vertreten. Neben dem im Wettbewerb außer Konkurrenz gezeigten Abschlussfilm „About Her Brother“ lief im Forum noch der fast ausschließlich mit Laien besetzte „Kyoto Story“, bei dem Yamada allerdings ein Gros der Arbeit seinem Co-Regisseur Tsutomu Abe überließ. Yamada, der in Japan längst ein Star war, als er auch im Westen - vor allem durch seine Samurai-Trilogie (Samurai der Dämmerung, The Hidden Blade, „Love And Honor“) - bekannt wurde, zeigt sich hier mal wieder von seiner allerbesten Seite.

    „About Her Brother“ unterstreicht einmal mehr Yoji Yamadas großes Talent wirkungsvoll zwischen komischen und dramatischen Momenten zu wechseln. Wie kaum ein zweiter Regisseur versteht er es, für ein Gleichgewicht der Stimmungen zu sorgen. Selbst als eine seiner Figuren auf dem Sterbebett liegt, baut Yamada einen komischen Kontrapunkt ein, ohne sich dabei im Ton zu vergreifen. Kurz nach dieser Entspannung rührt er uns dann schon wieder zu Tränen.

    Obwohl die aus Koharus Erzählperspektive geschilderte Tragikomödie den Titel „About Her Brother“ trägt, ist dieser sehr oft abwesend. Yamada scheint sich bewusst, dass die von einem richtig auf die Pauke hauenden Tsurube Shôfukutei (Kabei) an der Grenze zum Overacting großartig interpretierte Figur vom Publikum bei falscher Dosierung leicht als Nervensäge empfunden werden könnte. Tetsuros Auftritte sind sehr überlegt eingesetzt, über weite Strecken verschwindet er von der Bildfläche, um den Fokus auf die restliche Familie zu legen. Während der Figur des Bruders also in erster Linie der etwas brachialere Humor vorbehalten ist, bevorzugt Yamada im Übrigen die leisen Töne, da gibt es im Hintergrund versteckt beispielsweise einen Running Gag, der daraus resultiert, dass die Apotheke der Familie auf einer Anhöhe liegt. Eine dritte Spielart von Witz bringt die leicht zänkische, oft nörgelnde Schwiegermutter ein.

    „About Her Brother“ ist ein sehr subtiler Film. Die komplexen Familienbeziehungen werden oft nur durch kleine Gesten oder kurze Kamerafahren verdeutlicht. Nebenthemen wie mangelnde Emanzipation und damit verbunden die Ehekonflikte werden angerissen, drängen sich aber nicht in den Vordergrund. Die sehr ruhige und angenehm unaufgeregte Erzählweise bringt nur im Mittelteil mal einen kurzzeitigen Durchhänger mit sich, ist sonst aber angenehm unaufgeregt.

    Fazit: Wäre Yamadas Film nicht außer Konkurrenz gelaufen, hätte ihn die Jury bei der Bärenvergabe sicher bedenken müssen. So bekommt der insgesamt in diesem Jahr sehr durchschnittliche Berlinale-Wettbewerb wenigstens einen starken Abschluss. Wenn auch ohne die große Wucht einiger seiner Meisterwerke, gelingt Yamada mit „About Her Brother“ eine stille, facettenreiche, komische und tragische Familiengeschichte.

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