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    Prall im Leben
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Prall im Leben
    Von Christian Horn

    In weiten Teilen der Welt wird die Bevölkerung immer fetter. Verschiedene Dokumentarfilme haben dieses vieldiskutierte gesellschaftliche Phänomen bereits in den Blick genommen, im Privatfernsehen laufen unaufhörlich Doku-Soaps zum Thema und kürzlich hat die nicht ganz dem vorherrschenden Schönheitsideal unserer Zeit entsprechende Mo'Nique den Oscar für ihre Nebenrolle in „Precious" entgegennehmen dürfen. Dicke und noch Dickere überall, warum also nicht auch im spanischen Kino? In seiner Tragikomödie „Gordos - Die Gewichtigen" erzählt Regisseur Daniel Sánchez Arévalo, dessen Kinodebüt „Dunkelblau Fastschwarz" ihm wohlwollende Vergleiche mit seinem berühmten Landsmann Pedro Almodóvar einbrachte, anhand einer Therapiegruppe für Übergewichtige vom Schicksal einer Handvoll Menschen. Leider nimmt der Filmemacher seine Protagonisten und deren Probleme – die sich ganz und gar nicht nur auf die überschüssigen Kilos beschränken, sondern viel allgemeinerer Natur sind – kaum wirklich ernst. Vielmehr serviert Arévalo gleich einen ganzen Schwall an Stereotypen, dem nur durch einige skurrile Szenen und die gut aufgelegten Darsteller entgegengewirkt wird.

    Abel (Roberto Enríquez) leitet eine Therapiegruppe für Übergewichtige. Die jeweils erste Sitzung beginnt er mit der Aufforderung, sich zu entkleiden, was freilich nicht bei allen Hilfesuchenden auf Gegenliebe stößt – unsere Protagonisten aber ziehen mit und sich selbst also aus. Da ist Andrés (Fernando Albizu), der kurz vor seinem 50. Geburtstag die gesundheitliche Notbremse ziehen will, nachdem alle seine ebenso schwergewichtigen Verwandten in genau diesem Alter gestorben sind. Seine Tochter Nuria (Marta Martín) leidet ebenfalls unter überflüssigen Pfunden und wird an der Schule sowie von ihrem sportlichen Bruder gemobbt. Die Informatikerin Leonor (Maria Morales) wiederum vermisst ihren Freund, der für einige Monate in den Vereinigten Staaten arbeitet. Aus Frust hat sie zwanzig Kilo zugelegt – nun will sie den Geliebten bei seiner Rückkehr unter keinen Umständen mit neuer Kleidergröße empfangen. Enrique (Antonio de la Torre) hat als Moderator einer Fernsehshow Diätpillen verkauft. Durch die Gewichtszunahme verlor er nicht nur den Job, sondern auch die Selbstachtung. Zuletzt hat es noch Sofia (Leticia Herrero) in die Therapiegruppe verschlagen. Die junge Frau steht kurz vor der Hochzeit mit ihrem streng katholischen Freund Alex (Raul Arevalo), der nicht nur Sex vor der Ehe, sondern auch eine Diät strikt ablehnt.

    Daniel Sánchez Arévalo wechselt zwischen diesen Protagonisten und ihren Geschichten stetig hin und her, wobei er es kaum schafft, den einzelnen Figuren gerecht zu werden. Auch das ständige Schwanken zwischen Tragik und Komik ist meist nicht sehr elegant und es erscheint des Öfteren schlicht unangebracht, wenn eine dramatische Situation in dem typischen skurrilen Tonfall des Films aufgelöst und ihr ernster Gehalt einfach beiseite geschoben wird. Diese oberflächliche Erzählweise geht mit einer ebensolchen Inszenierung Hand in Hand: Einfach gehaltene Kausalketten und gelackte Bilder lassen an eine Hochglanz-Seifenoper denken.

    Das Kernthema von „Gordos" ist nicht das Übergewicht im Speziellen, sondern die Fixierung der Gesellschaft auf das Körperliche im Allgemeinen. Nacktheit und Sex spielen in Arévalos Film daher keine kleine Rolle und die Figuren ziehen sich nicht nur zum Auftakt der Therapiesitzung aus. Andrés wird beim wilden Sex mit seiner ebenfalls übergewichtigen Frau gefilmt und die Aufnahmen werden ins Internet gestellt, Sofia überzeugt ihren Verlobten dann doch von vorehelicher Liebe und Leonor unternimmt den Versuch, ihr angeschlagenes Selbstbewusstsein durch unverbindlichen Sex mit möglichst vielen Männern aufzupeppeln. Enrique schließlich, der eigentlich schwul ist, lässt es sich von der Frau seines Managers mit einem Umschnalldildo besorgen und kommt wegen seiner sexuellen Orientierung ins Straucheln.

    Als Ursachen für das übermäßige Essen der Figuren werden die üblichen Verdächtigen ins Feld geführt: Bei Andrés und seiner Tochter ist eine Mischung aus Vererbung und Hedonismus verantwortlich, bei fast allen anderen sind es Frust, Einsamkeit oder einfach Langeweile. Paula (Verónica Sánchez) hingegen, die Geliebte des Therapeuten Abel und eine wohl proportionierte Sportlehrerin, nimmt aus einem ganz natürlichen Grund zu: wegen ihrer Schwangerschaft nämlich. Dass Abel sie dann nicht mehr anfassen will, sie nicht mal mehr ansehen kann, ist die stärkste Stellungnahme des Films. Ausgerechnet beim Leiter der Therapiegruppe pervertiert sich der Körperkult und nimmt ungesunde Formen an.

    „Gordos" ist sicherlich nicht völlig misslungen. Allein schon die guten Leistungen der Darsteller retten den Film vor der Belanglosigkeit; auch mit einigen wirklich komischen Szenen kann Arévalo punkten. Insgesamt aber ist der Film entschieden zu weichgespült und wird seiner Thematik kaum gerecht. Zur Entwicklung der Hauptfiguren wird lediglich eine Abfolge einfacher Situationen aufgetischt, von Substanz und Komplexität kann kaum die Rede sein und daran liegt es auch, dass „Gordos" sich bisweilen in die Länge zieht. Als kleine Tragikomödie funktioniert der Film zwar in weiten Teilen, aber da der Wechsel zwischen tragischen und komischen Elementen oft zu holprig geraten ist, bleibt er als Ganzes unausgegoren. Eine Art neuer Almodóvar ist Daniel Sánchez Arévalo jedenfalls angesichts von „Gordos" ganz sicher nicht.

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