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    Wir schaffen das schon
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Wir schaffen das schon
    Von Jan Görner

    Als 1978 mit dem Gesetz 180 alle psychiatrischen Anstalten Italiens geschlossen wurden, stand die Politik vor einem Dilemma: Wohin mit den ehemaligen Patienten? Die früheren Insassen wurden an gemeindeeigene Gesundheitszentren überwiesen, die sich nach den Bedürfnissen der Kranken richteten, statt in erster Linie die Gesellschaft vor ihren schwarzen Schafen zu schützen. Auch heute, trotz aller Umbrüche der vergangenen Jahrzehnte, ist Gesetz 180 noch in Kraft. Mit seiner Tragikomödie „Wir schaffen das schon" zeichnet Regisseur Giulio Manfredonia („Qualunquemente") in bestechend leichtherziger Manier die Geschichte dieses weltweit einmaligen Projektes und der damit zusammenhängenden Schicksale nach. An den Kinokassen Italiens wurde „Wir schaffen das schon" bereits 2008 zum Erfolg und galt als aussichtsreicher Kandidat für eine Oscar-Kandidatur als bester nicht-englischsprachiger Film. Drei Jahre später kommt das Kleinod endlich in die deutschen Kinos.

    Mailand zu Beginn der 80er Jahre: Der eigensinnige Gewerkschaftsfunktionär Nello (Claudio Bisio) steht auf einmal alleine da. Seine Freundin, die Designerin Sara (Anita Caprioli), lässt ihn fallen, weil er ihr zu linksgerichtet ist. Weil seine Denkschrift zu marktorientiert ist, verdonnert ihn sein Arbeitgeber zu einer besonderen Aufgabe. Nello landet als Leiter in einer Arbeitsgemeinschaft für psychisch Kranke. Für die elf Mitglieder der Kooperative ist die Arbeit im Auftrag der Stadt bislang kaum mehr als eine Beschäftigungstherapie. Mit Drogen hält sie der zuständige Arzt (Giorgio Colangeli) an der Gängelschnur. Und schon ist Nellos Ehrgeiz geweckt. Er ermutigt die Mitglieder, ihre Arbeit auf dem freien Markt anzubieten. Und tatsächlich, als Parkettverleger feiern die Außenseiter beachtliche Erfolge. Bald erkennt der abgebrühte Nello, dass auch er einer Heilung bedarf...

    Wenn von Personen die Rede ist, die sich randständigen Gruppen der Gesellschaft annehmen, fällt allzu oft der despektierliche Begriff „Gutmensch" – eine Person also, deren Engagement eigentlich nur der Besänftigung des eigenen Gewissens dient. Für den Protagonisten Nello jedoch sind Job und (politische) Überzeugungen untrennbar miteinander verbunden. Wenn er seinen Kollegen gemeinsam mit den Patienten die Vorzüge des freien Marktes gegenüber dem Wohlfahrtsstaat darlegt, wird offenbar, dass er sich unter Gleichgestellten fühlt. Entscheidungen die Kooperative betreffend werden gleichberechtigt in Abstimmungen unter den Mitgliedern getroffen. Und weil jeder der Teilnehmer eine Spezialaufgabe entsprechend seiner Fähigkeiten zugesprochen bekommt, wird z.B. der autistische und abgeschottete Roby (Andrea Gattinoni) zum Präsidenten des Unternehmens ernannt.

    Es ist zum einen der unerschütterlich-philanthropische Glaube, der Nello als sympathische Hauptfigur verankert. Der andere ist Claudio Bisio („Willkommen im Süden"), der aus einem tollen Ensemble hervorsticht. Der Mime vereint in seiner Darstellung die Ernsthaftigkeit, die ein Thema wie die Inklusion Behinderter gebietet, und das natürliche Charisma, das die leichten Aspekte der Geschichte trägt. Doch auch die anderen Darsteller, allesamt italienische Eigengewächse, brauchen sich keineswegs zu verstecken. Giovanni Calcagno („Buongiorno, notte - Der Fall Aldo Moro") als Gewalttäter Luca oder Andrea Bosca („Febbre Da Fieno") als sehnsüchtiger Gigio verdienen Erwähnung. In der Geschichte des jungen Mannes, der sich nichts mehr wünscht als eine Gefährtin, findet „Wir schaffen das schon" sein tragisches Element.

    Allenfalls die Figur des Goffredo (Carlo Giuseppe Gabardini) wirkt auf den ersten Blick – übergewichtig und mit einer dicken Hornbrille – an den Simulanten Andy aus „Little Britain" angelehnt. Glücklicherweise wird das Spiel mit diesen Klischees von Regisseur Manfredonia nicht überstrapaziert. Ihr Alleinstellungsmerkmal findet die Kooperative darin, dass sie aus Parkettresten kunstvolle Mosaike schafft – ein treffsicheres Bild für den sozialen Kontext dieser Arbeit. Durch ihre Leistungen erlangen die elf Menschen Anerkennung, sowohl in materieller als auch in zwischenmenschlicher Hinsicht. Ohne große Rührseligkeit hat Manfredonia mit „Wir schaffen das schon" einen erfrischenden und würdevollen Film geschaffen.

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