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    Seelenvögel
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Seelenvögel
    Von Sascha Westphal

    Die westliche Kultur der vergangenen ein-, zweihundert Jahre tut sich schwer mit der Illustration des Todes. In der Kunst sind Leichen- und Todesdarstellungen zwar immer noch präsent, sei es in Form von Photographien oder Gemälden, Totenmasken oder auch Filmbildern, aber in den Nachrichtenmedien, dem Fernsehen wie auch den Zeitungen, finden sich nur sehr selten Abbildungen von aufgebahrten Leichen. Der Tod wird so ganz bewusst in die Reiche der Fiktion und der Kunst abgeschoben und damit zumindest zu einem gewissen Grad fiktionalisiert. Selbst die Photographen und Dokumentarfilmer, die sich dieser Entwicklung widersetzen und in ihren Werken die Realität des Sterbens und des Todes festhalten, wirken im heutigen gesellschaftlichen Klima nahezu machtlos. Sie stehen praktisch auf verlorenem Posten, da auch sie in die Kunst-Nische abgedrängt werden. Dabei zeigen ihre künstlerischen Reaktionen auf den Tod genau das, was eigentlich jeden angeht und betrifft; und das macht einen Dokumentarfilm wie Thomas Riedelsheimers „Seelenvögel“, für den der Kameramann und Regisseur über mehrere Jahre hinweg drei an Leukämie erkrankte Kinder und deren Familien begleitet und beobachtet hat, so wichtig.

    Die 15-jährige Pauline kämpft schon seit Jahren gegen die heimtückische Krankheit an. Eine Rückmarkstransplantation und die anschließende Chemotherapie hat sie erfolgreich überstanden. Doch nun sind ihre Blutwerte wieder deutlich schlechter und ihre Chancen stehen nicht gut. Mit ihrer Mutter und ihren Freundinnen probt sie, die Gedichte schreibt und vom Theater träumt, an Szenen aus der „Zauberflöte“, deren Texte sie gemeinsam überarbeitet haben. Richard ist zehn und bekommt seine erste Transplantation, auf die lange Wochen der Isolation folgen. In seinem Krankenzimmer spielt er Schach und Billard. Und wenn kein Besuch da ist, lernt er Chinesisch. Der sechsjährige Lenni wurde mit dem Down-Syndrom geboren und hat nun auch schon eine Serie von Bestrahlungen hinter sich. Den Prognosen der Ärzte zufolge hätte er schon tot sein müssen. Doch dann haben sich seine Werte wie durch ein Wunder verbessert.

    „Tod, wo ist Dein Stachel?“ – ihre Krankheit zwingt Pauline, Richard und Lenni, mit dem Tod zu leben. Er ist jeden Tag in ihrem Leben präsent; und sie alle stellen sich ihm mit einer Offenheit, die zunächst verblüfft, die aber nicht nur für sie etwas Befreiendes hat. Auch Thomas Riedelsheimer („Rivers And Tides“, „Touch The Sound – A Sound Journey With Evelyn Glennie“) findet alleine durch sie und ihre Familien zu Freiheit im filmischen Umgang mit dem Sterben und dem Tod, die jenseits aller Klischees und Tabus liegt. Seine poetischen Naturaufnahmen von Seerosen und Feldern, die eine ansteckende Gelassenheit und Ruhe ausstrahlen und den Kampf der Kinder gegen die Krankheit in einen größeren Kontext setzen, gehen perfekt mit Paulines Tagebucheinträgen und Gedichten zusammen. Ihr Schreiben und ihr Proben zeugt von Widerstand und Akzeptanz. Sie weiß, dass sie dem Tod nicht davonlaufen kann und dass der, der es versucht, ihm nur noch schneller begegnet. Trotzdem weigert sie sich, von ihm alleine ihr Leben bestimmen zu lassen.

    Thomas Riedelsheimers poetisierte, sich extrem offensiv der Formen und Mittel der Kunst bedienende Annäherung an Krankheit und Tod wirkt allerdings nicht nur auf eine erlösende Art befreiend. Sie hat – vor allem vor dem Hintergrund unserer Zeit und unserer Kultur – auch etwas zutiefst Irritierendes, wenn nicht gar Verstörendes. Gerade zum Ende hin wagt sich Riedelsheimer mit seinen bis ins kleinste Detail durchkomponierten Todesbildern in ein Reich vor, in dem Kunst und Kitsch extrem nahe beieinander liegen. In ihnen nähert er sich einem barocken Stil an, der letztlich so weit vom Alltag unserer Welt entfernt ist, dass er fast schon einer Provokation gleicht. Doch das Unbehagen, das der von ostasiatischen genauso wie von katholischen Vorstellungen geprägte Film auslöst, gilt es auszuhalten.

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