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    Die Abenteuer der kleinen Giraffe Zarafa
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Die Abenteuer der kleinen Giraffe Zarafa
    Von Robert Cherkowski

    Wir alle sind mit amerikanischen Zeichentrickmeisterwerken aus den Disney-Studios großgeworden. Auch heute noch gerät man beim Gedanken an die wundervolle Zeichenkunst, die witzigen (oft tierischen) Nebenfiguren, die ungemein eingängigen Songs und das ganz, ganz große Pathos ins Schwärmen. Wer etwas länger über diese Filme und ihre erzählerischen Muster nachdenkt, kann allerdings ins Grübeln kommen: In „Aladdin" sind die Helden allesamt seltsam hellhäutig, während lediglich die Bösewichter wie echte Araber aussehen, die Geschichte von der Verschleppung der Ureinwohnerin „Pocahontas" durch einen stolzen Engländer vor dem Hintergrund eines nahenden Genozids wird zur kuscheligen Lovestory und von rassistischen Fehlgriffen wie King Louie im „Dschungelbuch" oder dem oft haarsträubend sexistischen Frauenbild hat man da noch gar nicht gesprochen. Doch es geht auch anders: Wie man eine märchenhafte Geschichte voller naiver Größe, Gefühl und Magie erzählen kann, ohne die Realität zu verwässern, schönzufärben oder zu ignorieren, zeigen die französischen Regisseure Rémi Bezançon und Jean-Christophe Lie mit ihrem Animations-Meisterwerk „Die Abenteuer der kleinen Giraffe Zarafa". Ihr Film ist ein zutiefst humanistisches, dabei humorvolles und spannendes Märchen, in dem ganz nebenbei von der schwierigen Beziehung zwischen Orient und Okzident erzählt wird.

    Afrika 1826: Als der junge Eingeborene Maki dem französischen Sklavenhändler Moreno in die Hände fällt, droht ihm ein Leben als Haushalthilfe bei den feinen Herrschaften von Paris. Doch es kommt ganz anders: Ihm gelingt eine gefährliche Flucht, auf der er nicht nur den Beduinenprinzen Hassan kennenlernt, sondern auch Freundschaft mit der jungen Giraffe Zarafa schließt. Ihre gemeinsame Reise führt bis nach Alexandria, das von türkischen Streitkräften belagert ist. Auf Wunsch des Paschas Ali nimmt das Trio im Heißluftballon von Kapitän Malaterre Platz und nimmt, begleitet von zwei tibetischen Kühen, Kurs auf Paris. Dort soll Hassan Zarafa dem König Karl X. zum Geschenk machen und im Gegenzug Unterstützung im Kampf gegen die Türken erbitten. Es beginnt eine abenteuerliche Reise übers Mittelmeer und quer durch Europa, die in Paris ein packendes Finale findet, als die Gruppe mit dem rachsüchtigen Moreno zusammenstößt.

    Sklaverei, Menschenjagd, Krieg, Unterdrückung, Kolonialismus – harter Stoff für einen Kinderfilm. Doch den Regisseuren Rémi Bezançon („C'est la vie – So sind wir, so ist das Leben") und Jean-Christophe Lie gelingt es immer wieder, Hoffnung und völkerübergreifende Toleranz zu vermitteln. Was als erschreckend düstere Geschichte vom Schicksal eines Sklaven beginnt, entwickelt sich bald zu einem Road Movie über zwei Kontinente, bei dem zahlreiche Vertreter verschiedenster Kulturkreise, Religionen und Nationen auftreten. Dabei gerät der Film nie zu einer Schulstunde über die Vielfalt der Völker, sondern bleibt trotz allem spannende Unterhaltung – und zwar für die begleitenden Eltern ebenso wie für ihre Sprösslinge. Hier wird ganz ohne pädagogischen Zeigefinger und krampfhaftes Bemühen um politische Korrektheit für Solidarität und Toleranz geworben und zugleich der Kolonialismus sowie die Überheblichkeit der Ersten gegenüber der Dritten Welt angeprangert.

    Das Figurendesign ist von ausgefeilter Schlichtheit. Sowohl der kleine Abenteurer Maki als auch der heldenhafte, grüblerische, an Omar Sharif in „Lawrence von Arabien" erinnernde Hassan werden mit einfachen Mitteln zum Leben erweckt. Nebenfiguren wie der pummelige Ballonpilot Malaterre, die griechische Piratenbraut Bouboulina oder der hassenswerte und immer wieder feige austeilende Antagonist Moreno bekommen großartige Szenen. Auch die Tiere sind mit erstaunlicher Tiefe versehen, nicht zuletzt die beiden tibetischen Kühe, mit denen sogar noch etwas fernöstliche Spiritualität mit ins Spiel kommt. Und dabei sprechen die Tiere hier ausnahmsweise nicht einmal, sondern schweigen – eine angenehme, sozusagen artgerechte Abwechslung.

    Die größte Stärke von „Die Abenteuer der kleinen Giraffe Zarafa" liegt in der Souveränität mit der Bezançon und Lie ihre erzählerischen Grenzgänge meistern. Die Odyssee von Maki, Hassan, Malaterre und ihrer tierischen Begleiter ist zwar episodisch erzählt, zerfällt jedoch nie in ihre Einzelteile. Auch wenn vieles, was hier nebenbei passiert den Stoff für einen eigenen Spielfilm hätte liefern können, bleibt die Reise der Helden doch immer das emotionale und narrative Zentrum der Geschichte. Mit ähnlicher selbstverständlich wirkender Sicherheit spielen die Macher mit typischen Orient-Klischees, ohne je in Stereotypie zu verfallen. Sie schaffen für „Die Abenteuer der kleinen Giraffe Zarafa" eine eigene bunte Märchenwelt und verlieren dabei doch nie die Realität aus den Augen. Wenn alle Kinderfilme so weise, offenherzig und packend wären wie dieses kleine Meisterwerk, müsste man sich keine Sorgen um die Geisteshaltung kommender Generationen machen.

    Fazit: Mit seinem humanistischen und warmherzigen Film „Die Abenteuer der kleinen Giraffe Zarafa" ist dem französischen Regiegespann Rémi Bezançon und Jean-Christophe Lie ein echtes Animations-Meisterstück gelungen.

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