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    Wenn Ärzte töten
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Wenn Ärzte töten
    Von Sascha Westphal

    Gleich zu Beginn von „Wenn Ärzte töten“ stellen die Filmemacher Hannes Karnick und Wolfgang Richter („Martin Niemöller: ‚Was würde Jesus dazu sagen?’“) die eigentlich entscheidende Frage: Wie lässt sich das Grauen der NS-Verbrechen in einem Film darstellen? Ihre Dokumentation über die Psychologie der NS-Ärzte, die in Todeskliniken und Konzentrationslagern des Dritten Reichs aktiv an der Ermordung und Vernichtung von Juden und so genannten Unwertigen mitgewirkt haben, gibt zwar keine definitive Antwort auf dieses gleichermaßen moralische wie praktische Dilemma – die kann es letzten Endes auch gar nicht geben. Aber sie übergehen es auch nicht einfach. Ihre extrem reduzierte Herangehensweise, sie verzichtet auf historische Dokumente genauso wie auf Ortsbegehungen, setzt ein deutliches Zeichen für eine strikte Nüchternheit. Sie vertrauen auf die Macht des Wortes und die analytischen Fähigkeiten des Zuschauers. Doch gerade die fordern sie dann letztlich viel zu wenig heraus.

    „Wenn Ärzte töten“ ist das Dokument eines über mehrere Tage hinweg geführten Interviews mit dem amerikanischen Professor Robert Jay Lifton. Hannes Karnick und Wolfgang Richter haben den berühmten Psychologen in seinem Haus auf der Halbinsel Cape Cod besucht und dort zu Gesprächen mit ehemaligen NS-Ärzten befragt. Mit seinen Interviews mit Überlebenden des Holocaust wie des Atombombenangriffs auf Hiroshima und mit aus dem Vietnam-Krieg zurückgekehrten Soldaten und ihrer Auswertung ist Lifton zum Begründer einer neuen wissenschaftlichen Richtung geworden. Das Zentrum seiner psychohistorischen Forschungen und Studien bilden allerdings seine Gespräche mit NS-Ärzten, in denen er den Bedingungen und Voraussetzungen nachgespürt hat, die aus Medizinern, aus eidlich verpflichteten Heilern, Mörder gemacht haben. Nun, etwa 30 Jahre später, referiert er vor Hannes Karnicks und Wolfgang Richters Kamera noch einmal die Umstände und die Ergebnisse dieser von Halbwahrheiten, Beschönigungen und Taktiken des Abwiegelns geprägten Begegnungen.

    Die Wahrheit über die Geschehnisse in Auschwitz und den anderen Fabriken des Todes versteckte sich meist in dem, was Liftons Gesprächspartner gerade nicht sagten, was sie entweder umschrieben oder ganz unausgesprochen ließen. Der Psychologe musste zwischen den Zeilen und in den Gesichtern lesen. Was sich ihm dabei offenbarte, lieferte ihm dann aber den entscheidenden Schlüssel zum Verständnis dieser Täter und ihrer Biographien.

    Liftons Einsichten und Erkenntnisse zählen ohne Frage zu den bemerkenswertesten in der wissenschaftlichen Forschung über den Nationalsozialismus und seine Verbrechen, zumal die von ihm beschriebenen Mechanismen und Verhaltensweisen auch in anderen Situationen und Systemen greifen können. Dass er sie nun vor laufender Kamera noch einmal selbst zusammenfasst und erläutert, darin liegt der große Reiz von Hannes Karnicks und Wolfgang Richters Dokumentation, die sich außer in einigen wenigen eingestreuten Landschaftsbildern und Wolkenpanoramen ganz auf Lifton und seine Erinnerungen konzentriert.

    Diese Form der Reduktion, die fast von Anfang an Erinnerungen an „Shoah“ und die anderen Filme Claude Lanzmanns heraufbeschwört, setzt „Wenn Ärzte töten“ zwar deutlich von all den Dokumentationen und Fernseh-Specials à la Guido Knopp ab, die Geschichte in eine Art von filmischen Themenpark verwandeln. Aber trotzdem hat sie etwas von einem letztlich doch wieder unbefriedigenden Kompromiss. Anders als Lanzmann, in dessen Film die Opfer und die Täter selbst zu Wort kommen, so dass die Realität des Lebens in den Vernichtungslagern immer präsent ist, können sich Karnick und Richter den Verbrechen der NS-Ärzte nur indirekt nähern. Robert Jay Lifton ist zweifellos ein faszinierender Gesprächspartner, dessen außergewöhnliche Biographie auch genügend Material für einen Dokumentarfilm liefert. Nur geht es den beiden Filmemachern darum gerade nicht. Alles, was Lifton von sich selbst offenbart, was er aus seinem Leben erzählt, bleibt mehr oder weniger Zugabe. Im Zentrum des Films stehen seine Interviews mit den zu Mördern gewordenen Ärzten. Doch von denen kann er nur rückblickend sprechen. So entsteht eine nicht mehr zu überbrückende Distanz, die dem Betrachter keine neue analytische Dimension eröffnet. Er muss sich ganz auf Liftons Erzählungen und Schlüsse verlassen, so dass sich die Dokumentation nach und nach immer mehr in eine Art Werbefilm für dessen Bücher und Studien verwandelt.

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