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    For Ellen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    For Ellen
    Von Lars-Christian Daniels

    Mal angenommen, man würde Daniel Day-Lewis („Lincoln") und Billy Crudup („Almost Famous") addieren und anschließend mit Johnny Depp multiplizieren – welcher Schauspieler käme dann wohl dabei heraus? Na klar: Paul Dano. Das zumindest schrieb 2007 das renommierte US-Magazin Rolling Stone, nachdem sich der damals 22-jährige Schauspieler als vermeintlich stummer Teenager im Independent-Hit „Little Miss Sunshine" in die Herzen der Zuschauer gespielt und mit seiner Doppelrolle in Paul Thomas Andersons „There Will Be Blood" an der Seite von Day-Lewis überzeugt hatte. Ob die ungewöhnliche Gleichung tatsächlich aufgeht, sei dahingestellt – sicher ist aber, dass Dano sich keineswegs auf seinen Lorbeeren ausruht. Nach kleineren Auftritten in Big-Budget-Produktionen wie „Cowboys & Aliens" ist er in So Yong Kims sehenswertem Indie-Drama „For Ellen" in seiner bis dato facettenreichsten Rolle zu sehen und zeigt als abgehalfterter Rockstar was schauspielerisch in ihm steckt.

    Im Leben von Joby Taylor (Paul Dano) läuft derzeit wenig rund: Mit seinen Bandkollegen kann sich der Rockmusiker nicht auf die Songs für eine neue Platte einigen, seine Rostlaube versagt bei kalten Wintertemperaturen immer häufiger den Dienst und seine Ehe liegt in Trümmern. Zu allem Überfluss muss er sich nun auch noch mit seiner zukünftigen Ex-Frau Claire (Margarita Levieva) herumschlagen, die ihn bei der bevorstehenden Scheidung um das gemeinsame Haus und das Sorgerecht für seine sechsjährige Tochter Ellen (Shaylena Mandigo) bringen will. Joby hat Ellen zwar noch nie zu Gesicht bekommen, ist aber nicht dazu bereit, seine Tochter einfach abzuschreiben. Als er die Hoffnung auf eine erste Begegnung fast schon aufgegeben hat, erreicht ihn an einem verkaterten Morgen ein unerwarteter Anruf: Am Apparat ist Ellen, die ihren Vater kennenlernen möchte...

    Ob Jon Favreaus schräger Sci-Fi-Western-Mix „Cowboys & Aliens", James Mangolds starbesetzte Actionkomödie „Knight And Day" oder zuletzt Rian Johnsons herausragender Zeitreisethriller „Looper": Paul Dano war in jüngerer Vergangenheit in vielen ambitionierten Kinoproduktionen zu sehen, überließ die Show dabei aber meist den prominenteren Kollegen. In „For Ellen" ist das ganz anders: So Yong Kim („Treeless Mountain"), die mit der Arbeit am Drehbuch zu ihrer rührenden Vater-Tochter-Geschichte begann, als ihre gemeinsame Tochter mit dem amerikanischen Regisseur Bradley Rust Gray („Jack And Diane") gerade zwei Jahre alt geworden war, konzentriert sich ganz auf ihre Hauptfigur. Nicht einen Moment lässt die Kamera Joby aus den Augen und so bekommt Dano die Gelegenheit, sein schauspielerisches Potenzial voll auszuspielen.

    Dabei ist Joby zu Beginn alles andere als ein Sympathieträger: Er raucht, trinkt, flucht und verhält sich auch sonst wie der typische Klischeerocker. Nicht mal die Scheidungspapiere liest er richtig durch und fällt aus allen Wolken, als ihn sein Freund und Anwalt Fred Butler (Jon Heder) kurz vor der Vertragsunterschrift auf das Kleingedruckte aufmerksam macht. Dano füllt seine recht klischeehaft angelegte Figur jedoch überzeugend mit Leben. Bei der alles verändernden Begegnung mit seiner Tochter etwa zeigt Jody eine überraschend verhaltene, unsichere Seite, die den ersten Eindruck als trügerischen entlarvt. In den gemeinsamen Minuten des Kennenlernens, zurückhaltend gefilmt und fraglos zu den stärksten Momenten des Films zählend, beschnuppern sich Vater und Tochter lange unbeholfen, ehe bei einer Bowlingpartie endlich das Eis bricht. Die bezaubernde Shaylena Mandigo feiert dabei in der Rolle der sechsjährigen Ellen ein überaus gelungenes Leinwanddebüt, auch wenn sie kaum mehr tun muss, als die ungeschickten Fragen ihres Vaters einsilbig zu beantworten oder mit einem gleichgültigen Achselzucken zu strafen.

    Vor der Kulisse eisiger Schneelandschaften und seelenloser Kleinstadt-Malls zeichnet Kim das pointierte Porträt eines verzweifelten Vaters, der viel zu spät begreift, dass er das Glück und die Geborgenheit einer eigenen Familie mit seinen Eskapaden leichtfertig verspielt hat. Als Joby seiner Tochter später einen zweiten Besuch abstattet und heimlich an ihr Kinderzimmerfenster klopft, muss sich der von Selbstzweifeln zerfressene Musiker unter Tränen eingestehen, dass er nie mehr den Zugang zu dem verängstigten Mädchen finden wird. Schüchtern klimpert Ellen auf ihrem Keyboard ein paar Takte aus Beethovens „Für Elise" und wirkt dabei auch ohne die lobenden Worte Jobys, der ihre ersten sechs Lebensjahre buchstäblich verschlafen hat, glücklich. So kompromisslos bleibt Kim auch mit dem offenen Ende, das sicher nicht jedem Zuschauer schmecken wird. Sie folgt konsequent dem Prinzip mehr Fragen zu stellen, als klare Antworten zu geben.

    Fazit: Mit „For Ellen" inszeniert So Yong Kim ein rührendes Vater-Tochter-Drama und zugleich eine überzeugende Charakterstudie, in deren Hauptrolle Paul Dano nahtlos an seine starken Auftritte der vergangenen Jahre anknüpft.

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