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    Wolfsbrüder
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Wolfsbrüder
    Von Robert Cherkowski

    Wer die Natur als Hort der Harmonie wahrnimmt, der hat noch keine Nacht im Freien verbracht: In zahlreichen Abenteuerfilmen und Survival-Dramen wurde das Ausgeliefertsein des Menschen in der Wildnis durchgespielt. Dabei sind immer wieder existenzialistische Kleinode entstanden – seien es die fiebrigen Dschungelphantasmen eines Werner Herzog („Aguirre, der Zorn Gottes"), die im Wahnsinn endenden Ausstiegsträume von Harrison Ford in „Mosquito Coast" oder zuletzt Liam Neesons Überlebenskampf gegen ein fieses Wolfsrudel in „The Grey - Unter Wölfen". Das gemeinsame Motiv aller dieser Erzählungen: Der Protagonist muss sich in der Welt „da draußen" behaupten, um mit der Welt „da drinnen" konfrontiert zu werden. Auch Gerardo Olivares greift dies in seinem Abenteuer-Drama „Wolfsbrüder" auf und erzählt die wahre Geschichte von Marcos Rodríguez Pantonja, der im Spanien der Franco-Diktatur als heimatloser Vagabund im „Tal der Stille", in der unwirtlichen Landschaft der Sierra Morena, lebte und eine enge Beziehung zu den dortigen Wölfen aufbaute. Dabei wirkt der radikal anders inszenierte „Wolfsbrüder" selbst, als wäre er von Aussteigern gedreht worden.

    Zur Zeit der Franco-Diktatur in den frühen 1950er Jahren stehen nicht nur die spanischen Städte unter der Knute autoritärer Gewaltherrschaft. Auch die entlegene Gegend um das sogenannte „Tal der Stille" ist von Machtspielen betroffen. Die Bauern und ihre Familien sind einem Landbaron ausgesetzt, der über Leben und Überleben seiner „Knechte" entscheidet. Als die Ziegenherde einer armen Hirtenfamilie durch eine Wolfsattacke dezimiert wird, beschließt sie, eines ihrer Kinder der Obhut des Barons zu überlassen. Die Wahl fällt auf den jungen Marcos (Manuel Camacho), der zu einem alten Ziegenhirten Atanasio (Sancho Gracia) abgeschoben wird. Als dieser verstirbt, muss Marcos alleine in der Wildnis zurechtkommen. Jahre später fühlt sich Marcos (Juan José Ballesta) einem Wolfsrudel enger verbunden als den Menschen, die ihn Zeit seines Lebens nicht gewollt haben. Als Marcos und das Rudel in Konflikt mit einem tyrannischen Landverwalter (Carlos Bardem) geraten, eskaliert die angespannte Situation...

    „Wolfsbrüder" ist ein bizarrer Film, der in so mancher Hinsicht nicht funktioniert. Dennoch übt Gerardo Olivaress Survival-Drama einen Sog aus, dem man sich kaum entziehen kann. „Wolfsbrüder" ist anders. Nicht gewollt anders im Sinne eines erzählerische Konventionen umgehenden Experimentalfilms, sondern schlichtweg verblüffend holprig und laienhaft. Nicht nur die wahrlich rustikale Inszenierung, auch die Dramaturgie wirkt ungeschliffen – mal überschlagen sich wichtige Ereignisse innerhalb weniger Szenen, dann fallen wirre Zeitsprünge auf. Und an wieder anderer Stelle wird rätselhaft lang an Details gehangen, die den Erzählfluss eher hemmen, als Dynamik zu schaffen. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch den sehr groben Schnitt, der eher an das Handwerk eines Holzfällers als an die ordnende Tätigkeit eines Cutters denken lässt.

    Wenn Marcos von seinem Vater auf Befehl der bösen Stiefmutter (die nur „die Hexe" gerufen wird – die Gebrüder Grimm lassen grüßen) an den Landbesitzer abgeschoben wird, ist viel Potential für emotionale Talfahrten gegeben. Mehr als mit kitschiger Musik unterstrichene Sentimentalitäten sind dann aber nicht drin. Auch die Beziehung des jungen Marcos zum Einsiedler und Mentor Atanasio bleibt randständig, statt zum Pfeiler der Geschichte ausgebaut zu werden. Aber die Figuren definieren sich hier ohnehin vor allem über ihr Verhalten zur und in der Natur, die praktisch die eigentliche Hauptrolle spielt. Das stille Tal liefert eine wunderbar melancholische, von Felsen, Klüften, moosbewachsenen Baumstämmen und klaren Bächen gezeichnete Seelenlandschaft, die dem Film eine Identität jenseits des gängigen Erzählkinos gibt. Wenn der Kamerablick auf dem Tal-Panorama ruht, wenn morgendliche Nebelbänke und der Tau auf den Blättern im Bild eingefangen wird, dann kommt mehr Atmosphäre auf als in sämtlichen Spielszenen zusammen.

    Allerdings kann sich Olivares dabei nicht entscheiden, ob er die Natur als grausame Vorhölle oder als Himmel auf Erden schildern möchte und pendelt zwischen beiden Extremen, wenn er einerseits den beschwerlichen Überlebenskampf des jungen Marcos schildert und andererseits dann wieder der Verklärung der Wolfsgemeinschaft verfällt. Die nahezu mythische Verbindung zwischen Marcos und dem Raubtierrudel wird dabei kaum vertieft. Irgendwann – so scheint es – kriegen die Wölfe hier wohl Mitleid mit dem armen Burschen und legen ihm Fleisch vor seine Höhle, damit er nicht verhungert. Dann gehen sie zusammen auf die Jagd... Der gelernte Dokumentarist Olivares schwankt zwischen Realismus und Kitsch, Tierdoku und Spielfilm, Naturalismus und Mystizismus. So will sich hier auch nicht die Magie einstellen, die etwa ein junger Jean-Jacques Annaud („Am Anfang war das Feuer", „Der Bär") womöglich aus dem Stoff geholt hätte - Spannend ist Olivares‘ betont intuitiver Zugang zum Filmemachen dennoch.

    Fazit: „Wolfbrüder" ist in seiner inszenatorischen Grobschlächtigkeit ein besonderes Erlebnis. Gleichwohl schafft es Gerardo Olivares nicht, die verschiedenen Elemente - zwischen Naturdoku und Spielfilm - zu einem stimmigen Ganzen zu verbinden.

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