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    Auf der sicheren Seite
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Auf der sicheren Seite
    Von Sascha Westphal

    Die südafrikanische Stadt Johannesburg hat eine der höchsten Mordraten der Welt. Schon eine rote Ampel kann – zumindest für eine gewisse Bevölkerungsschicht – zu einer tödlichen Falle werden. Also ziehen die Menschen, die es sich leisten können, in eine der exklusiven Gated Communities in den Außenbezirken der Stadt. In diesen Wohnanlagen können sie geschützt von Mauern, Elektrozäunen und ständig patrouillierenden Sicherheitskräften ein relativ sorgenfreies Leben führen. Dort genießen sie all die Sicherheit, die sich für Geld kaufen lässt. Aber zugleich leben sie – das offenbart Corinna Wichmanns und Lukas Schmids Dokumentation „Auf der sicheren Seite" in aller Deutlichkeit – in einer Welt, die radikal mit dem klassischen Verständnis von Freiheit bricht. Die Bewohner von derartigen Anlagen können sich in ihrem Ghetto des Luxus natürlich so frei wie sie nur wollen bewegen, aber Gefängnisse, wenn auch goldene, bleiben Gated Communities dennoch.

    Nach zwei nächtlichen Einbrüchen in ihr früheres Haus haben sich die Immobilienmaklerin Brenda und ihr Mann dafür entschieden, sich ein Domizil in Dainfern, einer extrem luxuriösen Gated Community in Johannesburg, zu kaufen. Dort leben sie nun schon seit 17 Jahren als Teil einer überwiegend – wenn auch nicht ausschließlich – weißen Gemeinschaft, deren schwarze Angestellte diese Oase der Sicherheit in der Regel mit Einbruch der Dunkelheit wieder verlassen müssen. Der indische Unternehmer und Politiker Mr. Misra träumt davon, dass einmal ganz Indien so etwas wie eine Gated Community sein wird. Doch bis es soweit ist, lebt er in Palm Meadows, einer durch und durch westlich orientierten Siedlung in Bangalore. Nur dort findet der Gewinner der Fernsehshow „Lead India" (sehr frei übersetzt „Indien sucht den Superpolitker") die Infrastruktur, die für ihn einfach zu einem komfortablen Leben dazugehört. Stacy Stanley hat sich seiner Frau zuliebe für ein Haus in Spanish Trail, einer extrem konservativen Eigentümergemeinschaft in Las Vegas, entschieden. Er selbst hat sich bisher nicht wirklich mit dem doch recht isolierten Leben in einer Gated Community arrangieren können. Aber Spanish Trail sollte sowieso nur eine Zwischenlösung für die Stanleys sein.

    Gated Communities gehören fraglos zu den zukunftsträchtigsten Geschäften auf dem Immobilienmarkt. Aus Städten wie Johannesburg und Bangalore sind sie heute schon nicht mehr wegzudenken. Aber auch an anderen Orten der Welt, die längst nicht in diesem extremen Maße von Armut und Gewalt geprägt werden, wächst der Bedarf nach diesem ganz auf Luxus und Sicherheit ausgerichteten Lifestyle. Zudem wird das Interesse an diesen eingemauerten Siedlungen in den kommenden Jahren parallel zum Anwachsen der sozialen Kluft zwischen einigen wenigen Privilegierten und der Masse der Bevölkerung steigen. Corinna Wichmanns und Lukas Schmids Dokumentation kommt also genau zum richtigen Zeitpunkt. Schließlich gewährt sie dem Betrachter einen intimen Einblick in Welten hinter Mauern, die ansonsten unzugänglich bleiben. So können die beiden Filmemacher ihrem Publikum schon jetzt einen sehr genauen Eindruck davon vermitteln, wie die Zukunft nahezu aller Großstädte aussehen wird.

    Corinna Wichmann und Lukas Schmid beziehen ganz bewusst nicht Stellung. Sie bewerten weder die Entscheidungen ihrer Protagonisten noch die einzelnen Existenzentwürfe, die mit dem Leben in den porträtierten Gated Communities verbunden sind. Das ist letztlich auch gar nicht notwendig. Die Bilder aus Johannesburg, Bangalore und Las Vegas sprechen eine derart deutliche Sprache, dass sich der Betrachter zwangsläufig seine eigene Meinung bildet. Der Kontrast zwischen dem Luxus in Dainfern - zu der Anlage gehört auch ein Golfplatz mit Driving Range - und den erbärmlichen Hütten, in denen die Menschen leben, die tagsüber in der Anlage arbeiten, ist erschreckend. Noch schockierender ist allerdings eine Schulung, in der ebendiese Hausangestellten darauf geeicht werden, Menschen, die offensichtlich nicht in die Siedlung gehören, per SMS bei den Sicherheitskräften und der Polizei zu melden.

    So ernüchternd die Bilder aus Südafrika auch sind, sie zeugen zumindest noch von sozialen Konflikten, die eine Entwicklung hin zu derart abgeriegelten Gemeinden nachvollziehbar machen. In Spanish Trail gestalten sich die Verhältnisse noch einmal ganz anders. Dort regiert ein schon absurder Nachbarschafts-Ästhetizismus, der viel über die Mentalität der gehobenen amerikanischen Mittelschicht erzählt. Hier ist der eigene Sicherheitsdienst der Community weniger zum Schutz der Anwohner als zu ihrer Kontrolle da. Die wichtigste Aufgabe dieser privaten Polizei, die auch Strafmandate für zu schnelles Fahren ausstellen darf, ist es, sicherzustellen, dass die Hausbesitzer ihre Mülltonnen nicht zu früh an den Straßenrand stellen und sie schnell wieder hereinholen, dass kein Garagentor offensteht und dass niemand in seiner Auffahrt parkt. Das alles erwächst aus einem extrem rigiden Verständnis davon, wie eine ordentliche Siedlung auszusehen hat. Der äußere Schein ist alles. Was auf den noch einmal von Hecken oder Mauern umgebenen Grundstücken geschieht, das interessiert dagegen niemanden. Größte persönliche Freiheit und nahezu totale Kontrolle gehen in dieser Eigentümergemeinschaft wahrhaft Hand in Hand.

    Im Vergleich zu Dainfern und Spanish Trail wirkt Palm Meadows tatsächlich wie ein hehres Ideal, das durchaus als Vorbild für eine ganze Gesellschaft fungieren kann. Mr. Misras Traum von einem Indien, das so ordentlich ist und sich so westlich gibt wie diese Anlage, offenbart noch einmal eine ganz andere Facette von Gated Communities und wird damit zur Basis einer erstaunlich vielschichtigen Einschätzung dieses globalen Phänomens. Natürlich ist dieser Unternehmer, der stellvertretend für das neue indische Bürgertum stehen kann, ein Showman und ein Phantast. Es ist kein Wunder, dass seine politische Karriere stark mit der Teilnahme an einer Reality-Show verknüpft ist. Trotzdem zeugt Palm Meadows mit seinen perfekt asphaltierten Straßen eben auch vom Versagen der indischen Behörden, die den Bewohnern ihrer Städte keine auch nur annähernd vergleichbare Infrastruktur bieten können.

    Corinna Wichmann und Lukas Schmid bleiben in „Auf der sicheren Seite" nahezu unsichtbar. Sie verzichten nicht nur auf eine eigene Bewertung der Zustände in den Gated Communities. Sie kommentieren ihre Bilder auch sonst nicht. Nur so konnten sie sich diese bemerkenswerte Neutralität bewahren, die ihren Film zu einem soziologischen und städtebaulichen Dokument erster Güte macht. Im Hinblick auf die größeren Strukturen und Zusammenhänge ist ihre Strategie also perfekt aufgegangen. Aber sie hat bei allen Vorzügen auch eine Kehrseite. Die Menschen, die Corinna Wichmann und Lukas Schmid eine Zeit lang begleitet und beobachtet haben, die ihnen erst die Tore geöffnet haben, bleiben relativ blass. Das Publikum erfährt nur Bruchstücke, die allenfalls zu oberflächlichen Einschätzungen reichen. Vielleicht ist diese Art von Marginalisierung sogar angemessen im Angesicht von Gemeinden, die ausschließlich nach Sicherheitserwägungen organisiert sind. Schließlich sind die Bewohner der Gated Communities letztlich Gefangene. Doch am Ende wäre es reizvoll, einfach noch mehr über die ganz individuellen Wege zu erfahren, die Menschen in diese Hochsicherheitstrakte führen.

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