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    To The Wonder
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    To The Wonder
    Von Andreas Staben

    Terrence Malick hat den Hebel umgelegt: Nachdem der überaus öffentlichkeitsscheue Texaner seinem Erstling „Badlands" von 1973 in fast vier Jahrzehnten nur vier weitere Filme folgen ließ, lag zwischen der Fertigstellung von „The Tree Of Life", für den der Regisseur 2011 in Cannes die Goldenen Palme gewann, und der Erstaufführung von „To The Wonder" beim Festival in Venedig kaum mehr als ein Jahr. Und während das letztgenannte Liebesepos nach und nach weltweit in die Kinos kommt, arbeitet Malick schon an mindestens drei weiteren Werken, die zum Teil schon abgedreht sind. Das ist ein erstaunlicher Rhythmuswechsel für den Filmemacher und der ist „To The Wonder" durchaus anzusehen. Im Vergleich zu dem philosophisch-allumfassenden „The Tree Of Life" mit seinen Dinosauriern und Schöpfungsvisionen wirkt der „Nachfolger" bodenständiger, direkter, auch freier. Zum ersten Mal hat Malick einen Film gedreht, der komplett in der Gegenwart angesiedelt ist, und während der Vorgänger noch aus großen Ideen geformt und zuweilen von derem abstrakten Gewicht dominiert erscheint, erreicht der Filmemacher mit „To The Wonder" eine neue Einfachheit und Menschlichkeit. Seine Spiritualität, seinen impressionistischen Stil und seine zerklüftete Erzählweise gibt er dabei indes keineswegs auf und so ist das Drama ein absolut unkonventionelles, bildmächtiges und tief empfundenes Filmgedicht über die Liebe und ihr Wesen.

    Ein Liebespaar besucht den Mont St. Michel, die berühmte Granitfelseninsel in der Normandie, und sein jahrhundertealtes Kloster. Die Frau (Olga Kurylenko) heißt Mariana und hat eine zehnjährige Tochter namens Tatiana (Tatiana Chiline). Nach einer Weile fragt der Mann (Ben Affleck), ob Mutter und Kind mit ihm von Paris in seine amerikanische Heimat übersiedeln wollen. In Oklahoma fühlen sich die beiden Zugereisten aber auf Dauer nicht recht wohl und Mariana sucht Beistand bei einem Priester (Javier Bardem), der wiederum mit Glaubenszweifeln ringt. Als das Visum der jungen Frau schließlich abläuft, kehrt sie mit Tatiana nach Frankreich zurück. Der Mann bleibt in den USA und kommt schließlich einer alten Flamme, der Rancherin Jane (Rachel McAdams), wieder näher. Doch auch Mariana zieht es zu ihm zurück.

    Die Inhaltsangabe täuscht fast ein wenig darüber hinweg, dass Malick sich auch bei „To The Wonder" weit außerhalb der üblichen Kategorien des Erzählkinos bewegt. Die auftretenden Personen werden niemals zu klar umrissenen Filmfiguren ausgearbeitet und was gemeinhin als Plot bezeichnet wird, ist auf ein Minimum eingedampft. Hauptdarsteller Ben Affleck behauptete sogar, dass „To The Wonder" Malicks Vorgänger „The Tree Of Life" im Nachhinein wie „Transformers" aussehen lassen würde. Das ist natürlich etwas übertrieben, aber dieser Film wirkt auf seine Weise noch einmal experimenteller als die anderen Werke des Regisseurs, gerade weil er erzählerisch so reduziert ist – Malick hat einen weiteren Schritt zu einem reinen Kino der Sinne und der Empfindungen gemacht. Gleich der erste Off-Kommentar von Marina (erneut gibt es nur sehr wenige Dialoge und Malick legt stattdessen häufig Reflexionen, Gedanken und Impressionen aus dem Mund der Figuren über die Bilder) bringt den Zauber des unbeschwerten (Neu-)Anfangs zum Ausdruck, wenn von Geburt, vom Augenöffnen und von einem Funken die Rede ist. Das Gewicht der Geschichte, der großen Pläne und Kämpfe, das aus „The Tree Of Life" ein geradezu kosmisches Drama machte, wird zunächst einmal abgeschüttelt, denn die Liebe entfaltet sich in der Gegenwart. Das unterstreichen die verspielten Wackelbilder von den Kabbeleien der Verliebten, die aus der Handykamera stammen könnten, sozusagen auch technisch.

    Malick ist in „To The Wonder" noch näher an seinen Figuren als sonst, die Kamera hält kaum einmal mehr als einen halben Meter Abstand. Dadurch entstehen eine Intimität und eine Unmittelbarkeit, die sowohl die romantischen Momente des Beginns, als auch die späteren Krisen und Konfrontationen prägen. Der Regisseur ist dabei eben nicht an der Psychologie und der Motivation der Figuren interessiert, sondern an der Essenz des Augenblicks. So sind die einzelnen Situationen dem Zuschauer grundsätzlich vertraut - die Euphorie und das Herzschlagen, aber auch die Zweifel und die Frustrationen kennt jeder – doch bei Malicks Protagonisten kommen sie scheinbar aus dem Nichts. Das gilt besonders für Ben Afflecks Figur, die im Film nicht nur namenlos (einzig dem Presseheft ist zu entnehmen, dass sie Neil heißen soll), sondern auch nahezu wortlos bleibt. Zudem ist er oft nur von hinten oder im Anschnitt zu sehen. Es heißt, dass der „Argo"-Star sich zur Vorbereitung alte Gary-Cooper-Filme angesehen hat und tatsächlich erinnert seine schweigsame Präsenz an einen klassischen wortkargen Westernhelden. Er ist ein Suchender und in der Liebe wird er vielleicht wenigstens vorübergehend fündig.

    Afflecks Neil ist womöglich so etwas wie ein Alter Ego des Regisseurs, auf alle Fälle ist er ein Verwandter von Javier Bardems Pater Quintana, denn auch der sucht nach Erfüllung und Erkenntnis. In der Rolle des von Glaubenszweifeln geplagten Geistlichen zeigt Bardem, dass er auch noch ein ganz anderes Rollenfach als das des flamboyanten Bösewichts (siehe „No Country For Old Men" und „Skyfall") beherrscht und glänzt als stiller Grübler, während Malick bei den Begegnungen des Paters mit den von einheimischen Laiendarstellern verkörperten Kranken, Süchtigen und Geplagten eine fast dokumentarische Note in den Film bringt. Das hier zu sehende Elend ist bedrückend, aber die Szenen sind von großer Kraft und von tiefempfundenem Mitgefühl durchdrungen: Auch das ist Liebe. Malicks Blick auf unsere Gegenwart ist durchaus skeptisch, aber nicht ohne Hoffnung – so hat Neil (offenbar ist er eine Art Umwelttechniker), als er bei Bodenproben stark überhöhte Schadstoffbelastungen feststellt, zwar Wehmut im Blick, doch eben keine Verzweiflung.

    Die Filmtitel „Liebe" und „Gnade" sind schon vergeben, würden aber beide gewissermaßen programmatisch zu „To the Wonder" passen. Aber dessen Beschwörung des Wunderbaren (die neben dem sprichwörtlichen Wunderwerk Mont St. Michel natürlich das Wunder der Liebe meint) ist von einer emotionalen und sinnlichen Dringlichkeit, die das Besondere von Malicks Film schön auf den Punkt bringt. Diese Energie des Staunens und Fühlens konzentriert sich insbesondere in und auf Olga Kurylenko („Oblivion"), die letztlich die wahre Hauptdarstellerin ist. Das hat sich erst beim Schneideprozess ergeben (an dem gleich fünf Cutter beteiligt waren und bei dem wieder einige bekannte Schauspieler auf der Strecke geblieben sind, darunter Rachel Weisz, Michael Sheen, Amanda Peet, Barry Pepper und Jessica Chastain, von denen sich im fertigen Film keine Spur findet), doch erscheint es geradezu zwangsläufig. Kurylenkos Marina ist ständig in Bewegung, die Kamera umgarnt sie dabei förmlich. Malick lässt alle seine weiblichen Figuren mit Vorliebe Pirouetten drehen, doch von Kurylenko kann sich sein Blick gar nicht lösen. Das Ex-Model spielt mit diesem Wissen und wird von der Muse zur Mitschöpferin. Spätestens wenn sie ohne Worte einen Seitensprung absolviert, dann zeigt sich neben der tänzerischen Grazie auch ihre große darstellerische Klasse.

    Der für seine Naturaufnahmen berühmte Malick und sein Stammkameramann Emmanuel Lubezki („Children of Men") gewinnen auch profanen Motiven wie den neonleuchtenden Gängen eines Supermarkts fast unwirklich schöne Bilder ab, doch nichts kann mit der Szene mithalten, in der Ben Affleck und Rachel McAdams („Passion") inmitten einer Bisonherde zu sehen sind. Hier erreicht der Film durch den Kontrast von Weite und Nähe, durch die majestätische Präsenz der Tiere und durch McAdams‘ emotionale Offenheit eine fast melodramatische Intensität. Obwohl alle Einstellungen sorgfältig gewählt sind und der unnachahmlich fließende Rhythmus der Bilderfolgen ganz offensichtlich durch ausführlichen Feinschliff erreicht wurde, wirkt die Erzählweise noch viel stärker als die bisherigen Filme des Regisseurs instinktiv-impressionistisch. Dazu trägt auch die Musik bei, die Klänge von Berlioz, Wagner oder Gorecki verstärken auf bewährte Weise die Wirkung der Bilder. Und die Sprache wird von Malick ebenfalls wie Musik verwendet: So sind Marinas ausführliche Off-Kommentare in der Originalfassung in Französisch, während der Priester spanisch spricht und Jane englisch (dazu kommt noch ein lebhafter Kurzauftritt der Italienerin Romina Mondello), ohne dass das zwangsläufig eine inhaltliche oder symbolische Bedeutung hätte. Aber der Klang ist jeweils ein ganz eigener und das ist hier entscheidend: Malick folgt seiner eigenen Logik, die im Vergleich zum typischen Erzählfilm experimentell wirken mag – in erster Linie ist sie spirituell.

    Fazit: Keine zwei Jahre nach „The Tree Of Life" ist Ausnahmeregisseur Terrence Malick mit einem ebenso typischen wie neuartigen Werk zurück: „To The Wonder" ist ein sinnliches und tief empfundenes Liebesgedicht von einem Film.

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