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    Bauernopfer - Spiel der Könige
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Bauernopfer - Spiel der Könige
    Von Carsten Baumgardt

    Er war die schillerndste, außergewöhnlichste und wohl verrückteste Person, die es im weltweiten Schachsport jemals gab – und genau deshalb fasziniert der 2008 verstorbene Bobby Fischer auch heute noch die Menschen. Ob er tatsächlich der beste Schachspieler aller Zeiten war, darüber lässt sich streiten, aber der geniale Exzentriker, der sich schon zu seiner besten Zeit als Schachweltmeister 1972 mit Paranoia und Psychosen herumschlagen musste, ist eine derart markante und einnehmende Persönlichkeit, dass es Regisseur Edward Zwick und sein wie entfesselt aufspielender Hauptdarsteller Tobey Maguire leicht haben, ihr Biopic „Bauernopfer - Spiel der Könige“ trotz eines sehr konventionellen Handlungsaufbaus zu einem elektrisierenden Drama zu veredeln. Sie verbinden das Porträt von Fischers extremer Persönlichkeit mit der Schilderung seines Aufstiegs zum schachspielenden Rockstar in der Hysterie des Kalten Krieges und erzählen davon, wie das Genie des königlichen Spiels von den Amerikanern als ungewöhnliche Propagandawaffe gegen die im Schach bis dahin so dominanten Sowjets eingesetzt wurde.

    Brooklyn, 1951: Bereits als kleiner Junge erlernt der bei seiner alleinerziehenden Mutter Regina (Robin Weigert) unter schwierigen Verhältnissen aufwachsende Bobby Fischer (Aiden Lovekamp) das Schachspiel. Wie ein Besessener stürzt er sich in die Materie, steigt schnell zum Wunderkind auf und wird 1958 im Alter von nur 14 Jahren (nun: Seamus Davey-Fitzpatrick) jüngster US-Schachmeister und Großmeister aller Zeiten. International stößt der brillante Fischer (als Erwachsener: Tobey Maguire) in Turnieren an seine Grenzen, weil er ein Komplott der dominierenden sowjetischen Schachspieler um Boris Spasski (Liev Schreiber) vermutet, die ihn durch Remis-Absprachen an Gesamtsiegen hindern. Der Amerikaner boykottiert fortan den Weltschachverband. Erst sein neuer Manager Paul Marshall (Michael Stuhlbarg) kann ihn mit Hilfe des Priesters und Großmeisters Bill Lombardy (Peter Sarsgaard) zur Rückkehr auf die große Schachbühne bewegen. Auf einer mehrjährigen Turniertour qualifiziert sich der von schweren Paranoia-Attacken geplagte Exzentriker für die Weltmeisterschaft 1972 in Reykjavik gegen Titelverteidiger Spasski, gegen den er zuvor noch nie ein Spiel gewinnen konnte.

    Der Kalte Krieg zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion wurde mit allen Mitteln ausgefochten – nicht nur mit militärischen Drohgebärden. In den 1960er Jahren entwickelte sich bekanntermaßen ein hochsymbolischer Wettlauf zum Mond, bei dem beide Seiten ihre Überlegenheit nicht nur auf dem Gebiet der Hochtechnologie demonstrierten wollten. Beim 1972 zum „Match des Jahrhunderts“ hochgejazzten Duell um die Schachweltmeisterschaft im isländischen Reykjavik (bestens dokumentiert in Liz Garbus‘ „Bobby Fischer Against The World“) trieb die erbitterte Rivalität der beiden Supermächte dann besonders bizarre Blüten. Schach hatte in den USA bis dahin kaum jemanden ernsthaft interessiert, aber als sich dem einheimischen Brettgenie Bobby Fischer die einmalige Chance bot, den als unantastbar geltenden Boris Spasski herauszufordern und das sowjetische System zu schlagen - alle Weltmeister seit dem  Zweiten Weltkrieg waren aus der UdSSR gekommen -,witterte man eine goldene Propagandagelegenheit. Nur war der arrogante, anmaßende, taktlose und nervige, aber eben auch geniale Fischer alles andere als ein williges Instrument. Er brachte die Veranstalter mit spleenigen Sonderwünschen und horrenden Gagenforderungen zur Verzweiflung, mit seinem schwierigen Wesen taugte er kaum zum All American Hero. Weil die Regierung und die amerikanische Öffentlichkeit es so wollten, wurde er dennoch zur Heldenfigur.

    „Bauernopfer“ wirkt wie ein authentisches Zeitdokument und durch das tolle Retrodesign werden wir gleichsam in die 60er und 70er Jahre versetzt, aber vor allem ist es die Geschichte eines ungewöhnlichen Mannes in einer ungewöhnlichen Lage. Edward Zwick („Last Samurai“, „Ausnahmezustand“) nutzt das besondere Potenzial seines Protagonisten in vollen Zügen aus und greift durchaus auch auf Dramatisierungen und Zuspitzungen zurück, wo sich das erzählerisch lohnt. Er konzentriert sich auf die Zeit bis 1972, was für seine Zwecke die spannendste Phase von Fischers Leben ist, denn im Anschluss an die Weltmeisterschaft verstärkte sich die Paranoia des New Yorkers, er tauchte mit Ausnahme eines millionenschweren Rückmatches gegen Spasski 1992 weitgehend ab und fiel bis zu seinem Tod höchstens noch durch antiamerikanische und antisemitische Äußerungen auf. Schon in frühen Jahren setzte der Schachchampion zu Wutreden gegen Juden an (obwohl er selber einer war), was Zwick keineswegs unter den Tisch kehrt. Dennoch erscheint Fischer hier nicht als tumber Spinner, sondern als ambivalente Persönlichkeit mit manischer Aura. In Tobey Maguires („Spider-Man“, „The Wonder Boys“) Darstellung ist er eine getriebene und anstrengende, aber auch überaus faszinierende, manchmal sogar geradezu charmante Figur, ein genialer Sonderling, der immer weiter in Wahnsinn und Paranoia abdriftet und schließlich hinter jeder Ecke die „jüdische Weltverschwörung“ vermutet.

    Fischer dominiert das Geschehen und so ist „Bauernopfer“ in erster Linie Tobey Maguires Film, aber auch die Nebendarsteller zeigen sehr gute Leistungen. So gelingt es dem großartigen Liev Schreiber („X-Men Origins: Wolverine“, „Ray Donovan“), Fischers schattenhaftem Gegenspieler Boris Spasski Gewicht und Präsenz zu geben – auch seine fast ausschließlich russischen Dialoge meistert der Kalifornier glaubhaft. Michael Stuhlbarg („A Serious Man“) als umtriebig-patriotischer Manager und Peter Sarsgaard („Jarhead“) als Fischers geistlicher Sekundant arbeiten Maguire ebenfalls stimmig zu und damit steht der Film schauspielerisch auf einem mehr als soliden Fundament. Da fällt es dann auch kaum auf, dass in „Bauernopfer“ etwas einfallslos die in Biopics vorherrschende konventionelle Dramaturgie aus „Lebenshöhepunkten“ und schematisch hergestellten kausalen Zusammenhängen zur Anwendung kommt. Für die inszenatorische Umsetzung hat sich Zwick dagegen einiges einfallen lassen: Mit schnellen und unruhigen Montagesequenzen gibt er dem bewegten Innenleben des Großmeisters sinnlichen Ausdruck und obwohl Schach nicht gerade im Verdacht steht, eine visuell aufregende Sportart zu sein, wirken auch die Spielszenen dank der agilen Kameraarbeit von Bradford Young („Selma“, „A Most Violent Year“) hier sehr dynamisch. Die taktischen Feinheiten der Partien wiederum werden durch erklärende Kommentare (meist durch Peter Sarsgaards Figur) auch dem Laien in Grundzügen verständlich gemacht.

    Fazit: „Der Dritte Weltkrieg am Schachbrett“: Edward Zwick erzählt in seinem packenden Biopic über das Schachgenie Bobby Fischer von einer tragisch zerrissenen Persönlichkeit und von den Auswüchsen des Kalten Krieges.

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