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    LOve And MOtion
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    LOve And MOtion
    Von Martin Thoma

    LOMO heißt Leningradskoye Optiko Mechanichesckoye Obyedinenie (optisch-mechanische Werke Leningrad). LOMO ist eine Firma, die optische Geräte für alle möglichen, vor allem für militärische Anwendungen herstellt. Die Abkürzung dieses Firmennamens mit „LOve & Motion“ zu übersetzen, klingt wie ein Werbeslogan von Jung von Matt. Das soll es wohl auch. Der gleichnamige erste Langfilm des deutschen Regisseurs Christian Schmidt-David ist eine Dokumentation über die Lomografie.

    Die Lomografie haben die beiden Wiener Studenten Matthias Fiegl und Wolfgang Stranzinger erfunden, indem sie Anfang der 90er Jahre das Schnappschüsseschießen mit einer alten Kompaktkamera eben jenes sowjetischen Werkes, der LOMO Compact Automatic (LCA), zur internationalen Bewegung und sich selbst zu deren Weltpräsidenten erklärten. Mit beachtlicher Resonanz. Unter dem Slogan LOve & MOtion haben sie das veraltete Auslaufmodell mit der auch nicht neuen Idee, jeder Mensch könne eine Art Künstler sein beziehungsweise der Alltag selbst könne zu einer Kunstform werden, verbunden. Sie haben Ausstellungen organisiert und sich nebenbei die exklusiven Vertriebsrechte an der LCA gesichert. Der Witz am Lomografieren ist, dass man es immer tun sollte: zu jeder Tages- und Nachtzeit (gerne verwackelt, aber nie mit Blitz), ohne nachzudenken, ohne Komposition, ohne durch den Sucher zu schauen, am besten aus der Hüfte. Was die herausragenden Eigenschaften der LOMO-Kamera angeht, sind die Meinungen übrigens geteilt. Lomoweltpräsident Matthias Fiegl lobt ihre Handlichkeit, ihre bestechend gute Belichtungsautomatik sowie die ausgezeichneten Schärfewerte des Weitwinkelobjektivs, aber vielleicht sollte man ihm besser nicht glauben (s.o.). Lomografie ist irgendetwas zwischen Kunst, Kult und Kommerz. Zumindest will es das sein.

    Und was will dieser Film sein? Eine Liebeserklärung an ein nostalgisches Stück analoger Fototechnik? Ein skurriler Einblick in das Leben seltsamer Hobbykünstler? Eine Auseinandersetzung mit den Arbeiten verschiedener Lomografen, ihre Positionen zu anderen Formen der Fotografie? Das Manifest einer weltweit vernetzten, neuartigen Kunstbewegung? Oder eine Werbesendung für die kleine Gruppe derjenigen, die den LOMO-Kult aufgebracht haben, bestreiten, dass das Kunst sei, dagegen nicht bestreiten, damit Geld verdienen zu wollen? Was immer der Film sein wollte, er ist nichts davon richtig.

    Was die filmischen Mittel angeht, bleibt „LOve & MOtion“ auf der sicheren Seite. Ein bisschen trashig sind Bild und Ton der kommentarlos präsentierten Interviews. Das liegt teils an technischen Unzulänglichkeiten der Ausrüstung (Digibeta fürs Kino auf 35 Millimeter aufgeblasen), teils an einer dem Thema vielleicht angemessenen, nichtsdestotrotz störenden Schlampigkeit im Umgang damit (unscharfes Bild, hallender Ton). Dazwischen gibt es Fotostrecken (ungefähr 1000 Lomografien), die schnell und bunt, mit Musik unterlegt, handwerklich solide nach den Regeln der Videoclipkunst präsentiert werden. Bleibende Eindrücke hinterlässt das nicht.

    Schöne Stellen hat der Film durchaus. Altes, schwarz-weißes sowjetisches Archivmaterial zum Beispiel, auf dem zu sehen ist, wie eine LOMO-Kamera am Fließband zusammengesetzt wird. Hier wird spürbar, dass man es wirklich mit einem ehrwürdigen, fast möchte man sagen: antiken Gegenstand zu tun hat, mit einer (für damalige Verhältnisse) kleinen Kamera, zusammengeschraubt aus richtig großen, soliden Einzelteilen. Dennoch bleibt der Film beim Versuch nachvollziehbar zu machen, was denn nun eigentlich der ganz besondere Reiz gerade dieses Fotoapparates sein sollte, auf halbem Weg hängen. Schön auch, einige ausgewählte Personen vorgestellt zu bekommen, die angeregt durch die Lomografie zu mehr oder weniger eigenen Formen von kreativem Ausdruck gefunden haben, sei es jedes Stück Glas, das man finden kann, als Nahlinse vor die Kamera zu kleben, sei es, entwickelte Negative, bevor man Abzüge machen lässt, mit verschiedenfarbigen Filzstiften irreparabel zu vervollkommnen, sei es, den internationalen Austausch zu suchen und mit dem vollgeknipsten Film eines befreundeten Lomografen aus Tokio in Berlin ein zweites Mal Fotos zu schießen und die Ergebnisse der Kooperation dann in beiden Städten auszustellen. Auch das Konzept der Lomowand, auf der die Abzüge unzähliger Einsender von einer kleinen Gruppe der Ausstellungsorganisatoren zu einer großen bunten Farbfläche komponiert werden, hat seine Reize. Nur wäre es schön gewesen, etwas über die Traditionen, auf die sich diese Kunst (oder auch nicht Kunst) beruft (oder auch absetzt), zu erfahren. Oder falls es da im Bewusstsein der Akteure nichts gibt, über die Umstände, die sie unbewusst beeinflusst haben könnten.

    Ein Dokumentarfilm lebt natürlich von den Personen, die er porträtiert. Viel Spaß machen die Interviews mit den Vertretern der Firma LOMO. Ihr PR-Chef gibt den bodenständigen Russen, der die jungen langhaarigen Spinner aus dem Westen, die ein Auslaufmodell zum Hype und sinnloses Knipsen zur Kunst erklären, nicht ernstnimmt und muss sich dafür wohl nur wenig verstellen. Der Konstrukteur des Kultgeräts selbst gibt mit einem Grinsen zu Protokoll, er habe auf Wunsch des Politbüros eine großartige Kamera für das gesamte sowjetische Volk konstruiert, bauen lassen habe man ihn dann leider nur die LCA.

    Die meiste Zeit befasst sich der Film mit den Erfindern der Lomografie. Das ist bedauerlich, denn die haben gar nicht viel zu erzählen. Unfreiwillig komisch, auf die Dauer jedoch nicht unterhaltsam genug, ist nur ihre Worthülsenproduktion. Da wird die LOMO tatsächlich zum „tool“ für „Kommunikation“, deren wichtigstes Merkmal ja sei, dass sie keine „Substanz“ habe. Da wird geprahlt, man habe in der schwierigen Situation, als die Russen ihre LOMO-Restproduktion endlich einstellen wollten, „die Politik involviert“, da sendet Lomoweltpräsident Matthias Fiegl seine tatsächlich substanzlosen Botschaften, als habe er mal mit Gerhard Schröder („Es gibt keine linke oder rechte Politik“) denselben Lehrgang für Blödsinnsrhetorik besucht: „Es gibt keine guten oder schlechten – nurmehr weniger oder mehr wahre authentische Bilder.“ Zusammenfassend: Dieser Film enthält drei Mal so viel dieses fraglos „wahr“ und „authentisch“ großspurigen Geredes, wie zu Dokumentationszwecken noch angemessen gewesen wäre. Immerhin erhellend ist die Aussage, dass man beim Bekleben einer Lomowand wegen des Klebedunstes ganz weich im Kopf werde. Eins haben wir also zumindest gelernt: Wenn wir demnächst einen Satz hören, der ähnlich wirr klingt wie dieses schöne Zitat des Lomoweltpräsidenten, dann hat derjenige, der ihn äußert, vielleicht einfach zu viel Zeit vor offenen Pattexdosen verbracht: „Die Kunst des Junks, die Lust an der Veröffentlichung, die Freude am Konsum und am vermeintlichen Unmaß – kein Motiv ist nicht wert, LOMOgrafiert zu werden – die Zerstörung althergebrachter Muster sind das Salz der LOMOgrafie, der Supermarkt ist die Butter und die LOMO das Brot. Wahnsinn, ein Albtraum.“

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