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    Das System - Alles verstehen heißt alles verzeihen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Das System - Alles verstehen heißt alles verzeihen
    Von Jana Valeska Chantelau

    Seit das deutsche Kino die Zeit nach der Wende für sich entdeckt hat, überraschen die hiesigen Filmemacher immer wieder mit ungewöhnlichen Geschichten aus diesem Themenfeld. Beispielsweise mit „Die Unberührbare" oder „Das Leben der Anderen" wurden Meilensteine in der Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit gesetzt, die dem deutschen Kino nebenbei auch zu neuer internationaler Prominenz verhalfen. Der Jung-Regisseur Marc Bauder thematisiert in „Das System – Alles verstehen heißt alles verzeihen" nun ebenfalls den Kollaps von gesellschaftlichen Systemen und die damit verbundenen Folgen für den Einzelnen. Mit seinem Film über die Reifeprüfung eines Wendekinds in einer Zeit voller Widersprüche versucht er, Antworten auf die großen Fragen des Erwachsenwerdens zu finden. Was die Produzenten als Politthriller bewerben, ist allerdings vielmehr ein thematisch oberflächliches und sehr langatmiges Sozialdrama geworden.

    Als der 20-jährige Mike (Jacob Matschenz) auf den zwielichtigen Strippenzieher Konrad Böhm (Bernhard Schütz) trifft, sieht der Kleinkriminelle die Chance gekommen, der Ödnis seiner Plattenbausiedlung zu entfliehen. Mit seinem Hacker-Kumpel Dustin (Florian Renner) kleine Läden ausspionieren, um sie zu plündern? Das genügt Mike nicht mehr. Vaterlos groß geworden, will er jetzt nach den Devisen der großen Fische handeln und folgt Böhm in die undurchsichtige Welt der Bauwirtschaft. Kleider machen Leute, also trägt Mike bunte Hemden unterm dunklen Anzug, wie sein Ersatzvater. Von ihm lernt der junge Mann auch neue schmutzige Tricks, etwa, wie man sich durch Erpressung geschäftliche Vorteile verschafft. Wie man pikante Informationen nutzt, um andere bloßzustellen. Und wie man sein Umfeld blendet, durch markige Worte und leere Versprechen. Das Endspiel: Die Teilhabe an einer Erdgas-Pipeline klarmachen, den großen Reibach machen und abhauen...

    Ausgerechnet Böhm entpuppt sich jedoch schnell als bloße Randfigur im Netz der Intrigen. Der Baulöwe verliert die geschäftliche Perspektive, Mike seine jugendliche Unschuld. Immerhin: Mike kapiert, dass der Tod seines Vaters etwas mit seinem gescheiterten Lehrmeister zu tun hat. Und wie die Zeit nach der Wende sein Leben bestimmte. Was bleibt, ist die persönliche Kapitulation vor der Übermacht des Systems – und die ewige Frage nach Schuld und Sühne, von der politischen bis zur persönlichen Ebene. Die überzeugenden Leistungen der Darsteller, insbesondere ein starker Kurz-Auftritt von Heinz Hoenig, helfen leider kaum darüber hinweg, dass die vielen Ränkespielchen des Films arg langatmig ausfallen. Trotz lebensnaher, regional gefärbter Dialoge fehlt es den Figuren an Tiefgang, für biografische Brüche werden keine schlüssigen Erklärungen angeboten.

    Ähnlich schematisch wirkt auch die Kameraführung. Die innere Leere der Figuren wird durch die äußere Leere von Containerhäfen und ostdeutschen Landschaften gespiegelt. Sie verlieren sich im Raum, ohne Bezugspunkte zueinander zu finden oder gar halten zu können. Bleibende visuelle Eindrücke? Kaum. Die Wechsel zwischen Tag- und Nachtszenen werden zumindest schnell vorhersehbar. Überraschende Regie-Einfälle oder zumindest ein ausdrucksstarkes Skript? Fehlanzeige. Ost-West-Klischees und küchenpsychologische Gleichnisse werden hier vielmehr bestätigt als hinterfragt, während die Verortung der Handlung in der mecklenburgischen Landschaft thematisch irrelevant bleibt.

    Ironischerweise ist dieser Film über verwirkte Chancen auch eine verwirkte Chance für das deutsche Kino. Das Autoren-Team Dörte Franke und Khyana El Bitar liefert mit seinem Bezug auf hässliche politgeschichtliche Verstrickungen nämlich durchaus Zündstoff – von den Mechanismen der DDR-Auslandsspionage über die Planspiele des russischen Mega-Unternehmens Gazprom bis hin zu den Polit-Sprechblasen diverser Bundesregierungen. Leider entwickeln die Autorinnen keine involvierenden Handlungsstränge zur Ausführung dieser Themen. Bauders Film ist trotz seines großspurigen Titels schlichtweg nicht dringlich genug inszeniert und erzählt, um im Sinne eines Florian Henckel von Donnersmarck zur differenzierten Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte zu motivieren.

    Fazit: Marc Bauders zähes Sozialdrama „Das System – alles verstehen heißt alles verzeihen" wurde vom ZDF co-produziert – warum also nicht gleich bis zur absehbaren TV-Premiere warten? Ein Kinoticket ist der Film nämlich nur bedingt wert.

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