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    Anna Karenina
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Anna Karenina
    Von Andreas Staben

    „Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler", so heißt es im zweiten Akt von Shakespeares „Wie es euch gefällt". Dieses berühmte Zitat des Barden hat sich Regisseur Joe Wright für seine Verfilmung von Lev Tolstois realistischem Roman „Anna Karenina" zu eigen gemacht. Er siedelt die Handlung des Ehebruch-Dramas zu großen Teilen in einem Theaterdekor an und porträtiert die russische High Society des 19. Jahrhunderts so als einen Kosmos in der Krise, in dem alles dem äußeren Schein untergeordnet ist. Dabei geht Wright vor allem in der ersten Hälfte seiner nach „Stolz und Vorurteil" sowie „Abbitte" bereits dritten Romanadaption mit einer solchen inszenatorischen Verve zur Sache, dass der Vorwurf naheliegt, er selbst würde der formalen Virtuosität den Vorrang gegenüber inhaltlicher Tiefe und emotionaler Resonanz geben. Aber am Ende bleiben aus diesem so auffällig in Szene gesetzten Film gerade die kleinen Gesten von Zärtlichkeit oder Verzweiflung in Erinnerung – dank der mit wenigen Ausnahmen perfekten Besetzung, die von Wrights Muse Keira Knightley in der Titelrolle angeführt wird, wird das visuell beeindruckende Spektakel auch noch zu einem leise berührenden Drama.

    Russland in den 1870er Jahren: Anna (Keira Knightley) ist mit dem Regierungsbeamten Alexei Karenin (Jude Law) verheiratet und hat mit ihm einen Sohn, Serhoza (Oskar McNamara), den sie über alles liebt. Doch nun wird sie das erste Mal von dem Jungen getrennt sein, denn ihr Bruder Oblonsky (Matthew Macfadyen) bittet sie, von St. Petersburg nach Moskau zu kommen: Er hat seine Frau Dolly (Kelly Macdonald) mit einem Dienstmädchen betrogen und Anna soll helfen, die Wogen zu glätten. Auch Oblonskys Freund Levin (Domhnall Gleeson) ist in der Stadt und möchte Dollys junge Schwester Kitty (Alicia Vikander) für sich gewinnen. Als der idealistische Gutsbesitzer sich ein Herz fasst und der Verehrten einen Heiratsantrag macht, lehnt diese ab, denn sie hat sich in den schneidigen Offizier Vronsky (Aaron Taylor-Johnson) verliebt. Dessen Absichten wiederum sind nicht besonders ernsthaft und er vergisst die arme Kitty, als er Anna kennenlernt. Zwischen dem Soldaten und der Beamtengattin fliegen die Funken, was in ihrem Umfeld nicht unbemerkt bleibt. Bald kommen auch Alexei Gerüchte über eine Liebschaft zwischen Anna und Vronsky zu Ohren. Er warnt seine Frau vor dem Ehebruch...

    Joe Wright beginnt seinen Film ähnlich wie Baz Luhrmann seine Musical-Extravaganz „Moulin Rouge" eröffnet hat - in einem Theaterraum, den Blick auf die Bühne bei geschlossenem Vorhang. Doch während bei Luhrmann das Theater zum Schauplatz wurde, macht Wright seine Schauplätze zum Theater: Er führt uns in die Privatgemächer der Karenins, in einen Ballsaal, auf eine Eisbahn und zum Pferderennen – und damit von einem spektakulären Bühnenbild zum nächsten. Es wird uns gezeigt wie Wände verschoben und Kostüme gewechselt werden, die Darsteller gehen durch eine Tür und kommen an einem ganz anderen Ort wieder hinaus und aus dem stickigen Hinterzimmer geht es direkt in die Weite der russischen Wiesen und Felder oder auch unters Dach des Theaters selbst. Die Künstlichkeit des Konzepts ist allzeit präsent und wird sogar noch offensiv unterstrichen. Kameramann Seamus McGarvey („The Avengers") zeigt uns Kabinettstückchen, die seiner berühmten fünfminütigen Plansequenz am Strand von Dünkirchen in „Abbitte" kaum nachstehen. Der Film fließt auf fast schon musikalische Weise vorwärts und wenn Anna und Vronsky sich beim Tanz näherkommen, dann verfällt die Kamera gar in einen rauschhaften erotischen Taumel – ohne aus dem Takt zu geraten: „Anna Karenina" ist ein Film über gesellschaftlichen Anpassungsdruck und zugleich ein Fest filmischer Sinnlichkeit und der Möglichkeiten des Kinos.

    Gelegentlich gerät „Anna Karenina" an den Rand eines schwelgerischen Narzissmus, dann ergötzt sich Wright an fast schon zu perfekt eingerichteten Einstellungen und Komponist Dario Marianelli („Jane Eyre") schwingt sich zu vollblütigen Orchesterklängen herauf und kombiniert das Pathos nach Art von Tschaikowsky mit parodistischen Untertönen à la Schostakowitsch. Die wirklich spektakulären Schauwerte (für das Produktions- und das Kostümdesign sind Oscar-Nominierungen eine abgemachte Sache) schieben sich aber trotz solcher gelegentlicher Exzesse nie vor die Geschichte. Wenn Keira Knightley, die hier in historischer Garderobe wieder einmal selbst eine Augenweide ist, nach dem erwähnten Tanz erregt und verwirrt den Raum verlässt, zeigen sich in ihrem Gesicht Annas unsagbare Träume und ungeahnte Wünsche genauso wie der verzweifelte Versuch, die Kontrolle über sich und das Geschehen zu behalten. Vor dem „Fluch der Karibik"-Star haben schon so unterschiedliche Darstellerinnen wie Greta Garbo, Vivien Leigh und Sophie Marceau Anna Karenina verkörpert und Knightley muss sich keineswegs vor der Konkurrenz verstecken, auch wenn sie keine Gelegenheit zum ganz großen Gefühlsausbruch bekommt – umso besser gelingen ihr die Nuancen des beginnenden Wahnsinns, der Gereiztheit und der Anspannung.

    Neben Knightley glänzt auch Jude Law („Sherlock Holmes", „A.I.") als Ehemann, der sich an die gesellschaftlichen Regeln klammert und seine eigene Verletzlichkeit lange unterdrückt. Sein Karenin ist keine Beamtenkarikatur, sondern eine erstaunlich sympathisch gezeichnete verlorene Seele. Demgegenüber bleibt der Liebhaber Vronsky blass. Aaron Taylor-Johnson („Kick-Ass", „Savages") wirkt mit seinen kühnen Locken immer leicht spöttisch-distanziert, die große Leidenschaft nimmt man ihm kaum ab und es liegt auch an ihm, dass die zentrale Liebesgeschichte nicht ganz so stark ist wie erwartet. Matthew Macfadyen („Die drei Musketiere") als flamboyanter Schwerenöter und Kelly Macdonald („Trainspotting") als seine leidgeprüfte Frau zeigen dagegen beeindruckende Leistungen, aber das heimliche Herzstück des Films liegt noch woanders.

    Drehbuchautor Tom Stoppard („Das Reich der Sonne", „Shakespeare in Love") rückt die Geschichte von Levin und Kitty, die in anderen Verfilmungen meist auf der Strecke blieb, stärker in den Mittelpunkt, und gibt dem Film damit ein willkommenes, sanft optimistisches Gegengewicht zur unausweichlichen Tragik von Annas Schicksal. Regisseur Joe Wright unterstreicht dies, indem er für die Szenen auf Levins Ländereien die Bühnenkulisse verlässt und an russische Originalschauplätze wechselt. Diese Aufnahmen vom weiten Land sind wie ein frischer Luftzug von Freiheit ganz wie die zärtliche Romanze zwischen Levin und Kitty, der Domhnall Gleeson („Dredd") und Alicia Vikander („Die Königin und der Leibarzt") einen unschuldigen Zauber verleihen. Es ist die berührendste Szene des ganzen Films, wenn die beiden sich bei einem schüchtern-neckischen Spiel mit Buchstabenwürfeln gegenseitig ihre Liebe bekunden – fast ohne ein Wort zu sprechen. Später setzt sich Kitty dann noch resolut über die starre Etikette hinweg und folgt ganz einfach ihrem Herzen. Das ist ein Moment zeitloser Menschlichkeit, der dem sozialen Utopisten Tolstoi sicher gefallen hätte.

    Fazit: Joe Wrights prächtige Version von „Anna Karenina" ist wie keine andere: Er macht aus dem zaristischen Russland eine Theaterkulisse und nutzt diese zu einer beeindruckenden Demonstration filmischer Virtuosität mit Herz und Seele.

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