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    Abrir puertas y ventanas - Offene Türen, offene Fenster
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Abrir puertas y ventanas - Offene Türen, offene Fenster
    Von Thomas Vorwerk

    Beim Filmfestival in Locarno wurde „Abrir puertas y ventanas - Offene Türen, offene Fenster“ 2011 mit gleich fünf Preisen ausgezeichnet, darunter dem Goldenen Leoparden für den besten Film und eine Auszeichnung für María Canale als beste Schauspielerin. Gerade auf Festivals scheint das bis zum Stillstand entschleunigte Drama das Publikum zu verzaubern, doch die spröde, fragmentarische Erzählweise, die die aus Argentinien stammende Debütantin Milagros Mumenthaler in dieser autobiographisch angehauchten Coming-of-Age-Story anwendet, hat auch etwas von den Leihvideos, die die älteste der drei Hauptfiguren bevorzugt, und bei denen ihre zwei Schwestern immer einnicken: Not for everyone.

    Ein verschlafener Vorort von Buenos Aires. Im großen, altertümlich eingerichteten Haus ihrer vor einigen Monaten verstorbenen Großmutter wohnen drei Schwestern. Die Älteste, Marina (María Canale), kümmert sich um die häuslichen Pflichten, lebt aber größtenteils in der Vergangenheit und verabscheut sämtliche Veränderung. Die jüngste, Violeta (Ailín Salas), lümmelt meist spärlich bekleidet auf dem Sofa herum und verlässt kaum das Haus, hat aber einen geheimen Liebhaber, mit dem sie irgendwann ins Ausland flieht. Und Sofia (Martina Juncadella), die Mittlere, geht oft freizügig bis provokant gekleidet aus dem Haus, angeblich zur Uni, und kommt dann manchmal mit Geldscheinen wieder, die sie im Schrank versteckt. Oder mit „Geschenken“. In einer Atmosphäre voller verschleppter Geheimnisse kommt es schließlich zwischen den zwei älteren Schwestern zum Konflikt.

    „Offene Türen, offene Fenster“ werden im Filmtitel angekündigt, doch wer auf diese achtet, wird schnell merken, dass sie meist genauso verschlossen sind wie die drei Schwestern. Sofia verbirgt ihr Geheimnis in ihrem Zimmer. Marina versucht schließlich sogar, die Tür aufzubrechen. Im ehemaligen Zimmer der toten Großmutter steht zudem ein Bett mit lauter Vibrationsanlage, das wie eine symbolische Entsprechung des seltsamen Niemandslandes wirkt, in dem sich die drei befinden: Die Schwestern sind einerseits unschuldig, unbekümmert und neugierig, andererseits aber geheimnisvoll wie diese andere Welt der Betten, die laute rhythmische Geräusche von sich geben.

    Wenn die Kamera mal wieder die leeren Flure des einst herrschaftlichen, jetzt etwas heruntergekommenen Hauses erkundet, hört man mitunter nur dieses rüttelnde Bett, alte Schallplatten oder das durchweg unbeantwortete Klingeln des Telefons. Die tote Großmutter wirkt immer noch allgegenwärtig und bekommt sogar einen kurzen Geisterauftritt. Während sich die Schwestern um Telenovelas und Einkaufslisten kümmern, um Sofaplätze und Garagenschlüssel kabbeln oder sich angesichts der allgemeinen Lethargie gegenseitig beschuldigen, wird ein Großteil der Geschichte über Ellipsen und Inneneinrichtungen erzählt. Das komplette Fehlen der Eltern könnte etwa mit der früheren Militärdiktatur des Landes zusammenhängen, doch die Regisseurin gibt bereitwillig zu, dass das rein zeitlich gar nicht genau passen würde.

    Die alten Möbel der Großmutter wie die Kinderzimmer der Schwestern - alles deutet auf die Vergangenheit: Der entscheidende Schritt zum eigenen neuen Leben fällt schwer, selbst der gutaussehende Nachbar Francisco (Julián Tello) wirkt zunächst wie ein allenfalls geduldeter Fremdkörper, doch beim Schlussbild des Films sitzt er fast schon auf dem Sofa wie zuvor die dritte Schwester, während man über eine mp3-Aufnahme, die Violeta geschickt hat, erneut der (aktualisierten) Vergangenheit lauscht, nur dass man jetzt die Einrichtung personalisiert hat. Und wenn man nicht sofort auf die Bedeutung des Liedtextes kommt, hört man sich, so Marina, das Stück am Abend eben noch mal an. Auch wenn die Regisseurin nicht nur in solchen Momenten mit ihren Ellipsen, ihrem Stillstand auch immer wieder Langeweile verbreitet, zeigt sich in den präzisen Einstellungen ihr stilistisch ungemein sicheres Händchen.

    Fazit: Für anderthalb Stunden ist man in „Abrir puertas y ventanas - Offene Türen, offene Fenster“ mit den Schwestern in einem alten Haus gefangen und kann über die vielen Leerstellen im Drehbuch nachdenken. Diese Zusammenfassung mag verlockend oder öde klingen, und das Entlangbalancieren auf dem schmalen Grat dazwischen entspricht dem Kernwesen des Films, bei dem der entscheidende Funke längst nicht auf jeden Zuschauer überspringt.

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