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    The East
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The East
    Von Andreas Staben

    Seit ihren Auftritten in dem experimentellen Science-Fiction-Film „Another Earth“ und dem Sekten-Drama „Sound Of My Voice“, die von ihr auch coproduziert und mitgeschrieben wurden, gilt Brit Marling als das It-Girl des intelligenten Independentkinos. Die 29-jährige Georgetown-Absolventin präsentiert sich bei Twitter als „Baumkletterin, Schauspielerin, Autorin, Produzentin“ und zeigt ihre Vierfachbegabung nun auch in ihrem neuen Film „The East“. Wie schon „Sound Of My Voice“ wurde der Öko-Terrorismus-Thriller von Marlings Ex-Komillitonen Zal Batmanglij inszeniert und erneut fassen die beiden einige heiße und hochaktuelle thematische Eisen an. Ihre dramaturgisch etwas holprige Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus im Zeitalter skrupelloser Großkonzerne und Korporationen bleibt allerdings eher vage, die Stärken des Films liegen weniger auf der politischen als auf der persönlichen Ebene: „The East“ ist eine gut gespielte Erzählung über Vertrauen und Loyalität, Misstrauen und Paranoia – ein atmosphärischer und spannender Genre-Film mit dem gewissen Etwas.

    Die ehemalige FBI-Agentin Jane (Brit Marling) wird von Sharon (Patricia Clarkson) für eine private Sicherheitsfirma angeheuert. Ihr erster Auftrag ist es, eine Gruppe von Öko-Terroristen namens The East zu unterwandern, die gerade mit einer Aktion gegen einen Öl-Multi für Aufsehen gesorgt hat. Jane soll weitere Anschläge auf den guten Namen und die Aktienkurse von Sharons Kunden verhindern. Sie sagt ihrem Freund Tim (Jason Ritter), sie hätte längere Zeit in Dubai zu tun, färbt sich die Haare und nimmt eine neue Identität an. Als Sarah streunt sie ohne Geld durch die Gegend und ernährt sich von Resten aus Mülleimern, um die Freeganer von The East ausfindig zu machen. Nach einem ersten Fehlschlag trifft sie auf Luca (Shiloh Fernandez) und fügt sich eine Verletzung zu, damit er sie mit zum geheimen Quartier der Gruppe in einem Wald nahe Washington nimmt. Dort wird ihre Wunde von Doc (Toby Kebbell) versorgt, während die fanatische Izzy (Ellen Page) sie misstrauisch beäugt. Der Anführer der Öko-Guerilla Benji (Alexander Skarsgard) entscheidet, dass Sarah vorerst bleiben darf und schließlich soll sie bei der nächsten Aktion der Gruppe sogar eine wichtige Rolle übernehmen: Auf einer Garten-Party soll der Führungsriege eines Pharma-Riesen wortwörtlich ein womöglich tödlicher Cocktail ihrer eigenen Medizin verabreicht werden. Sarah, die inzwischen mit den Idealen von The East sympathisiert, ist hin- und hergerissen und riskiert ihre Enttarnung…

    In „Sound Of My Voice“ haben Brit Marling und Regisseur Batmanglij das Innenleben eines Millenium-Kults, der von einem Journalistenpaar infiltriert wird, untersucht und in vielerlei Hinsicht knüpfen sie mit „The East“ genau daran an. Auch hier geht es um die Dynamik einer sich selbst abschottenden Gruppe, um Fanatismus und ehrliche Überzeugungen, um Macht und ihren Missbrauch, um Ängste und gefährliche Konsequenzen. Marling, die in dem früheren Film die Guru-Figur gespielt hat, wechselt diesmal die Seiten und verkörpert den undercover agierenden Außenseiter, der sich das Vertrauen der anderen verdienen muss. Die Gruppendynamik wird in einigen stark symbolischen Sequenzen verdichtet dargestellt: Beim Essen in Zwangsjacken (nur der Mund bleibt offen, um den Holzlöffel zur Suppe zur führen) bekommt Sarah eine erniedrigende Lektion, das gegenseitige Waschen wird zum ultimativen Vertrauensbeweis und beim Flaschendrehen in großer Runde werden scheue Umarmungen und Küsse getauscht, während es unterschwellig rumort. Diese Szenen wirken oft etwas gewollt und fast peinlich, aber die Direktheit, mit der hier soziale Regeln offengelegt werden, ist entwaffnend.

    Die Psychologie der Gruppe und ihrer Mitglieder ist klarer ausgearbeitet als die politische Dimension ihres Handelns, vor allem das ganz persönliche moralische Dilemma des ehemaligen Medizinstudenten Doc bekommt in Toby Kebbells („Zorn der Titanen“, „Control“) nuancierter Darstellung fast tragische Dimensionen. Und Ellen Page („Juno“, „Inception“) zeigt als Izzy, dass sich hinter einem sanften Äußeren eine wilde, fast fanatische Entschlossenheit verbergen kann. Wenn sie nach der Hälfte des Films ihrem Vater (Jamey Sheridan) begegnet, wird das nicht zuletzt durch die Schauspieler zur emotional intensivsten Passage des Films. Dadurch dass sie aus der Konfrontation zwischen einem Umwelt-Bösewicht und einer Aktivistin die Abrechnung zwischen Vater und Tochter machen, führen Marling und Batmanglij ihr komplexes übergreifendes Thema aber auch auf eine vergleichsweise banale persönliche Ebene zurück: Zornige reiche Kids kämpfen gegen böse Korporationen. Immerhin ist „The East“ von der Überzeugung durchdrungen, dass sich etwas ändern muss und am Ende wird der Film sogar so etwas wie eine Fantasie über einen erfolgreichen Weg zu einer besseren Welt.

    Anstelle einer differenzierten Analyse kapitalistischer Missstände (was von einem Kino-Thriller auch schwer zu leisten ist), ist „The East“ ein faszinierendes Gedankenspiel voller wichtiger Fragen. Dabei ist Brit Marlings („Arbitrage“) zwischen den auch visuell klar unterschiedenen Fronten stehende Jane/Sarah so etwas wie die Stellvertreterin des Zuschauers: Das beginnt bei den Phantasien vom Ausbruch aus dem bürgerlichen Leben und aus der Konsumgesellschaft bis zur ewigen Suche nach dem Guten, Wahren und Gerechten. Dabei werden die ökologischen, ökonomischen und sozialen Impulse von The East als sehr sympathisch dargestellt, aber ihre Aktionen erscheinen zugleich als brutale und zutiefst fragwürdige Selbstjustiz, als die logische Konsequenz selbstgerechter Wut. Sarah hinterfragt sich selbst (ihr dezent eingeführtes moralisches Leitbild ist der christliche Glaube) und das tut im Idealfall auch der Zuschauer, gleichzeitig sorgen die Filmemacher dafür, dass „The East“ nicht zur wohlfeilen Ethik-Etüde verkommt. Regisseur Batmanglij paart Arthouse-Sensibilität mit Genre-Könnertum und steht einem Steven Soderbergh („Side Effects“) dabei kaum nach, während Marling sich immer mehr als unverwechselbare Persönlichkeit etabliert und ganz eigene Akzente setzt.

    „The East“ ist im Detail betrachtet manchmal sehr unlogisch, widersprüchlich und überdeutlich (die Handlung hätte für eine ganze Serienstaffel gereicht), was durch die vorwärtstreibende Erzählweise meist verhüllt wird. Seine Qualitäten entfalten sich in der ungewöhnlichen  Mischung origineller und klischeehafter Elemente. Die Romanze zwischen Sarah und Benji (Alexander Skarsgard ist hier ganz klar unwiderstehlich - wer ihn mit Bart nicht so mag, bekommt ihn später sogar noch rasiert) kommt etwa kaum überraschend und auch ihre Folgen sind absehbar, aber davon abgesehen ist Brit Marlings Protagonistin eine überaus facettenreiche Figur. Selbst wenn sie einen Apfelrest aus dem nächstgelegenen Abfalleimer fischt und herzhaft zubeißt, um zu demonstrieren, dass sie sich die  Mülltonnen-Moral (wir essen nur Weggeworfenes und geben kein Geld aus) der Gang zu eigen macht, wirkt sie noch durchaus glamourös. Das wiederum liegt wohl daran, dass sie sich vorher als weibliche Kreuzung aus Jason Bourne und James Bond profiliert hat: Sie  klettert behende über Stacheldrahtzäune, schließt Handschellen mit einer Büroklammer auf, beherrscht Gebärdensprache fließend und hat ein Handy in der Schuhsohle versteckt. Ganz zu schweigen davon, dass sie sich ohne mit der Wimper zu zucken, den Arm mit einer Cola-Dose aufschlitzt, wenn das nötig ist: eine smarte Superagentin mit Star-Appeal.

    Fazit: „The East“ ist eine unausgewogene, aber überaus spannende Mischung aus nachdenklichem Drama und energiegeladenem Thriller mit einer ungewöhnlichen Hauptfigur: Die thematische Oberflächlichkeit wird durch viel Herzblut und Risikobereitschaft aufgewogen.

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