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    Nachtzug nach Lissabon
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Nachtzug nach Lissabon
    Von Andreas Staben

    Bereits in den Achtzigern hat sich für internationale Co-Produktionen in der Art von „Nachtzug nach Lissabon" die Bezeichnung „Europudding" eingebürgert. Gemeint sind damit Filme, bei denen die Wahl der Drehorte und der Teammitglieder in erster Linie dadurch bestimmt ist, aus welchen Ländern die Finanzierung stammt. Je mehr unterschiedliche Produzenten es gibt, desto bunter zusammengewürfelt wird dann die Besetzung vor und hinter der Kamera, wodurch den Werken dann fast zwangsläufig das spezifische Aroma von Orten, Sprachen und Kulturen verloren geht. Mit seiner deutschsprachigen Vorlage, den Schauplätzen in der Schweiz und in Portugal, einem dänischen Regisseur und Schauspielern aus einem halben Dutzend Ländern, die sich überwiegend an englischen Dialogen mit portugiesischem Akzent versuchen, scheint auch Bille Augusts Verfilmung von Pascal Merciers Bestsellerroman auf den ersten Blick das abfällige Prädikat zu verdienen. Aber trotz einiger kurioser Besetzungsentscheidungen und Darbietungen trifft August den Tonfall und das Flair der Vorlage recht gut – auch wenn die Motivfülle und die philosophisch-literarische Ambition des Romans nur eingeschränkt auf der Leinwand wiederzuerkennen sind.

    Der Berner Gymnasiallehrer Raimund Gregorius (Jeremy Irons) bemerkt auf seinem Weg in die Schule eine junge Frau (Sarah Spale-Bühlmann) auf dem Geländer der Kirchenfeldbrücke. Bevor sie springen kann, reißt er sie zurück. Er nimmt die Unbekannte mit in den Unterricht, aber sie verlässt mitten in der Lateinstunde das Klassenzimmer und verschwindet. Zurück bleibt nur ihr Mantel. In dessen Tasche findet Raimund ein kleines Büchlein des portugiesischen Autors Amadeu de Prado (Jack Huston) und zwischen den Seiten entdeckt er ein Ticket für den Nachtzug nach Lissabon. In der Hoffnung, die Besitzerin des Buches dort zu treffen eilt er zum Bahnhof – ohne Erfolg. Einer spontanen Eingebung folgend nutzt Raimund die Fahrkarte jedoch selbst. Überaus fasziniert und bewegt von der philosophischen Lektüre begibt er sich in der portugiesischen Hauptstadt auf die Suche nach Amadeu. Er findet dessen Schwester Adriana (Charlotte Rampling) und erfährt wenig später, dass der mysteriöse Autor eigentlich Arzt war, nur das eine Buch geschrieben hat und bereits 1974 verstorben ist. Raimund trifft Amadeus alte Weggefährten, über ihre Erzählungen taucht er immer tiefer in Amadeus Leben und in die revolutionäre Phase Anfang der 70er ein, in der Amadeu und sein Freund Jorge (August Diehl) sich im Widerstand engagieren und sich beide in Estefania (Mélanie Laurent) verlieben...

    Bille August, der für Dänemark 1989 mit „Pelle, der Eroberer" den Oscar für den Besten nicht-englischsprachigen Film gewann, ist ein Spezialist für Romanverfilmungen. Er hat sich mit achtbarem Ergebnis an Victor Hugos monumentalem „Les Misérables" versucht, seine Leinwand-Bearbeitungen der Bestseller „Das Geisterhaus" und „Fräulein Smillas Gespür für Schnee" waren in Deutschland große Publikumserfolge. Diese Erfahrung zeigt sich auch bei „Nachtzug nach Lissabon". Die Wechsel zwischen den beiden Zeitebenen der Gegenwart und dem revolutionären Portugal Anfang der 70er Jahre sind sinnvoll positioniert und elegant ausgeführt. Der Kontrast zwischen dem verregneten Bern und dem verführerisch leuchtenden Lissabon macht das Aufblühen Raimunds auf seiner Selbstfindungsreise sinnlich spürbar, während die Rückblenden mit Hilfe von Ausstattung, Kostümen und Frisuren unaufdringlich, aber deutlich nicht nur in eine Jahrzehnte zurückliegende historische Vergangenheit führen, sondern auch in die mit Affekten aufgeladene Welt von Amadeus autobiografischem Buch.

    In schlaglichtartigen Szenen werden dramatische Stationen aus dem Werdegang des jungen Amadeu hervorgehoben, der eigentlich Schriftsteller werden wollte und sich dann aus philosophischen Gründen für den Arztberuf entschied – so gut wie jede Rückblende ist dabei emotional extrem aufgeladen (hochspannend ist etwa ein Luftröhrenschnitt beim Mittagessen). Die Zuspitzung lässt zwar Raimunds fast schon obsessives Interesse an der von ihm zufällig entdeckten Geschichte plausibel erscheinen, denn jeder Moment hat seine unübersehbare Bedeutsamkeit für den Lateinlehrer auf Abwegen. Aber die historische Situation der Estado Novo-Diktatur in Portugal ist dabei so gut wie gar nicht greifbar: So erscheint die Revolutionssituation als austauschbare Projektionsfläche des sinnsuchenden Protagonisten, in der eine brutale Szene mit dem Folterknecht Mendez (Adriano Luz) trotz ihrer effektiven Inszenierung einen kleinen Beigeschmack bekommt. Wofür und wogegen hier gekämpft wird, bleibt schließlich so unspezifisch, dass es schon fast bedeutungslos scheint. Wenn etwa Amadeu seine aufmüpfige Schulabschlussrede hält, dann ist das nicht etwa deshalb eine durchaus spannende Szene, weil er damit seinen Vater (Burghart Klaußner), einen systemtreuen Richter, brüskiert, sondern weil er die großen Worte vor allem an seinen Kumpel Jorge richtet. Aber letztlich ist auch diese Kameradschaft und das Liebesdreieck, in das sie mündet, eher grob skizziert.

    Für die Schauspieler in den Rückblenden bleibt bei der stets auf die Gegenwartsebene bezogenen Erzählweise kaum die Möglichkeit zur Profilierung. Jack Huston („Boardwalk Empire") als Amadeu bleibt ein blasser Held und Mélanie Laurent („Inglourious Basterds") kaum mehr als ein hübscher Liebeszankapfel, während von August Diehl („23") als Jorge zumindest eine gewisse Unberechenbarkeit ausgeht. Die wiederum wird von Bruno Ganz („Der Untergang"), der die gleiche Rolle in der Gegenwartsebene übernimmt, bis an die Grenze zur Karikatur geführt. Auch Charlotte Rampling („Swimming Pool") wählt nicht gerade subtile Töne, während der kurze Auftritt von Christopher Lee („Der Herr der Ringe") in verdächtig-vertrauter Mönchskutte eher kurios anmutet. Die Akteure scheinen nicht immer alle im gleichen Film mitzuspielen, von daher geht das Konzept der internationalen Starbesetzung nicht wirklich auf.

    Die schauspielerischen Leistungen im Film als Ganzes fallen sehr uneinheitlich aus, aber die echten Höhepunkte sind immerhin bei einigen der wichtigsten Rollen zu finden. Marco D'Almeida („Die Geheimnisse von Lissabon") als junger und vor allem Tom Courtenay („Quartett") als alter Joao, der im Heim gelandet ist, stechen aus dem Ensemble heraus und machen aus dem Weggefährten von Jorge und Amadeu die interessanteste Figur aus der Revolutionshandlung. Im Mittelpunkt des Geschehens steht aber natürlich Jeremy Irons („The Mission", „Beautiful Creatures") als einzige echte Hauptfigur Raimund. In einer glänzenden Darbietung verwandelt er die eher passive Rolle des Gelehrten, der hauptsächlich durch Lissabon zieht und beim Kaffee mit Leuten spricht, zu einer oft subtilen (die Sprechweise) und manchmal deutlicheren (die Brillen), aber fast immer treffenden Charakterstudie. Auch die eher zufällig angebahnte zarte Romanze zwischen Raimund und der Optikerin Mariana (Martina Gedeck) ist trotz der hier wie im ganzen Film immer wieder symbolisch überfrachteten Dialoge (stärker gilt das noch für den gelegentlichen Off-Kommentar) durchaus glaubhaft und sogar anrührend.

    Fazit: „Nachtzug nach Lissabon" ist eine durchwachsene, thematisch überfrachtete Literaturverfilmung mit internationaler Starbesetzung, die vor allem durch Jeremy Irons' Porträt eines selbsterklärten Langweilers besticht, der spontan sein Leben auf den Kopf stellt und sich auf die Suche nach sich selbst begibt.

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