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    Steve Jobs: The Lost Interview
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Steve Jobs: The Lost Interview
    Von Andreas Günther

    Welche Bedeutung haben Steve Jobs und sein Wirken noch, ein knappes Jahr nach seinem Tod? Für Skeptiker war der Apple-Gründer lediglich ein begnadeter Verkäufer von Handys, mit denen man mitunter gar nicht richtig telefonieren konnte. Andere verehren den Selfmade-Milliardär als einzigartigen und genialen Erfinder, der Hochtechnologie und Spitzendesign kongenial zusammenführte. Der Dokumentarfilm „Steve Jobs: The Lost Interview" zeigt den Halbgott des digitalen Zeitalters im Jahre 1995: charismatisch und begeisternd, eloquent und agil, ohne ein einziges graues Haar. Regisseur und Interviewer Robert X. Cringley hat ein verschollen geglaubtes Studiogespräch, das er im Rahmen einer Fernsehreihe mit Jobs führte, zufällig wiedergefunden und mit kurzen Kommentaren versehen. Diese sind so geschickt eingebaut, dass aus einem potentiell langweiligen Interviewfilm eine faszinierende Zeitreise wird.

    In dem knapp 70-minütigen Interview schlägt Cringley einen weiten Bogen: Gesprächsthemen sind Jobs Kindheit, die ersten Gehversuche im IT-Business, der Aufbau von Apple und die Machtkämpfe an der Konzernspitze sowie natürlich der Ursprung seiner Leidenschaft für Computer. Jobs erzählt, wie er als Junge anfing, sich mit Datenübertragung zu befassen und mit Freunden seine ersten Rechner baute; er spricht davon, wie er mit zwölf einen Ferienjob bei Hewlett-Packard hatte, der bereits seinen künftigen Umgang mit Mitarbeitern prägte. Er äußert sich freimütig über schwierige Phasen bei Apple und prognostiziert die enorme Bedeutung des Internet. Das Gespräch mündet in einen sorgenvollen Ausblick auf die Situation bei Apple und schließt mit Jobs´ Credo, nur Produkte hervorzubringen, die die Menschen lieben und die ihren höchsten ästhetischen und technischen Ansprüchen gerecht werden.

    Niemand soll nachher sagen, er sei nicht vor der Kargheit dieses Interviewfilms gewarnt worden: Es gibt keinerlei Einspielungen, Bilder oder Grafiken, der Studiohintergrund ändert sich nicht, sein Sonnenuntergangsrot steuert freilich eine elegische Note bei. Viele Zahlen und Namen von Menschen und Firmen, die schon lange vergessen sind, rauschen durch die Ohren, während die Kamera unbeweglich auf dem Gesicht von Steve Jobs ruht. Cringley selbst ist nicht zu sehen, allein seine Kommentare aus dem Off und ein Niesen von Jobs sorgen für kurze Unterbrechungen.

    Der Auftritt von Steve Jobs ist trotz des bescheidenen Rahmens ein Erlebnis, das man nicht missen möchte. Das vielbeschworene Charisma des visionären Unternehmers, der Publikum und Gesprächspartner ganz in seinen Bann schlagen konnte, wird selbst in der Filmkonserve spürbar. Nicht nur, dass seine Schilderungen höchst anschaulich sind, immer wieder fragt er auch provokant zurück. Besonderes Vergnügen bereitet ihm sichtlich das fein formulierte, aber dennoch vergiftete Lob, mit dem er Rivalen und Konkurrenten bedenkt. Ist seine Begeisterung geweckt, blitzten seine Augen, gestikuliert er mit seinen großen Händen. Die Freimütigkeit, mit der er sein Scheitern am Ende seiner ersten Apple-Führungsära eingesteht, sorgt für Sympathie – sein ungebrochener Optimismus und sein nie erlöschender Entdeckerdrang aber nötigen Bewunderung ab.

    Dennoch hätte der Film kaum eine so nachhaltige Wirkung, hätte Cringley das Gespräch mit Kommentaren aus dem Off nicht historisch eingeordnet. Er erinnert zum Beispiel daran, dass Jobs nur kurze Zeit nach dem Interview erneut zum Chef von Apple wurde und erzeugt mit diesem Hinweis einen ironischen Effekt: Denn in diesem Moment weiß das Publikum mehr als der ahnungslose ‚Held'. Es weiß, dass Jobs ein grandioses Comeback bei Apple hinlegen, dass er die Firma vor dem Bankrott bewahren und es zum wertvollsten Unternehmen aller Zeiten machen würde. Damit fällt sozusagen der letzte Mosaikstein der Geschichte an seinen Platz. Und die eindringlichen Worte, mit denen Jobs im Interview von Apples „langsamem Sterben" spricht und von seinen Zweifeln, ob dieser Prozess noch umkehrbar sei, lassen seine erfolgreiche Rettungsaktion im Nachhinein noch wundersamer erscheinen.

    Fazit: Mit geringfügigen, aber cleveren Ergänzungen wurde aus einem 17 Jahre alten Interview ein aufregender Dokumentarfilm für ein Publikum von heute. Die Legende um Steve Jobs wird posthum weitergeschrieben, der Mythos ist lebendiger denn je.

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