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    Blick in den Abgrund
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Blick in den Abgrund
    Von Gregor Torinus

    In ihrem Dokumentarfilm „Blick in den Abgrund“ zeigt die Österreicherin Barbara Eder  sechs internationale Profiler bei ihrer Arbeit und im Privatleben. Was sind das für Menschen, fragt Eder, die ihr Leben der Erstellung von Täterprofilen von Serienkillern und Vergewaltigern widmen? Ihre zentrale Frage wird bereits in einem dem Film vorangestellten Nietzsche-Zitat deutlich: „Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du zu lange in den Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“ Inwieweit wirkt sich die tägliche Beschäftigung mit menschlichen Abgründen auf die eigene Psyche und auf das eigene Leben aus? Kann man z.B. noch ein gesundes Familienleben haben, wenn man sich bei seiner Arbeit ununterbrochen mit der Erstellung von Psychogrammen von Triebtätern befasst? Erwartungsgemäß geht jeder der sechs portraitierten Profiler auf seine Art mit dem oft an persönliche Grenzen bringenden Job um. Dabei eint sie aber, dass sie allesamt eher ihre kühle Professionalität aufrechterhalten, als dass sie wirklich tiefe Einblicke in ihr Seelenleben gewähren würden.

    Stephan Harbort ist Kriminalhauptkommissar aus Düsseldorf und Deutschlands bekanntester Profiler. Barbara Eder begleitet den ausgewiesenen Experten für Serienmörder zu dem einzigen Interview mit einem Täter, das sie in ihrer Dokumentation zeigt. Dabei erzählt ein gemütlich wirkender Täter, dass eine befriedigende Fantasie eine sei, die mit dem Tod des Opfers ende. Harbor: „Tot ist gut?“ Täter: „Ja.“ Helen Morrison arbeitet bereits seit Jahrzehnten auf dem Gebiet der forensischen Psychiatrie und war unter anderem mit dem Fall des berüchtigten Serienkillers John Wayne Gacy befasst. Sie glaubt nicht mehr an kindliche Traumata und ähnliche psychologische Erklärungen als Auslöser bestialischer Taten, sondern vermutet beim Täter einen bestimmten zerebralen Defekt. Deshalb will sie verurteilten Tätern Elektroden ins Hirn implantieren, um die fürs triebhafte Töten zuständige Hirnregion ausfindig zu machen. Roger L. Depue und Robert R. Hazelwood haben die für das Erstellen von Täterprofilen zuständige Abteilung beim FBI gegründet und sind die realen Vorbilder für die Ermittler in „Das Schweigen der Lämmer“. Helinä Häkkänen-Nyholm schließlich ist die erste weibliche Profilerin in Finnland und Gérard Labuschagne der jüngste Leiter der „South African Police Service´s Investigative Psychology Unit“, die mit den abscheulichsten Serienkillern auf dem gesamten Planten befasst.

    Das Phänomen des Serienkillers birgt eine morbide Faszination, die Filme wie „Psycho“ oder „Das Schweigen der Lämmer“ zu Kassenschlagern gemacht hat. Diese Kino-Klassiker waren von realen Serientätern wie Ed Gein oder Ted Bundy inspiriert, die inzwischen fast so bekannt wie Popstars sind. Weitaus unbekannter sind hingegen die Ermittler, die die Verbrecher fassten. Es ein echter Coup, dass es Eder gelungen ist, die realen Vorbilder für die Ermittler in „Das Schweigen der Lämmer“ vor die Kamera zu holen. Doch Depue und Hazelwood präsentieren sich als abgekochte, alte Knochen, die nicht so schnell aus der Fassung zu bringen sind. Auch der in Südafrika tätige Gérard Labuschagne spricht zwar ständig davon, dass dieser Job nicht für jedermann sei und die meisten ihn nur für eine begrenzte Zeitspanne ausüben könnten. Aber er selbst sei ja erst zehn Jahre dabei und hat von daher anscheinend noch lange nicht zu viel gesehen. Einzig die Finnin Häkkänen-Nyholm gibt offen zu, dass diese Tätigkeit auf jeden Fall Spuren hinterlässt und dass sie ohne diese Arbeit vielleicht ein glücklicherer Mensch wäre.

    Durch ihre größtenteils verschlossenen Protagonisten geht Eders Ansatz, die für Dokumentarfilme typischen Interviews zu vermeiden und die Protagonisten stattdessen lieber unkommentiert bei ihrer Arbeit und in ihrem Heim zu zeigen, nicht ganz auf. Sie selbst gibt zu, dass sich etliche der Profiler nach dem Dreh bei einem Drink deutlich offener gezeigt hätten und von Dingen berichteten, die sie vor der Kamera nicht erzählen wollten. Doch was soll dann die Einführung mit einem Nietzsche-Zitat, wenn die gezeigten Profiler ihre inneren Abgründe lieber für sich behalten? Einzig das Interview von Stephan Harbort mit einem verurteilten Serienkiller zeigt auf erschreckende Weise, wie sehr sich ein Profiler in die Gedanken- und Gefühlswelt der Täter hineinversetzen muss. Hier funktioniert auch Erders nüchterner Ansatz, hier offenbart sich das Böse in all seiner erschreckenden Banalität, womit der Film am Ende dann doch noch einen Teil seines anfänglichen Versprechens einlöst.

    Fazit: Barbara Eders Dokumentarfilm über die Arbeit verschiedener Profiler ist interessant, weil das Thema an sich interessant ist. Den versprochenen „Blick in den Abgrund“, bleibt Eder jedoch über weite Strecken schuldig.

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