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    Der Teufelsgeiger
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Der Teufelsgeiger
    Von Andreas Staben

    In der Boyband-Doku „One Direction: This Is Us“ war sie zuletzt wieder in schönster Kreisch-Extase zu bewundern: die hemmungslose Hingabe der Fans an ihre Musik-Idole. Das Phänomen entfesselter Groupies ist indes nichts Neues, legendär ist etwa die Beatlemania der 1960er. Schon die bloße Präsenz der Liverpooler Pilzköpfe sorgte für geradezu hysterische Erregungszustände und verursachte so manchen Ohnmachtsanfall. Aber schon lange vor den Beatles oder den Rolling Stones, lange auch vor Elvis gab es Künstler mit ähnlicher Verführungskraft. Als Pionier der Publikumsüberwältigung und damit als einer der ersten Rockstars der Geschichte gilt der italienische „Teufelsgeiger“ Niccoló Paganini, der seine größte Zeit in den 1820er und 30er Jahren erlebte. Der Violin-Virtuose bezirzte nicht nur mit bis dahin für unmöglich gehaltenen Kabinettstückchen auf seinem Instrument, sondern auch mit ungewöhnlichem Aussehen und Auftreten - sein Image ist bis heute das eines Hexers und Dämonen. Die Frage nach dem Star-Phänomen steht nun im Mittelpunkt von Bernard Roses („Mr. Nice“, „Anna Karenina“) facettenreichem, faustisch angehauchtem Paganini-Biopic und Showbusiness-Drama „Der Teufelsgeiger“, was alleine schon durch die Besetzung der Hauptrolle mit David Garrett unterstrichen wird – schließlich ist der langmähnige Stargeiger und Schauspieldebütant selbst eine der großen Nummern in der Klassikszene und besitzt nicht nur Crossover-Appeal, sondern vor allem eine enthusiastische (vorwiegend weibliche) Fangemeinde.

    Der junge italienische Violinist Niccoló Paganini (David Garrett) ist ebenso genial veranlagt wie erfolglos. Das Publikum interessiert sich nicht für sein musikalisches Können, sondern nur für seine Fähigkeit, mit der Geige Tierstimmen nachzuahmen. Als der genusssüchtige Frauenheld die üppige Hotelrechnung nicht bezahlen kann, unterbreitet ihm der geheimnisvolle Urbani (Jared Harris) ein unwiderstehliches Angebot: Der Fremde verspricht Paganini Ruhm und Reichtum, als Gegenleistung müsse der Musiker ihm nach dem irdischen Leben zu Diensten sein. Der Violinist geht den faustischen Pakt ein und tatsächlich liegen ihm die Musikfans Europas schon bald zu Füßen. Paganini kommt indes nicht zur Ruhe und verprasst sein Geld immer wieder im Casino. Dann bietet der Londoner Impresario John Watson (Christian McKay) ihm ein immer wieder aufgestocktes beträchtliches Honorar für einen Auftritt in der britischen Metropole, der Konzertveranstalter verpfändet dafür sogar seine Möbel. Als Paganini schließlich zusagt und in London auftaucht, ist ihm sein Ruf längst vorausgeeilt, eine Gruppe Tugendwächterinnen unter der Führung von Primrose Blackstone (Olivia d’Abo) demonstriert lautstark gegen den verderblichen Einfluss des vermeintlich dämonischen Geigen-Don Juans. Watson quartiert den Stargast schließlich samt Urbani in seinem eigenen Haus ein, um ihn vor dem Trubel zu schützen. Dort fällt Paganinis Auge auf Charlotte (Andrea Deck), die hübsche Tochter des Impresarios…

    Das Gesamtkunstwerk Paganini speiste sich schon zu Lebzeiten des Geigers und Komponisten genauso aus Legenden wie aus Fakten. Zur Selbststilisierung des langhaarigen Italieners, der sein enormes spieltechnisches Können (für die Experten: Bahnbrechend waren seine halsbrecherischen Doppelgriff-Folgen und die effektvollen Pizzicati für die linke Hand) mit eigenwilligen Bühnenritualen verband, kamen schnell bewundernde Übertreibungen und gezielte Diffamierungen. Es entstand das Bild eines Musikers im schwarzen Frack, der mit seinem Instrument nicht nur angeblich Frauen willenlos machen konnte, sondern direkt mit einer übernatürlichen, dämonischen Sphäre in Verbindung zu stehen schien. Genau davon war auch Schauspiel-Exzentriker Klaus Kinski fasziniert, der die Teufelsgeiger-Geschichten in seinem treffend betitelten Film „Kinski Paganini“ für ein stilisiert-idealisiertes Selbstporträt plündert. Von solcher manischer Zuspitzung sind Bernard Rose und David Garrett weit entfernt, dem Regisseur und Drehbuchautor geht es vielmehr darum, dem Künstler Paganini gerecht zu werden, den Mythos zu entlarven, ohne den Zauber zu zerstören. Dazu verbindet er größtenteils verbürgte biografische Elemente (vom konfliktbeladenen Verhältnis Niccolós zu seinem Vater bis zur Vernachlässigung des eigenen Sohnes) mit einem natürlich erfundenen Teufelspakt, der die Drucksituation dramatisch verstärkt und zugleich die vorgebliche Nähe des Geigers zum Leibhaftigen auf die Schippe nimmt.

    Die metaphysischen Dimensionen der Verbindung Paganinis zum höllischen Urbani spielen allerdings für Rose keine entscheidende Rolle, der mysteriöse Strippenzieher ist in Jared Harris` („Lincoln“) Darstellung ohnehin mehr ein skrupellos-egoistischer Manager als ein Mephisto. Die Figur passt trefflich in Roses zeitloses Porträt des Musikbusiness: Auch im 19. Jahrhundert geht es schon um Meinungsmacher und Marketing, Intrigen und Interessenkonflikte. Da gibt es etwa die Journalistin Ethel Langham (Joely Richardson), die bei Paganinis Empfang „Freibier für die Presse“ fordert - und bekommt. Sie ist es auch, die nach des Geigers improvisiertem Auftritt in einem Pub eine Eloge in ihrer Zeitung verfasst, diese positive Kritik dann aber zur Gunstbezeugung umdeutet und sie um ihren Einfluss wissend zum eigenen Vorteil einsetzt. Hier wird zwischen Imagepflege und Schmutzkampagne auch noch um einen publicityträchtigen Konzertbesuch des englischen Königs (Danny Huston in einem ungenannten Gastauftritt) gebuhlt, während der Künstler in ein Abhängigkeitsverhältnis im goldenen Käfig gezwungen wird. Allzu weit sind wir hier letztlich nicht von dem (selbst-)mörderischen Sumpf entfernt, den uns Rose in seinem Hollywood-Drama „Ivans xtc“ präsentiert hat.

    Paganini wiederum erscheint in dieser verdorbenen Welt des Scheins als verirrte Seele, die sich in Drogen, Glücksspiel-Eskapaden und freudlose Frauengeschichten flüchtet und sich nur in ihrer Kunst zu Hause fühlt. Wenn der Geiger sagt „Ich lebe durch Musik“, dann setzt Rose dem Lebemann-Klischee ein Bild des reinen Künstlers Paganini entgegen, das letztlich genauso sehr eine Projektion ist und das perfekt zum sanft-leidenschaftlichen Image des Hauptdarstellers passt. Rose, der höchstpersönlich die Kamera führt, zelebriert Garretts manchmal allzu adrette Leidensmienen mit Drei-Tage-Bart und die kleinen Kuschelsex-Einlagen geradezu, später bekommt Paganinis drogendurchsetzte Agonie im Gefängnis einen gewissen Opium-Chic. Die vielen schwelgerischen Großaufnahmen mögen Garretts Ruf als Schwiegermutters Liebling befördern, sie zeigen allerdings auch die Miene eines Abwesenden. Die Ausdruckspalette des Schauspielers scheint begrenzt, aber das macht der Musiker (trotz seiner teils fragwürdigen Paganini-Arrangements) wieder wett, der somit tatsächlich das Bild eines Menschen, der nur in der Musik lebt, filmische Wirklichkeit werden lässt. Am Ende des Films sind Liebe und Musik das einzige, was zählt, und sie sind untrennbar verbunden. Damit ist Rose ganz nah bei seiner Beethoven-Fantasie „Ludwig van B.“, aber trotz großer stilistischer Unterschiede auch beim Kollegen Ken Russell, dem er „Der Teufelsgeiger“ gewidmet hat, und der für seinen „Lisztomania“ mit Roger Daltrey einst einen echten Rockstar als Wundermusiker Franz Liszt engagierte.

    Fazit: Bernard Roses Paganini-Porträt „Der Teufelsgeiger“ bietet dem Schmusegeiger David Garrett eine maßgeschneiderte erste Filmrolle und dessen Fans bekommen jede Menge Gelegenheit zu Schwelgereien. Daneben und vor allem ist der Film aber auch eine intelligente Erkundung der Mechanismen des Showgeschäfts und der Macht der Musik.

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