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    Spuren
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Spuren
    Von Carsten Baumgardt

    Als die Abenteurerin Robyn Davidson 1977 einen waghalsigen Trip quer durch die australische Wüste unternahm und ihre Erlebnisse im Anschluss zum Welt-Bestseller „Spuren“ verarbeitete, gab es bald erste Pläne zu einer Verfilmung des Buches, die sich aber zerschlugen. Im Lauf der Jahrzehnte wurden mindestens vier weitere vergebliche Anläufe unternommen, das Projekt in die Tat umzusetzen und für die Hauptrolle waren zwischenzeitlich so große Namen wie Julia Roberts oder Nicole Kidman im Gespräch, doch erst bei den Filmfestspielen von Venedig 2013 erblickte der Film „Spuren“ tatsächlich das Licht der Leinwand: Unter der Regie von John Curran glänzt die großartige Mia Wasikowska als Robyn Davidson. Diese „kleinere“ Lösung einer vergleichsweise bescheidenen 12-Millionen-Dollar-Produktion mit einer Schauspielerin, die sich (noch) nicht in Superstar-Sphären bewegt, passt gut zu der intimen Selbstfindungsthematik, denn so kann sich der Betrachter hundertprozentig auf die überaus faszinierende Hauptfigur konzentrieren. Curran und Wasikowska erzählen mit dem Abenteuer-Drama „Spuren“ dann auch ganz ohne Hollywood-Firlefanz die Geschichte einer außergewöhnlichen Reise und zeichnen dabei vor grandioser Kulisse das nuancierte Porträt einer eigenwilligen Frau. Große Schauwerte, leise Töne!

    Australien, 1975: Robyn Davidson (Mia Wasikowska) kommt von der Großstadt Brisbane in den 5.000-Seelen-Wüstenort Alice Springs, um sich einen Traum zu erfüllen: Die von den Errungenschaften und den Werten der modernen Gesellschaft irritierte junge Frau plant eine 2.700 Kilometer lange Reise, sie will aus dem Herzen des australischen Kontinents nur von Kamelen begleitet durch die Wüste bis zum Indischen Ozean an der Westküste marschieren und sich dabei selbst finden. Zwei Jahre benötigt Robyn, um das Geld für den Extremtrip zusammenzubekommen und sich auf Kamelfarmen das nötige Wissen anzueignen. Nach einer Begegnung mit dem Fotografen Rick Smolan (Adam Driver) verpflichtet sie sich eher widerwillig, für das renommierte „National Geographic“-Magazin einen Reiseartikel zu schreiben und an ausgewählten Stationen der Expedition für Fotos zur Verfügung zu stehen. Begleitet von ihrem Hund Diggity und vier Kamelen macht sich Robyn auf den langen Weg.

    Es gibt in „Spuren“ eine Szene, die sich bei genauerer Betrachtung geradezu als programmatisch für die Methode von Regisseur John Curran („Der bunte Schleier“, „Stone“) erweist: Wenn die Heldin Robyn Davidson von dem griesgrämigen österreichischen Kamelfarmer Kurt Posel (charismatisch wie immer: Rainer Bock) hereingelegt und um zwei Kamele (der Lohn von acht Monaten Arbeit) betrogen wird, wäre eine Julia Roberts oder eine Nicole Kidman womöglich burschikos-wutschnaubend zur Tat geschritten, hätte dem bockigen Bauern heimlich die versprochenen Tiere gemopst und wäre unter Triumphmusik von dannen gezogen. Doch Curran verzichtet auf einen solchen recht naheliegenden Hollywood-Feel-Good-Moment, er bleibt den Tatsachen, der Figur und ihrem Charakter treu – deshalb ist Davidson hier gegenüber dem Schreckensfarmer Posel machtlos. Aber sie steckt den Rückschlag weg, ihre Zähigkeit und ihre Ausdauer bringen ihr in ihren neuen Job bei dem (rechtschaffenen) afghanischen Züchter Sallay Mahomet (John Flaus) viel Kredit ein und so kommt sie der Verwirklichung ihres Traums langsam doch noch näher. All das zeigt uns Curran auf ganz unaufgeregte, aber präzise Art.

    Die Charakterzeichnung erfolgt hier nicht mit groben Strichen und in exemplarischen Episoden, sondern die Hauptfigur wird in kleinen Schritten sanft weiterentwickelt – entsprechend langsam ist das Erzähltempo. Den Freunden von Action-Blockbustern und Hochgeschwindigkeits-Thrillern mag das auf den ersten Blick zu gemächlich erscheinen, für das behutsam ausbalancierte Charakterporträt des Films ist es genau richtig. Dabei bedient sich natürlich auch Curran einer klassischen Dramaturgie, er verzichtet indes auf Überhöhungen und konstruierte Zuspitzungen und bleibt stets so nah bei seiner Hauptfigur, dass sich das Geschehen ganz organisch entfaltet. Wenn Kamele und Hunde verschwinden, wilde Tiere attackieren oder das Wasser knapp wird, dann brauchen diese Situationen keine zusätzliche Dramatisierung. Diesem Grundsatz folgt auch Kamerafrau Mandy Walker („Australia“) mit ihren betörend-rauen Landschaftsaufnahmen vom kargen australischen Hinterland: Hier wird die Natur ganz ohne stilisierendes Beiwerk zu einem weiteren Hauptdarsteller – ebenso unwirtlich und feindlich wie wunderschön.

    Da der ständige innere Monolog des Buches kaum eins zu eins auf die Filmversion übertragen werden kann (auch wenn es einzelne Off-Kommentare von Wasikowska gibt, in denen Robyns Gedanken ausgesprochen werden), bekommt die Erzählung hier vor allem durch die Begegnungen der jungen Frau mit Aborigines, Einsiedlern und anderen Abenteurern Struktur. In beiden Fällen kommt eine willensstarke Persönlichkeit zum Vorschein, die ständig an sich arbeitet: Zu Beginn noch als Lebensmüde auf einem Selbstmord-Kommando belächelt, hat die Mittzwanzigerin schon zum Start ihrer Tour einen gewissen Ruf, der im Verlauf der neunmonatigen Reise bis an die Weltöffentlichkeit dringen sollte - heute ist Robyn Davidson längst ein australischer Mythos. Warum sie darüber hinaus eine Ikone für viele Frauen weltweit wurde, das ist in „Spuren“ zu sehen: Sie erkundet eine üblicherweise den Männern vorbehaltene Welt - die des Extrem-Abenteuers - und verlässt sich dabei ausschließlich auf sich selbst und ihre Intuition. Sie will alles selbst und am eigenen Leib erfahren, auch wenn es zuweilen schmerzhaft ist.

    Im Nachhinein kann man sich keine andere als Mia Wasikowska („Alice im Wunderland“, „Stoker“) in der Rolle der Robyn Davidson vorstellen: Die Schauspielerin strahlt genau die richtige Mischung aus Eigenwilligkeit, Stärke und Zerbrechlichkeit aus, die ihre Landsfrau zur Volksheldin werden ließ - 1,63 Meter geballte Leinwandpräsenz! Ihr Mut und ihre Abenteuerlust paaren sich bei ihrem Aufbruch ins Unbekannte mit kritischer Selbstreflexion. Dass „Spuren“ trotz kleinerer Längen und wenig äußerer Action erzählerisch so gut funktioniert, ist aber auch der Figur des von Adam Driver („Girls“) mit natürlicher Schrägheit und schwer zu bändigendem Charme gespielten Fotografen zu verdanken – denn die On/Off-Beziehung zwischen Robyn Davidson und Rick Smolan belebt den Film gleich auf mehreren Ebenen. Sie sorgt zunächst einmal ganz direkt für emotionale Spannung, gleichzeitig entzünden sich an ihr aber auch die Konflikte Davidsons mit der Außenwelt im Allgemeinen. Feinfühlig erforscht Regisseur Curran auch diesen inneren Zwiespalt und die Widersprüche, mit denen die Protagonistin in der Beziehung kämpft und rundet sein gelungenes Porträt einer ungewöhnlichen Frau damit ab.

    Fazit: John Currans ambitionierter Abenteuer-Trip „Spuren“ bietet kein reißerisches Actionkino, sondern eine ausgefeilte und wunderbar gespielte Charakterstudie vor der atemberaubenden Kulisse des australischen Outbacks.

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