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    Spieltrieb
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Spieltrieb
    Von Christoph Petersen

    Die Brasilianer waren schneller, zumindest ein bisschen. Denn während die deutsche Verfilmung des 2004 erschienenen Bestsellers „Spieltrieb“ erst im Oktober in die Kinos kommt, wurde im brasilianischen Fernsehen bereits im Mai und Juni 2013 eine zwölfteilige, ebenfalls auf Juli Zehs Roman basierende Miniserie ausgestrahlt. Dass deutsche Literatur im südamerikanischen TV für Quoten sorgen soll, klingt zunächst überraschend, ist es aber gar nicht unbedingt: Denn wenn man den philosophischen Überbau der Vorlage weglässt und sich stattdessen nur um den Teenager-erpressen-ihren-Lehrer-mit-Sexvideos-Plot schert, bleibt schließlich kaum mehr übrig als eine irgendwo zwischen „Eiskalte Engel“ und „Shades of Grey“ angesiedelte Skandal-Soap. Regisseur Gregor Schnitzler, der mit „Spieltrieb“ nach „Soloalbum“, „Die Wolke“ und „Resturlaub“ nun seine vierte Kino-Romanadaption am Stück vorlegt, hat zum Glück etwas höhere Ziele. Was die komplexen moralischen Fragen des Buches angeht, kratzt er zwar auch nur an der Oberfläche, aber zumindest entwirft er ein stimmig-intensives Porträt seiner beiden philosophiegeilen Protagonisten. So ist „Spieltrieb“ dann doch irgendwie eine deutsche Variante des stylisch-provokanten Teenager-Intrigantenstadels „Eiskalte Engel“ geworden – und zwar gar keine schlechte!

    Die 15-jährige Ada (Michelle Barthel) ist nicht nur ihren älteren Klassenkameraden, sondern auch vielen ihrer Lehrer an einem elitären Bonner Privatgymnasium intellektuell haushoch überlegen, weshalb sie außer ihrem körperbehinderten Philosophielehrer Höfi (Richy Müller) eigentlich niemanden hat, mit dem sie wirklich reden kann. Das ändert sich erst, als der 18-jährige Schönling Alev (Jannik Schümann) in ihre Klasse kommt, der seine Intelligenz in erster Linie dazu einsetzt, andere zu provozieren. Für ihn ist alles nur ein Spiel – und für sein nächstes Spiel braucht er Ada, die sich bereits ein bisschen in den regelmäßig Stripclubs besuchenden, aber nach eigener Aussage impotenten Neuankömmling verliebt hat. Alev will von seiner jungfräulichen Neu-Mitspielerin, dass sie ihren Sportlehrer Smutek (Maximilian Brückner) in der Turnhalle verführt, während er die beiden aus einem Versteck heraus filmt.  Ada entwickelt nach dem heimlichen Pornodreh Mitleid für ihren nun immer wieder zum Sex gezwungenen Lehrer, doch schnell ist klar, dass aus diesem „Spiel“ wohl niemand als „Gewinner“ hervorgehen wird…   

    Darf man jemanden zu seinem Glück zwingen? Etwa indem man ihn beim Sex mit einer minderjährigen Schutzbefohlenen filmt, um ihn so dazu zu bringen, endgültig aus seiner unglücklichen Ehe auszubrechen? Den allermeisten Kinobesuchern wird spontan ein deutliches „Nein!“ auf den Lippen liegen, aber für Ada verschwimmen die Grenzen zwischen den Erkenntnissen der tief verehrten Existenzialisten in ihrem beeindruckend bestückten Bücherregal und der sich mit der ersten Verliebtheit einstellenden allgemeinen Verwirrung zunehmend. Statt dieses moralische Dilemma und die dahinterstehenden grundlegenden Ideen genauer in den Blick zu nehmen, zeichnen Regisseur Schnitzler und seine großartige Hauptdarstellerin Michelle Barthel (vier „Tatort“-Rollen in nur zwei Jahren) lieber das Porträt eines verlorenen Mädchens, das sich für einen Jungen Hals über Kopf und ohne großes Nachdenken ins Unglück stürzt: eine liebestolle Protagonistin eignet sich einfach besser zum unmittelbaren Mitfiebern als eine mit zunächst wenig einleuchtender abstrakter Motivation wie im Roman – aber unter diesen veränderten Voraussetzungen wirken die immer wieder eingestreuten, bewusst cool-trockenen Nihilismus-Dialoge dann oft, als würden zwei Schüler etwas auswendig aufsagen, das sie in der letzten Ethikstunde nebenbei aufgeschnappt haben:  

    Alev: „Ich bin ein Spieler, Kleines.“

    Ada: „Spielst du mit mir oder gegen mich?“

    Alev: „Wirkliche Liebespaare sollten miteinander spielen.“

    Ada: „Was für ein Spiel ist das?“

    Alev: „Ein Spiel, für das man stark sein muss.“

    Stylisch, sexy & provokant – wenn diese vielversprechende Troika, die sich viele Fans auch von der für 2014 angekündigten ersten „Shades of Grey“-Verfilmung erhoffen, durch den deutschen Kinowolf gedreht wird, kommt am Ende oft genug nur „piefig, spießig & altbacken“ heraus. Aber abgesehen von einer lächerlich-prüden Szene im Stripclub (könnte man so auch in der „Lindenstraße“ zeigen) gelingt Gregor Schnitzler eine die meiste Zeit über tatsächlich richtig schicke Hochglanzinszenierung, mit der er sich vor der Hollywoodkonkurrenz nicht zu verstecken braucht. Der Höhepunkt: eine surreal-orgiastische Tiermasken-und-Feuerwerk-Gartenparty, die so gar nichts mit nordrhein-westfälischer Kleinbürgerlichkeit gemein hat! So lässt der Regisseur mit „Spieltrieb“ selbst- und stilbewusst jede deutsche Piefigkeit links liegen, auch wenn sich der Film mit seiner im Vergleich zum Roman biederen Schwerpunktsetzung am Ende als allenfalls halb so radikal wie seine alles für ein simples Spiel riskierenden Teenager-Anti-Helden erweist.

    Fazit: Regisseur Gregor Schnitzler macht aus Juli Zehs provokant-philosophischem Bestseller eine weniger originelle, aber dafür stylisch gefilmte und intensiv gespielte Variante von „Eiskalte Engel“ ganz ohne deutsche Piefigkeit.

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