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    Escobar - Paradise Lost
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Escobar - Paradise Lost
    Von Carsten Baumgardt

    Der Kolumbianer Pablo Escobar gehörte ohne Zweifel zu den berüchtigtsten Verbrechern der jüngeren Geschichte. Bei einem Film über diesen schillernden Chef eines milliardenschweren, äußerst brutalen Drogenkartells erwartet man so etwas wie ein großes Epos von Aufstieg und Fall des berühmten Kriminellen. Doch Schauspieler Andrea Di Stefano („Life Of Pi“) hat für sein Regiedebüt „Escobar – Paradise Lost“ anderes im Sinn als die übliche Gangsterchronik und verfolgt einen ebenso ungewöhnlichen wie ambitionierten Ansatz: Er kombiniert ein Escobar-Biopic-Konzentrat mit mal mehr, mal weniger erfundenen Figuren, einer Prise Surfer-Film und einer tatsächlich einmal überzeugenden Liebesgeschichte zu einem spannenden Thriller. Die über weite Strecken elektrisierende Atmosphäre und der gewohnt charismatische Oscar-Preisträger Benicio Del Toro („Traffic“) als Drogenbaron mit zwei Gesichtern helfen dabei über die im Einzelnen zuweilen etwas formelhafte Erzählweise.

    31. März 1991: Es ist die Nacht vor der Götterdämmerung. Der kolumbianische Drogenzar Pablo Escobar (Benicio del Toro) hat sich bereit erklärt, für einige Zeit ins Gefängnis zu wandern, um die Wogen im seit Jahren tobenden blutigen Drogenkrieg im Land zu glätten und zugleich einer Auslieferung in die USA zu entgehen. Er will zudem verhindern, dass sein Imperium zerschlagen wird und versteckt seine Schätze bestmöglich. Auch der kanadische Surfer Nick (Josh Hutcherson), der mit seinem Bruder Dylan (Brady Corbet) ins Land kam, um der perfekten Welle nachzujagen und nach seiner Hochzeit mit Escobars geliebter Nichte Maria (Claudia Traisac) in den inneren Zirkel der Sippe aufgestiegen ist, soll eine Ladung Diamanten in Sicherheit bringen – und seinen ortskundigen Helfer anschließend umbringen. Angesichts dieses Auftrags empfindet Nick extremes Unbehagen, denn er hat noch nie jemanden ermordet…

    Auch lange nach seinem Tod im Jahr 1995, als er von einer kolumbianisch-amerikanischen Spezialeinheit auf der Flucht aufgespürt und getötet wurde, ist Pablo Escobar eine höchst umstrittene Figur. Auf der einen Seite ließ der charismatische Schwerverbrecher hunderte Konkurrenten ermorden, genauso wie Polizisten, Richter und Staatsanwälte, die ihn fassen wollten, andererseits war er ein Wohltäter, der Krankenhäuser baute und die arme Bevölkerung mit seinem Drogengeld unterstützte. Aber von all dem zeigt Neu-Regisseur Andrea Di Stefano erst einmal nur wenig, denn in seinem Film geht es vornehmlich um den privaten Escobar – und der war ein ausgesprochener Familienmensch. Dabei ist alles, was die Titelfigur in „Escobar“ tut, aus dem gut dokumentierten Leben des Kartellbosses gegriffen, während Andrea Di Stefano den Rest seiner Story deutlich stärker fiktional aufbauscht. Er hat sich zwar auch dort von realen Ereignissen inspirieren lassen, aber der eigentliche Protagonist ist erfunden: Über den kanadischen Surfer Nick etabliert der Regisseur und Drehbuchautor eine nordamerikanische Perspektive, die den Film für den US- und den internationalen Markt attraktiver machen soll.

    Mithilfe der hinzugedichteten fiktiven Elemente passt Di Stefano den Film in eine konventionelle Thriller-Struktur ein, aber er holt dabei ein Maximum an Spannung heraus und zeigt zudem ein hervorragendes Gespür für Atmosphäre und Milieu. Nicks moralisches Dilemma rückt ins Zentrum und entwickelt besonders gegen Ende brennende Intensität: Wenn der inzwischen demaskierte Escobar zu Nick sagt, er sei für ihn wie ein Sohn, dann ist das der Schlüsselsatz des Films. Der Fremde ist in den inneren Kern der Familie eingerückt und es zeigt sich, dass Werte wie Integrität und Ehrlichkeit längst nicht immer und für jeden das Gleiche bedeuten. Für Pablo Escobar allerdings gibt es hier nur eine mögliche Sichtweise und so stehen das liebevolle Familienoberhaupt und der rücksichtslose Verbrecher in Benicio Del Toros brillanter Darstellung nicht im Widerspruch zueinander, sind aber die zwei Seiten einer einzigen Medaille. Der Charakterdarsteller verleiht dem doppelgesichtigen Drogenboss eine zugleich faszinierende und einschüchternde Präsenz, zu der Josh Hutchersons („Die Tribute von Panem“) bodenständige, fast noch jugendliche Art eine durchaus gute Ergänzung ist. Er bringt den Druck, der auf Nick lastet, überzeugend zum Ausdruck, während die spanische Newcomerin Claudia Traisac mit einer bewundernswerten Natürlichkeit beeindruckt.

    Fazit: „Escobar – Paradise Lost“ ist keine Gangstersaga im großen Stil, überzeugt aber mit einer selbstbewussten Inszenierung und guten schauspielerischen Leistungen: ein emotional packendes Debüt!

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