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    The Act of Killing
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    The Act of Killing
    Von Robert Cherkowski

    In der Rückschau wird der Kalte Krieg gern als waffenstarre Pattsituation der Supermächte begriffen. Abseits der Gefahr einer nuklearen Eskalation vollzog sich der Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunion jedoch vor allem in grausamen Stellvertreterkriegen. So wüteten in Afrika, Südamerika und Asien geradezu barbarische Bürgerkriege, bei denen die USA auch auf zwielichtige Militärs oder gleich auf Kriminelle setzten, um linksgerichtete Strömungen notfalls mit Folter und Mord zu unterdrücken. Viele der Henker, Agitatoren und Strippenzieher jener Zeit sind heute selbst Geschichte und starben durch das Schwert, durch das sie lebten. Andere mussten sich nie für ihre Taten verantworten – so die Massenmörder, die in den Jahren 1965/66 im indonesischen Militärputsch über eine Million Oppositionelle, Studenten, Gewerkschafter, eingewanderte Chinesen und Kommunisten umbrachten und zur Elite des Landes aufstiegen. Joshua Oppenheimer stellt nun Anwar Congo, einen kriminellen Handlanger und Vollstrecker dieser paramilitärischen Mordmaschine, in den Mittelpunkt seiner meisterhaften Dokumentation „The Act of Killing". Der Regisseur hört dem alten Herrn zu und schaut genau hin. Was man in den heiter-unbeschwerten Augen Congos zu sehen bekommt, lässt an Hannah Arendts vielzitiertes Wort von der „Banalität des Bösen" denken. Während die Philosophin sich jedoch auf Schreibtischtäter bezog, gleicht Congo eher einem sadistischen Teufel in Menschengestalt, der sich selbst mit Vergnügen die Finger schmutzig machte und mit einer Garotte eigenhändig Tausende brutal ermordete.

    Oppenheimer begleitet und interviewt Congo, diesen jovialen und auf den ersten Blick nicht unsympathischen älteren Gentleman, bei seinen Spaziergängen durchs Jakarta der Gegenwart und lauscht seinen oberflächlichen Ausführungen über antikommunistischen Widerstand ohne Widerspruch. Der Filmemacher braucht keine besonderen rhetorischen Kniffe, um Standpunkte zum Thema Massenmord aus seinem eitlen Star hervorzukitzeln. Congo und seine Handlanger reden frei von der Leber weg von ihren Schandtaten und lassen dabei keine Scham erkennen. Skrupellos waren sie schon, bevor sie zu Henkern wurden. Nicht wenige von ihnen waren schlicht Kriminelle, „Gangster" wie sie sich selbst stolz nennen. Als solche sahen sie sich als Speerspitze westlicher Werte und betrachteten den Kampf gegen linke Strömungen als ihre oberste Bürgerpflicht. Wenn Congo von der Ökonomie des Mordens erzählt, erinnert er mitunter an die Figur des Franz Lang/Rudolf Höß aus Theodor Kotullas „Aus einem deutschen Leben" – mit dem Unterschied, dass er sich nie für sein Tun verantworten musste und es in seiner Heimat nie zu einer Ächtung seiner Taten, geschweige denn zu einer juristischen Aufklärung kam.

    Ganz im Gegenteil: Während die Auftraggeber in den politischen und wirtschaftlichen Schaltzentralen Indonesiens Platz genommen haben, genießt Congo selbst den Status eines C-Promis, der in seichten Nachmittags-Talkshows mit seinen Taten prahlt. Wie es möglich sei, dass er so viele Menschen töten konnte, ohne selbst ermordet zu werden, will eine Moderatorin da einmal von ihm wissen. „Gott hasst Kommunisten", antwortet er mit breitem Lächeln. Das Publikum applaudiert. Schnell ist klar, dass hier eine Nation in Verdrängung verharrt und noch immer unter dem Terror der Henker von einst leidet. Der eigentliche Geniestreich des Regisseurs besteht dann darin, die Mörder mit ihren eigenen Taten zu konfrontieren: Oppenheimer bittet sie, ihre Taten für die Kameras nachzustellen. Eine Bitte, der der begeisterte Filmfan Congo – „Ich sehe gerne sadistische und gewalttätige Filme!" – nur zu gerne nachkommt. Mit bloßem Nachstellen ist er jedoch bald nicht mehr zufrieden. Stattdessen begreift er sich als Star und betrachtet die filmische Aufarbeitung seiner Gräueltaten als Heldenepos und Lebenswerk.

    Congo ist mit Eifer bei der Sache: Er trommelt seine alten Killer-Buddies zusammen, die wie leicht vertrottelte indonesische „GoodFellas" wirken, und überredet wildfremde, offensichtlich eingeschüchterte Passanten dazu, in seinem Film doch bitte die Opfer zu spielen. Es werden Kostüme und Splatter-Effekte aufgefahren und das kranke „Heldenepos" nimmt seinen Lauf. Immer absurder wird der Aufwand, der hier betrieben wird, um den großen antikommunistischen Torture-Porn Indonesiens auf die Beine zu stellen. So inszenieren sich die schrillen Völkermörder bald wie die Leinwandgangster, die sie verehren und lassen als Gipfel des Irrsinns sogar Musical-Einlagen drehen, damit der Film auch ein großer Publikumserfolg wird. Wie bei einer John-Waters-Groteske weiß man hier bald nicht mehr, ob man über die himmelschreiende Geschmacklosigkeit der Täter lachen oder über das ungesühnte Leid der Opfer weinen soll. Eine solche Zumutung würde man keinem Drehbuchautor durchgehen lassen – doch all das ist kaum mehr als die Spitze des blutgetränkten Eisbergs.

    Immer mehr gleicht das groteske Theater einem seltsamen Exorzismus für alle Beteiligten, etwa wenn die Auslöschung eines Dorfes nachgespielt wird und seine Bewohner auch nach Ende einer Szene nicht aufhören können zu schreien und zu weinen. Congo und seine alternden Kameraden loben sie für ihr authentisches Spiel, doch wird auch offensichtlich, dass große Teile der indonesischen Bevölkerung ihrer Verzweiflung nur durch den Filter der Fiktion Luft machen können. Auch Oppenheimers Protagonist begibt sich schließlich tiefer ins filmische Spiegelkabinett des eigenen Horrors, als es ihm lieb sein kann: Nachdem er aus Jux selbst in die Rolle eines seiner Opfer schlüpft und sich von seiner rechten Hand Hermann – einem schmierigen Dummkopf in Frauenkleidern – für die Kamera strangulieren und enthaupten lässt, erwacht ein tief unter falschem Stolz begrabener und ganz leiser Zweifel an seinem „Lebenswerk". Wirklich eingestehen kann sich Congo dieses Gefühl nicht, leugnen aber kann er es ebenso wenig. So wird der Rollentausch für ihn zum Knackpunkt, fortan macht sich so etwas wie ein moralischer Schluckauf bemerkbar, der sich in kleinen Nervenzusammenbrüchen niederschlägt und ihn vor Übelkeit in Interviews immer wieder würgen lässt. Von einer Läuterung zu sprechen, das wäre dennoch zu viel der Ehre. Den Schrecken, den er über seine Mitmenschen hat einbrechen lassen, kann Congo nicht begreifen.

    Die beiden Dokumentarfilmlegenden Werner Herzog („Begegnungen am Ende der Welt") und Errol Morris („The Fog Of War") waren bei einer frühen Vorführung von „The Act Of Killing" so beeindruckt, dass sie sich Joshua Oppenheimer als ausführende Produzenten zur Verfügung stellten. Herzog sagte gar, er habe seit mindestens einem Jahrzehnt keinen so kraftvollen, surrealen und beängstigenden Film gesehen und seine Einschätzung ist nicht übertrieben. „The Act of Killing" lehrt uns viel über das erschreckend seichte Innenleben der Schlächter, Soziopathen und Faschisten. Wo sich die Mörder sonst oft als kleine Räder im Getriebe der Machtapparate inszenieren, die nur Befehle ausgeführt haben, werden sie hier hinters Licht geführt, indem sie sich frei selbst so darstellen dürfen, wie sie sich gern sehen. Der brutal-dumme Wahnsinn, den sie dabei offenbaren, spricht Bände und demaskiert sie besser, als es jede Empörung vom moralischen Hochsitz aus je könnte. Und genau das macht „The Act of Killing" zu einem zwar kaum erträglichen, dabei aber auch beispiellos mutigen Meisterwerk im Bereich der dokumentarischen Genozid-Aufarbeitung.

    Fazit: Mit seinem Massenmörder-Porträt „The Act of Killing" leistet Joshua Oppenheimer einen wahren Kraftakt im Bereich dokumentarischer Erforschung des Schreckens – einen solchen Film hat es noch nicht gegeben und wird es wohl auch so bald nicht wieder geben.

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