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    Einer nach dem anderen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Einer nach dem anderen
    Von Carsten Baumgardt

    Das skandinavische Kino war schon immer ein bisschen anders - ruppiger, rauer und radikaler. Kompromisse werden selten gemacht. Dieser Geisteshaltung hat sich auch Regisseur Hans Petter Moland verschrieben und setzt seine tiefschwarze Komödie „Einer nach dem anderen“ bitterböse in den blütenweißen Schnee Norwegens. Die brutale Groteske ist für Kinobegeisterte mit zartem Gemüt gänzlich ungeeignet, doch für weniger empfindliche Betrachter, die sich von etwaigen moralischen Fesseln freimachen, ist Molands blutiges Inferno ein höllischer Spaß. Das wiederum liegt nicht nur an der Bereitschaft des Regisseurs, die Grenzen des Zumutbaren zu ignorieren, sondern auch an seiner unberechenbaren Art des Geschichtenerzählens – mit seiner extravaganten Mischung aus eiskaltem Gangster-Thriller und Familiendrama, tiefschwarzem Humor und ungezügelter Gewalt fügt er der Reihe nordischer Kino-Skurrilitäten ein besonders kantiges Exemplar hinzu, das seinem ungewöhnlichen Titel alle Ehre macht.

    Der schweigsame Schwede Nils Dickman (Stellan Skarsgård) lebt mit seiner Frau Gudrun (Hildegard Riise) in seiner Exil-Heimat Norwegen und ist voll integriert in das örtliche Leben. In der Einöde der Provinz wird der beliebte Schneepflugfahrer sogar zum Bürger des Jahres gekürt. Doch eines Tages erschüttert der Tod ihres Sohnes Ingvar die Welt der Dickmans in den Grundfesten. Er verstirbt an einer Überdosis Heroin, was seine Eltern ebenso bestürzt wie ungläubig zurücklässt. Den Ermittlungsergebnissen der Polizei misstraut Nils und findet auf eigene Faust heraus, dass Ingvar als einmalig aushelfender Drogenkurier zwischen die Fronten geraten war. Nils beginnt einen Rachefeldzug gegen die Drogenmafia. Dem Wasserträger Jappe (Jan Gunnar Røise) zertrümmert er gleich mal das Gesicht und prügelt ihn zu Tode – aber nicht, bevor der übel Malträtierte einen weiteren Namen ausgespuckt hat. Doch bis Nils zum mutmaßlich verantwortlichen Strippenzieher „Der Graf“ (Pal Sverre Valheim Hagen) vordringt, sind noch so einige Lebenslichter auszulöschen. Und dann ist da auch noch der serbische Gangster-Pate Papa (Bruno Ganz), der mit seiner ebenso wenig zimperlichen Mannschaft kräftig mitmischt…

    „Einer nach dem anderen“ ist ein tückischer Film mit eingebauter Falltür. Wer vorher nichts über diese norwegisch-schwedisch-dänische Co-Produktion weiß, dem wird nach der Exposition erst einmal der Boden unter den Füßen weggezogen. „Kraftidioten“ beginnt als bitteres Drama, in dem fassungslose Eltern nach dem mysteriösen Tod ihres Sohnes vor dem emotionalen Kollaps stehen, doch an dieser Stelle vollführt Regisseur Hans Petter Moland („Ein Mann von Welt“, „Aberdeen“) einen gigantischen erzählerischen Bocksprung und katapultiert seinen Film mit Lichtgeschwindigkeit in die Sphären von lakonisch-zynischen Humoresken wie „Fargo“ oder „7 Psychos“ – und versieht ihn alsbald mit der Bluthärte eines Rachereißers à la „96 Hours“: Der bis ins Mark erschütterte Nils haut auf die Gangster ein, die seinen Sohn auf dem Gewissen haben, als gäbe es kein Morgen mehr; wie einer seiner Schneepflüge ackert er sich mit steinerner Mine durch die Unterwelt und zeigt dabei überraschendes Mörder-Talent. Nils birst beinahe vor gerechtem Zorn und mit seiner charismatischen Art sorgt der schwedische Weltstar Stellan Skarsgård („Nymph()maniac“, „Der Medicus“) dafür, dass das Publikum stets auf der Seite dieses brutalen Schlächters bleibt.

    Das Lachen verdrängt die Emotion, aber dadurch wird „Einer nach dem anderen“ nicht etwa zur leichten Kost, denn der Humor ist knochentrocken, brutal und blutig. Das Massaker nimmt immer groteskere Ausmaße an, aber die Leichen, die Nils produziert, bleiben lange unentdeckt, was Drehbuchautor Kim Fupz Aakeson („Perfect Sense“, „Gnade“) dazu nutzt, genüsslich die rüpeligen Gangster aufeinander loszulassen, die sich erst einmal gegenseitig beschuldigen. Das Figurenkabinett wird von einer ganzen Armada stereotyper Schläger bevölkert, die von zwei markant herausstechenden Charakterköpfen angeführt wird. Den bezopften Drogen-Dandy „Der Graf“ gibt Pal Sverre Valheim Hagen („Kon-Tiki“) als sensiblen Psychopathen, der seinen halbwüchsigen Sohn wie ein rohes Ei behandelt, aber seiner Ex-Frau (Birgitte Hjort Sørensen) auch mal übel die Visage poliert, wenn er es für angebracht hält. Mit seinen ausgeprägten Manierismen bewegt sich Valheim Hagen hart am Rande der Karikatur, aber er versagt sich den Exzess. Ganz anders Bruno Ganz als zweiter Bösewichtaktivposten. Wenn er die Szenerie betritt, kennt „Einer nach dem anderen“ kein Halten mehr. Ganz geht mit seiner Darbietung als serbischer Gangsterboss Papa ironisch bis zum Anschlag und darüber hinaus – das sieht dann aus, als hätte man seinem Stasi-Offizier Ernst Jürgen aus „Unknown Identity“ eine ordentliche Portion Hitler-Irrsinn aus „Der Untergang“ beigefügt.

    Die Welt, die uns Moland und Aakeson hier präsentieren, ist definitiv aus den Fugen geraten. Für normale menschliche Regungen ist da kaum noch Platz und so lassen auch die beiden schwulen, sich wild küssenden Gangsterschergen Aron (Jakob Oftebro) und Geir (Anders Baasmo Christiansen) den Wahnsinn fette Beute machen. Gleichzeitig verursachen die wüsten humorigen und gewalttätigen Ausschläge auch einige dramaturgische Unwuchten. Das beginnt mit dem abrupten Genrewechsel zu Beginn und endet im letzten Akt, wenn alle Dämme brechen und der lakonische Rache-Thriller zu einer hyperaktiven Gewaltfabel auswächst. Die Kälte der eingefrorenen Außenwelt spiegelt dabei die emotionale Eisstarre der Figuren wider. Kameramann Philip Øgaard („Kitchen Stories“) fängt die unendliche karg-weiße Weite Norwegens in gleichzeitig majestätischen und trostlosen Bildern ein, die rau-unwirtliche Landschaft bestimmt die Szenerie und gibt dem Gangster-Thriller ein ungewöhnliches Gepräge – „Einer nach dem anderen“ ist ein wahrlich eiskalter Film.

    Fazit: Stellan Skarsgård hinterlässt als Aushilfs-Charles-Bronson eine verheerende Blutspur und Regisseur Hans Petter Moland motzt seine brutale schwarze Komödie „Einer nach dem anderen“ zu einer wenig runden, aber unterhaltsamen Groteske auf.

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